Neues Soundsystem Holoplot:Tausend Lautsprecher für eine Klangwand

Das Start-up Holoplot aus Potsdam hat ein raffiniertes Soundsystem entwickelt: Es kann sogar Konzertsäle simulieren.

Von Helmut Martin-Jung

Die Stimme flüstert direkt vor einem. Einen, höchstens zwei Meter entfernt. Doch da ist niemand. Da ist nur die leere Stuhlreihe in diesem nüchternen Konferenzraum des Kongresshotels am See in Potsdam. Des Rätsels Lösung steht gut 15 Meter entfernt auf der Bühne: Eine Wand, gut 4,30 Meter breit, knapp 1,50 Meter hoch, keinen halben Meter tief. Das Ding, das auf einem 80 Zentimeter hohen Sockel ruht, anthrazitfarben und mit vielen Löchern, ginge vielleicht auch als Kunstobjekt durch, aber es sind Lautsprecher, 960 Stück an der Zahl, immer leicht versetzt. Sie bilden die Front dieser ungewöhnlichen Wand.

Aus dieser Wand also kommt die Flüsterstimme, die sich 15 Meter weiter weg so anhört, als stünde ihr Urheber ganz nahe. Wie kann das funktionieren? Die Grundlagen dieser Technik sind schon sehr lange bekannt. Es geht um die Wellenfeldtheorie des Christiaan Huygens aus dem 17. Jahrhundert. Der Niederländer entdeckte, dass Wellen, die sich konzentrisch im Wasser ausbreiten, nicht nur entstehen, wenn man einen größeren Stein hineinwirft. Eine identische Welle entsteht auch dann, wenn man viele kleine Steine verwendet und sie kreisförmig ins Wasser fallen lässt. Die vielen kleinen Wellen, die dabei entstehen, vereinigen sich zu einer großen. Mit anderen Worten: Mittels vieler kleiner Steinchen lassen sich Wellen jeder beliebigen Form erzeugen - man muss bloß wissen, wo genau man sie wann ins Wasser fallen lassen muss.

Wie der Kirchenhall ins heimische Wohnzimmer übertragen wird

Dieses Prinzip setzt das Potsdamer Start-up Holoplot mit seinen vielen Einzellautsprechern mit Klangwellen um. Schon seit den Achtzigerjahren gibt es Lautsprechersysteme, die Wellenfelder erzeugen können. Die bestehenden Systeme für Wellenfeldsynthese, so der Fachbegriff, setzen dafür ebenfalls auf eine Vielzahl von Lautsprechern. Die aber müssen rund um die Zuhörer angeordnet sein. So ist das auch im Wellenfeld-Hörsaal in der TU Berlin. Nicht so hier in Potsdam. Der frühere Tonmeister Helmut Oellers hat ein System entwickelt, das von einer Stelle aus den gesamten Raum beschallen kann - eben die Wand mit ihren 1000 oder auch mehr Lautsprechern.

Aber was heißt hier beschallen? Das System kann bis zu 16 verschiedene Soundspots in einem Raum erzeugen - vergleichbar mit gebündeltem Licht. Damit lassen sich zum Beispiel Simultanübersetzungen ohne Kopfhörer auf bestimmte, wählbare Bereiche eines Saals abstrahlen. Es kann auch eine ganz spezielle Akustik, beispielsweise einer Kirche oder eines berühmten Konzertsaales, in den Raum übertragen, in dem die Musik gehört werden soll, und zwar auch dann, wenn dieser im Grunde genommen akustisch nicht so besonders geeignet ist.

Neues Soundsystem Holoplot: Die Basilika von Waldsassen in der Oberpfalz ist berühmt für ihre Akustik. Mit der Technologie des Start-ups Holoplot aus Potsdam lässt sich diese in nahezu jedem beliebigen Raum reproduzieren.

Die Basilika von Waldsassen in der Oberpfalz ist berühmt für ihre Akustik. Mit der Technologie des Start-ups Holoplot aus Potsdam lässt sich diese in nahezu jedem beliebigen Raum reproduzieren.

(Foto: imago)

Die Übertragung der akustischen Eigenschaften eines Raumes funktioniert deshalb, weil Holoplot zwischen dem Direktschall, also etwa dem Klang einer Geige, die von einem relativ nah platzierten Mikrofon aufgenommen wird, und den Reflexionen trennt, erläutert Oellers. Also dem Schall, der entsteht, wenn die von der Geige produzierten Schallwellen in dem Konzertsaal reflektiert werden. Mittels digitaler Signalprozessoren werden die Reflexionen aus dem Konzertsaal mit denen des Abhörraumes verrechnet. Sogar in dem Konferenzsaal, der alles andere als gut klingt, hört sich Musik dann an, als würde sie im Konzertsaal gespielt.

Das ist aber noch nicht alles. Normale Lautsprecher geben den Klang kugelförmig ab. Da sich die Oberfläche der Kugeln aber mit zunehmender Entfernung immer weiter vergrößert, nimmt der Schalldruck ab. Man hört das Schallsignal leiser, und die Raumakustik mischt sich mit ein. Oellers demonstriert das mit der Aufnahme eines Saxofons. Bei konventioneller Technik wird die Musik immer leiser, je weiter man sich von den Lautsprechern entfernt. Anders bei Holoplot: Das System kann die Wellen so formen, dass sie waagerecht und fokussiert abgestrahlt werden. Distanzen von 100 Metern und mehr können so überbrückt werden, ohne dass der Schalldruck merklich abnimmt. Die Zuhörer ganz hinten hören genauso gut wie die vorne, es ist hinten nicht zu leise und vorne an den Lautsprechern nicht zu laut.

Hollywood-Größen haben bereits Interesse signalisiert

Das Know-how des Systems steckt vor allem in der Software. Diese berechnet ohne merkliche Verzögerung, wie die Lautsprecher angesteuert werden müssen. Das ist keine leichte Aufgabe, denn jeder der mindestens 960 Lautsprecher in der Schallwand erhält ein eigenes Signal und hat dafür auch einen eigenen Verstärker und ein eigenes Netzteil. Vor einigen Jahren noch hätte das bezahlbare Computer und Signalprozessoren vor unlösbare Aufgaben gestellt. Mittlerweile sind die Chips erheblich leistungsfähiger und trotzdem bezahlbar.

Doch wer soll sich so ein System kaufen? Investor Georg Sick, promovierter Metallurg und langjähriger Chef des Baumaschinenherstellers Wacker, ist sich da selbst nicht so ganz sicher. Museen, glaubt er, kämen da ebenso infrage wie Kinos oder Konferenzräume. Messen könnten wesentlich stressfreier ablaufen, wenn die "akustische Umweltverschmutzung", wie er das nennt, eingedämmt würde. Sick, der im Münchner Süden wohnt, ist in das Start-up eingestiegen, als ihm ein Banker von der spannenden Technologie des Zehn-Mann-Unternehmens erzählt hatte. Er will die Firma zusammen mit anderen Privatinvestoren nun zunächst einmal bekannt machen und sie potenziellen Kunden vorstellen. Das werden wohl vor allem welche aus dem kommerziellen Bereich sein.

Neues Soundsystem Holoplot: Die Klangwand aus der Nähe: Die kleinste Anlage benötigt knapp 1000 einzelne Lautsprecher. Diese können auch hinter einer Kinoleinwand verborgen werden.

Die Klangwand aus der Nähe: Die kleinste Anlage benötigt knapp 1000 einzelne Lautsprecher. Diese können auch hinter einer Kinoleinwand verborgen werden.

(Foto: oh)

Denn erschwinglich ist Holoplot nicht für jeden. Schon die günstigste Variante des Systems kostet etwa 130 000 Euro. Sie besteht aus drei mal fünf Einzelmodulen mit jeweils 64 Lautsprechern. Es lassen sich aber auch mehr Module verwenden: Die größte Klangwand, die Holoplot zurzeit anbietet, umfasst acht mal acht Module und leistet 46 000 Watt. Für ein Rockkonzert reicht auch das noch nicht, weiß man bei Holoplot. Vor allem im Bassbereich fehle es noch an Schalldruck dafür, "aber daran arbeiten wir".

Das heißt aber nicht, dass das Holoplot-System nicht laut sein kann. Tonmeister Oellers spielt dazu ein Soundbeispiel mit Trommeln ab - das Hörerlebnis ist hart an der Schmerzgrenze und auf jeden Fall laut genug für alles diesseits von ohrenbetäubenden Rockkonzerten. Gesteuert wird die Klangwand von einer Zentraleinheit, an die sich alle gängigen Quellen - vom Blu-Ray-Player bis zum Dolby-System - anschließen lassen. In dieser Einheit werden die Parameter verwaltet wie etwa die akustischen Fingerabdrücke bestimmter Räume. Diese kann man als kostenlose Datei herunterladen und damit mit einem Knopfdruck die Akustik der New Yorker Carnegie Hall, des Wiener Musikvereinssaals oder der Basilika Waldsassen in fast jedem beliebigen Raum erzeugen.

Er sollte nur nicht völlig schallgedämmt sein. Denn Holoplot bezieht reflektierende Teile des Raumes mit ein, in einem Kinosaal müssten also einige Reflektoren, etwa Metallplatten, installiert werden.

Der Endanwender muss sich kaum mit den Feinheiten dieser Technik herumschlagen, die in einem Standard-Rack mit 19 Zoll Breite untergebracht ist. Ist die Klangwand erst einmal an den Raum angepasst, in dem sie aufgestellt wurde, ist zur Steuerung nur noch ein Tablet mit einer App nötig. Damit lassen sich die Einstellungen ganz intuitiv erledigen, wie man es von Apps gewohnt ist. Also vielleicht doch etwas für den betuchten Heimkino-Freund? Ein Besucher der Präsentation aus den USA ist jedenfalls begeistert. Sein Job: Er arbeitet für Produktionsfirmen und richtet Heimkino-Räume für Hollywood-Größen ein. Da dürfte ein Preis von 130 000 Euro kaum ein Hindernis sein.

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