Neuer Maildienst Inbox von Google:Bloß nichts löschen

E-Mails nerven. Mit seinem neuen Dienst Inbox will Google das in die Jahre gekommene System aufwerten. Der Kurztest zeigt: Die beste Idee ist dabei, auf Zahlen zu verzichten.

Von Hakan Tanriverdi

Bei den einen warten fünf, bei andern mehr als 5000 Mails. Aber der Effekt ist vergleichbar: Das Versagen im Kampf mit der E-Mail-Flut erscheint einem täglich wie ein Countdown. Das schlechte Gewissen nagt, also arbeitet man daran, die Anzahl zu minimieren - und fängt an, ein paar der eingegangenen Nachrichten im Postfach zu lesen. Doch noch währenddessen landet schon die nächste Mail im Posteingang. Die Null, sie bleibt einfach nicht stehen.

Von der E-Mail sind alle gleich genervt. Mit Inbox liefert Google nun einen ernst zu nehmenden Vorschlag, wie man mit der täglichen Flut umgehen könnte. Vorgestellt wurde der Dienst in der vergangenen Woche, und nach einem ersten Kurztest lässt sich eines sagen: Die beste Idee dabei ist, dass Google auf das Zählen von Mails ganz einfach verzichtet.

Mit Gmail bietet Google seit zehn Jahren einen sehr erfolgreichen E-Mail-Dienst an, der von mehr als 425 Millionen Menschen auf der ganzen Welt genutzt wird. Die Firma hatte also in den vergangenen Jahren genug Zeit, Erfahrungen zu sammeln. Jetzt will sie Probleme lösen, die mit der elektronischen Post einhergehen. Immerhin verbringt der Büroarbeiter von heute nach einer McKinsey-Studie ein Viertel des Tages mit E-Mails. Google will diese Last reduzieren. "Der Posteingang, der für Sie arbeitet", so bewirbt der Konzern sein neues Produkt.

Auf den ersten Blick ist alles gut sortiert

Was macht Inbox anders? Auf den ersten Blick fällt auf: Alles ist aufgeräumt. Anstatt die Nachrichten chronologisch anzuzeigen, sortieren Algorithmen den Eingang vor - und das viel genauer als ohnehin schon. Kleine Themenpakete werden zusammengeschnürt: Hier ist die gesamte Werbung, dort alle Rechnungen und dann sind da noch die einzelnen Nachrichten, also die potenziell wichtigeren. Die Pakete zeigen jeweils nur die Überschrift an - will man mehr wissen, kann man sich hineinklicken - ähnlich wie im Ordner-System eines Computers.

Das Filtern funktioniert automatisch, die Nutzer müssen dem System vertrauen. Die Anhänge werden in kleinen Vorschaubildern unter der Nachricht angezeigt. Es gibt kein Feld, in dem zu sehen wäre, wie viele ungelesene Nachrichten im Postfach liegen. Das ist nur ein kleiner Kniff, aber die Wirkung ist immens. Alles zielt darauf ab, dem Nutzer das Gefühl zu geben, dass hier keine Arbeit auf einen wartet, sondern ein kurzes Update. Und wer sich den einminütigen Werbeclip von Inbox anschaut, der weiß auch, warum das so wichtig ist.

Die Menschen darin benutzen ausschließlich Smartphones und Tablets. Es sind jene Geräte, die auf der einen Seite eine ununterbrochene Kommunikation ermöglichen, auf der anderen Seite diese Kommunikation aber auch einfordern. Wer nicht zeitnah antwortet, macht dieser Logik zufolge etwas falsch. Inbox setzt genau an diesem Punkt an. Denn was sich nicht nach Arbeit anfühlt, wird gerne bearbeitet. Dazu hält Inbox mehrere Funktionen parat.

Das Löschen soll irrelevant werden

Wischt der Nutzer nach links, kann er sich einen Timer stellen. Die E-Mail wird ihm dann zu einem selbst gewählten Zeitpunkt erneut vorgelegt. Die Nachrichten können darüber hinaus angepinnt werden. Sind sie also besonders wichtig, erscheinen sie auf Knopfdruck. Wischt der Nutzer die E-Mail nach rechts, wird sie archiviert, also gespeichert, aber nicht mehr angezeigt. Interessanterweise fehlt eine der wichtigsten Funktionen - das Löschen. Um eine E-Mail in den Papierkorb zu legen, bedarf es zweier Klicks. In einem Postfach, das auf Effizienz ausgelegt ist und in dem zentrale Dinge in nur einem Schritt erledigt werden, ist das eine deutliche Ansage. Das Löschen soll irrelevant werden.

Das ist konsequent. Der Konzern setzt seit Einführung von Gmail auf die Maxime, dass der Nutzer nichts löschen muss. Der Speicherplatz, den der Dienst bei der Vorstellung am 1. April 2004 versprach, erschien so absurd hoch, dass die gesamte Branche das Produkt für einen Scherz hielt - ein Postfach, das 250- bis 500-mal so groß war wie das der Konkurrenz? Heute sind es 15 Gigabyte. Alles kann bleiben, so will es Google. Andere Hersteller haben nachgezogen und bieten nun ebenfalls größere Postfächer an.

Wenn die Nutzer diesem Wunsch folgen und die E-Mails archivieren anstatt sie zu löschen, hat der Konzern ein Problem weniger. Momentan werden alle E-Mails, die sich im Papierkorb befinden, nach 30 Tagen "endgültig gelöscht", heißt es. Doch das stimmt nicht ganz, denn in der Datenschutzerklärung steht, dass diese Nachrichten eventuell "nicht sofort" von den Servern des Unternehmens verschwinden. Der Nutzer kommt also nicht mehr an seine nur scheinbar gelöschten Daten, wohl aber Google. Überprüfbar ist die Sache ohnehin nur schwer.

Das Hauptversprechen wird nicht eingelöst

Das, was der Nutzer also will, wenn er Nachrichten in einen Papierkorb legt und sie anschließend löscht, das passiert vielleicht doch nicht. Wenn die Nutzer die E-Mail aber gar nicht erst löschen, sondern archivieren, löst sich dieses Problem von selbst. Es entsteht keine Erwartungshaltung. Für ein Unternehmen, das Geld mit Werbung verdient und dafür mit Algorithmen auch die Inhalte von E-Mails analysiert, um möglichst zielgenaue Werbung auszuliefern, ist das ein wichtiger Punkt.

Was ist von Inbox zu halten? Im Ansatz funktioniert das System gut. Man bekommt einen schnellen Überblick, die voreingestellten Filter sind sinnvoll, und das Konzept überzeugt. Die Ausführung selbst ist jedoch fehlerbehaftet. Nicht jede Nachricht erscheint automatisch im dazugehörigen Paket - dadurch entsteht die Unsicherheit, eventuell wichtige Nachrichten zu verpassen. Für ein System, das darauf ausgelegt ist, in zwei Augenblicken auf dem aktuellen Stand zu sein, ist das schädlich. Das Hauptversprechen wird aktuell nicht eingelöst. Doch noch ist Inbox in der Testversion. Bis zum finalen Produkt dürfte sich noch einiges ändern. Eines wird wohl bleiben, wie es ist: Der Papierkorb bleibt versteckt. Dass Google seine Nutzer mit sanftem Druck dazu bringen will, sich seinen Interessen unterzuordnen, ist bekannt. Es macht den Konzern aber auch nicht sympathischer.

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