Neues Zeichen in Webadressen:Das "ß" wird noch schärfer

Das scharfe S ist ein urdeutscher Buchstabe - der nun auch in Internetadressen erlaubt ist. Wir dürfen uns auf eine Reihe von Rechtschreibfehler-Domains einstellen.

Hermann Unterstöger

Manchmal hat man den Eindruck, dass viele Leute Tag und Nacht am PC sitzen und auf Themen lauern, die es ihnen erlauben, sich auf witzige Weise "einzubringen". Als jetzt die Meldung auftauchte, wonach es vom 16.November an möglich ist, in deutschen Internetadressen den Buchstaben "ß" zu verwenden, waren die Kommentatoren schwer auf dem Quivive. Einer von ihnen schlug vor, Domains wie "www.scheißhoppenheim.de" registrieren zu lassen, wohingegen ein anderer unter der Überschrift "Ach du Scheiße" die Forderung erhob, das "ß" doch gleich abzuschaffen.

Damit hat es gute Weile. Immerhin verfügt das Deutsche im "ß", dem "Eszett" oder "scharfen S", über eine Art Alleinstellungsmerkmal, wenn auch nur in seiner Schrift. Die Aussprache ist nämlich bei weitem nicht präzise genug, als dass sich aus ihr der rechte Gebrauch des "ß" schlüssig herleiten ließe.

Schon Grimm bezeichnet die diesbezüglichen Lautverhältnisse als "verworren". Tatsächlich kann man mit Rückgriff auf die zweite Lautverschiebung die These vertreten, dass nicht nur die Konjunktion "dass", sondern auch der Artikel "das" mit "ß" respektive, nach der letzten Orthographiereform, mit "ss" geschrieben werden sollte: Dass ich dass noch erleben darf! Ausgesprochen werden sie gleich, doch ist es eine zweifellos nützliche Übereinkunft, dem strukturellen Unterschied zwischen ihnen durch eine unterschiedliche Schreibung Rechnung zu tragen.

Das "ß", das technisch gesprochen kein Buchstabe, sondern eine Ligatur ist, kommt tief aus der Geschichte der deutschen Sprache und Schrift. Lässt man das schon als Würde gelten, so ist es nur angemessen, dass von der ganzen Rechtschreibreform grosso modo nichts geblieben ist als die Regel, dass nach kurzen Vokalen das auslautende "ß" durch "ss" (Kuß/Kuss) ersetzt wird - ein altehrwürdiger Kringel als Fokus eines die Nation gewaltig aufwühlenden Unterfangens.

Der Bericht des die Folgen der Reform beobachtenden Rechtschreibrats wird in Kürze veröffentlicht, und es wäre höchst erstaunlich, wenn er in der Kausa "ß/ss" keinen Erfolg meldete.

Die Regelung wird allgemein akzeptiert, wenn auch ohne Begeisterung: bei den Freunden der Reform, weil sie sich ungleich mehr erhofft hatten, bei den Gegnern, weil sie die Kröte schlucken müssen, wollen sie anders kein Dacapo des Getöses.

Fehlerfreihe Anwendung nicht garantiert

Dass die Neuerung angenommen wird, heißt jedoch nicht, dass sie auch fehlerfrei angewendet würde. Wer vorher das und daß verwechselte, bringt jetzt eben das und dass durcheinander. Das ist jedoch keine Frage der Rechtschreib-, sondern der Grammatiksicherheit.

Wer über den Schreibtischrand sieht, wird übrigens noch etwas Kurioses bemerken. Diejenigen, die mit dem "ß" aufgewachsen sind, verwenden es in handschriftlichen Texten nach wie vor in alter Weise. Sie schreiben "daß", obwohl sie in die Tastatur des Computers genauso automatisch "dass" hacken. Es sieht ganz danach aus, als hätte die Schreibhand ihr ureigenes Gedächtnis und ein gutes Gefühl dafür, was ökonomischer ist.

Das "ß" fällt auch dadurch auf, dass es keinen Großbuchstaben zur Seite hat. Üblicherweise wird dieser durch ein Doppel-"S" ersetzt, doch belassen es viele beim "ß", was dazu führen kann, dass aus der "BUßE" ein "Bube" wird.

Seit 130 Jahren wird über ein großes "ß" nachgedacht, bisher ohne überzeugendes Ergebnis, was darauf hindeutet, dass es die Sprachgemeinschaft ohne Schmerz entbehren kann.

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

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