Neue Doku:Kann man mit Kim Dotcom Mitleid haben?

Kim Dotcom Caught in the Web Doku

Kim Dotcom liebt den großen Auftritt.

(Foto: Mathias Ortmann)

Eine neue Doku zeigt den Fall des wohl skurrilsten deutschen Internet-Unternehmers, der auf Urheberrechte wenig Rücksicht nahm und steinreich wurde. Dann stürmten Polizisten seine Villa.

Von Hakan Tanriverdi

Es sind Video-Aufnahmen, bei denen man im ersten Moment nicht unterscheiden kann, ob das Anwesen eines Drogenkönigs gestürmt wird oder vielleicht das eines international gesuchten Terroristen. Im Januar 2012 dringt die Polizei in den Wohnsitz von Kim Dotcom in Neuseeland ein. Pistolen und Sturmgewehre gezückt, durchsuchen sie die Villa eine Viertelstunde lang nach dem Mann, der in einen Panikraum geflüchtet ist. Er ist aber weder Drogenbaron noch Top-Terrorist, sondern ein Mann, der, banal gesagt, einen Dienst angeboten hat, mit dem man einfach und kostenlos an Musik und Filme kam.

Vor allem diese Aufnahmen sollen die Zuschauer des nun erscheinenden Dokumentarfilms "Caught in The Web" auf die Seite einer der schillerndsten Figuren ziehen, die das digitale Zeitalter hervorgebracht hat. Ein Mann, der Musikstars wie P. Diddy, Alicia Keys und Kanye West dazu bringen konnte, seinen Dienst in einem eigenen Lied zu verherrlichen. Dotcom tritt auch selbst vor das Mikrofon, um einen Refrain aufzunehmen: Kim-Dot-Com, Kim-Dot-Com. Denn um sich selbst ging es ihm immer in erster Linie.

"Jenny Elvers der New Economy"

Dotcom ist in Deutschland als Kim Schmitz geboren, lebt seit Jahren in Neuseeland und ist wohl einer der bekanntesten Internet-Unternehmer. Öffentlich kennt man ihn vor allem von Partyfotos - auf Yachten, im Pool, mit Bruce Willis oder Ronaldo (dem Brasilianer). In den neunziger Jahren erhielt er eine Bewährungsstrafe, "wegen Computerbetrugs", wie er im Interview mit Harald Schmidt sagte. Schmidt fragte: "Was kann man klauen?" Dotcom erwiderte: "Daten, Informationen, Wissen, Macht." Die Bild-Zeitung nennt ihn in diesen Jahren "Deutschlands Großmaul Nr. 1", der Spiegel "Jenny Elvers der New Economy".

Reich wurde Dotcom mit seinem Dienst Megaupload. Kinofilme und Musikalben gab es auf seinem Dienst kostenlos herunterzuladen. Urheberrechte? Waren ihm egal. (Dotcom sagte über Jahre, dass sein Dienst geschütztes Material schnell gelöscht habe.) Er mietete sich in Neuseeland ein Anwesen, dessen Wert damals auf 20 Millionen Euro geschätzt wurde. Drei seiner Betten kosteten jeweils knapp 100 000 Euro.

Doch die Geschichte rund um den Polizeieinsatz auf dem Anwesen, samt des folgenden Rechtsstreits, der bis heute andauert, erzählt die Dokumentarfilmerin Annie Goldson detailliert und interessant. Sie bekam Zugriff auf Dotcoms Privatarchiv, recherchierte akribisch und sprach mit Dutzenden Beteiligten. Dadurch entsteht ein sehenswertes Porträt des Menschen Kim Dotcom.

Zu Wort kommt nicht nur er selbst, der selbstverständlich alles dafür tut, sich als wohlgesinnter, missverstandener, zu Unrecht kriminalisierter Mensch zu inszenieren. Sein Leben sei ein mittlerweile viereinhalb Jahre dauerndes Hollywood-Skript, sagt er im Film. Dann reckt er beide Daumen in die Luft, seine Lieblingspose für Fotos. Statt Luxusyachten und Fahrten über das eigene Anwesen im Golf-Caddy droht ihm nun eine mehrjährige Haftstrafe in den USA.

Der Chefanwalt der US-Filmindustrie redet Dotcom Satz für Satz schlecht. Rapper Smudo - der einst mit Dotcom Parties feierte - darf erzählen, dass er Mitleid mit Dotcom empfunden habe, ihn aber nach wie vor möge.

Es ist eine Dokumentation, die durch die Nähe zum Protagonisten en detail zu erklären versucht, wie der Mensch Dotcom tickt. Sie bleibt distanziert genug, um keine blinde Lobeshymne zu werden.

"Jeder dachte: 'Krass, Kim kennt alle.'"

Keiwan Mir Heidari, heute Mitglied der Geschäftsleitung des P1 in München, erinnert sich, wie Dotcom in den 90er Jahren Woche für Woche an der Tür abgewiesen wurde. Er erzählt auch, dass Dotcom ihm gesagt habe: "Ich will auf einem gewissen Niveau Spaß haben und ich will gewisse Leute um mich herum haben." Sobald Dotcom einen Mensch mit Kamera gesehen habe, soll er "Mach ein Pic" gesagt haben. "Jeder dachte: 'Krass, Kim kennt alle.'" Dotcom selbst trank nie Alkohol - sein Vater war Alkoholiker, prügelte ihn und seine Mutter krankenhausreif.

Er sei "der meistgesuchte Mann des Internets" posaunt die Werbung für die Doku. In Wahrheit kann man Dotcom aus zwei Perspektiven betrachten. Dass keine dieser Perspektiven den harschen Polizeieinsatz rechtfertigt, ist eine der Botschaften des Films.

Entweder man sieht in ihm einen schamlosen Dieb, der Urheberrechte bewusst ignorierte und Dienste entwickelte, über die er sich in einmaligem Ausmaß am Werk anderer bereicherte. Diese Sicht auf Dotcom haben zum Beispiel die Ermittler des FBI. Sie wollen, dass Dotcom an die USA ausgeliefert wird. Der Schaden, den er verursacht habe, belaufe sich auf 500 Millionen US-Dollar.

Es geht nicht nur um illegal weiterverbreitete Popsongs: In der Anklageschrift behauptet das FBI, das über Megaupload auch Videos mit terroristischem und kinderpornographischem Inhalt angeboten wurden. Das lässt den Urheberrechtsverletzer öffentlich noch einmal schlimmer dastehen, als er möglicherweise ist.

Neuseeland erscheint in der Doku als Nation, die - auch auf Wunsch der USA - eigenes Recht bricht. So wurden zum Beispiel Kopien der Rechner von Dotcom in die USA verschickt - obwohl das nicht erlaubt gewesen sein soll. Der neuseeländische Geheimdienst überwachte Dotcom - das war ebenfalls illegal, der damalige Premierminister entschuldigte sich bei Dotcom. Sein Vermögen ist weiterhin beschlagnahmt - er wohnt nicht mehr in dem Anwesen. Von seiner Frau und den fünf Kindern lebt er getrennt.

Zwischen Visionen und Verschwörungstheorien

Wenn der Zuschauer will, kann er in Dotcom auch einen Visionär sehen. So sieht dieser sich ja auch selbst. Er hat aus Ideen - zum Beispiel der Cloud - erfolgreiche Produkte entwickelt. Er wollte Videos der Gumball-Straßenrallye verschicken (bei der heizen Millionäre mit ihren Autos durch Europa), doch die Dateien waren zu groß, um sie per Mail zu verschicken. Also lud er sie auf einen Server - per Mail musste er anschließend nur noch den Link verschicken. Heute nennt man das Cloud - Dropbox und Google Drive bieten ähnliche Dienste an.

Der auf IT-Recht spezialisierte Harvard-Professor Jonathan Zittrain sagt im Film, dass die Menschen auch damals Filme online anschauen wollten und Dotcom das ermöglicht habe - die Menschen "waren froh, dass sie jemanden dafür bezahlen konnten". (Es gab auch eine Bezahlversion von Megaupload, jedoch wurden damit nicht die Inhalte legal, sondern nur die Downloads schneller.)

Die neueste Wandlung von Dotcom fehlt in der Doku. Die hat er vollzogen, nachdem bereits fertig gedreht war. Heute nutzt er seinen Kultstatus unter manchen Menschen, um Verschwörungstheorien zu verbreiten: Zum Beispiel, dass ein Mitarbeiter der Demokratischen Partei umgebracht wurde, weil er Interna der Partei an Wikileaks weitergegeben haben soll. (Die Polizei geht davon aus, dass der Mann erschossen wurde, das FBI geht davon aus, dass die Dokumente von russischen Hackern entwendet wurden und der Tote nichts damit zu tun hatte.) Wer Dotcom und seinen Hass auf die amerikanischen Behörden verstehen will, sollte sich diese Dokumentation ansehen.

Anm. d. Red.: In einer früheren Version war zu lesen, dass Dotcom neuseeländischer Staatsbürger sei. Das trifft nicht zu. Ebenfalls hat er das Anwesen in Neuseeland nicht gekauft, sondern gemietet. Wir bitten, die Fehler zu entschuldigen.

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