Netflix vs. Popcorn Time:Warum sich die Filmindustrie über Piratenseiten freuen kann

Netflix vs. Popcorn Time: So sah Popcorn Time aus

So sah Popcorn Time aus

Jahrelang attackierte die Filmindustrie illegale Angebote im Internet. Inzwischen kann sie sich bei den Piraten bedanken: Deren Seiten bauten einen Innovationsdruck auf, von dem Anbieter wie Netflix profitieren.

Von Hakan Tanriverdi

Es sollte ein Programm werden, das es vereinfacht, Filme zu schauen. Eine schön gestaltete Seite, die das Angebot alphabetisch auflistet, die Filme in HD-Qualität anbietet. Filme, die aktuell im Kino sind gleichermaßen wie Klassiker. Da war nur diese Warnung: Das Angebot könne in einigen Ländern illegal sein (in Deutschland etwa). Wäre dieser Hinweis nicht gewesen, Popcorn Time hätte ein Konkurrent werden können für andere Streamingseiten wie Netflix oder Watchever.

Aber Popcorn Time ist inzwischen eingestellt. Die Macher haben Angst vor legalen Konsequenzen. Sie schreiben: "Unser Experiment hat uns endlose Debatten über Piraterie und über das Urheberrecht eingebracht; außerdem juristische Drohungen und eine zwielichtige Maschinerie, durch die wir uns bedroht fühlen". Da der Quellcode aber auf der Programmiererplattform Github veröffentlicht ist, könnten Nachahmerprojekte folgen.

Die Geschichte hinter Popcorn Time ist trotz des Scheiterns interessant. Denn es ist eine Geschichte darüber, warum sich die Filmindustrie zum ersten Mal in einer besseren Ausgangssituation befindet als Piraterie-Konkurrenz.

Jahrelang stillten Plattformen wie das mittlerweile eingestellte Movie2k einen akuten Impuls. Menschen, die sich Blockbuster und aktuelle Serien anschauen wollten, surften sie auf Movie2k. Allerdings war die Bedienung dieser Seiten sehr nutzerunfreundlich. Der Anbieter hatte Unmengen an Popup-Werbung geschaltet, über die sich so eine Seite finanziert. Manche Streams funktionierten nicht, waren qualitativ schlecht oder brachen mittendrin ab. Um die Filme zu sehen, musste man mehr tun, als es nur zu wollen: Man musste auch Zeit investieren.

Es ist unklar, wie groß der finanzielle Schaden für die Filmindustrie ist, der durch Filmpiraterie entsteht. Für den amerikanischen Raum gibt es zwar Schätzungen, die von 58 oder 250 Milliarden US-Dollar im Jahr ausgehen, diese Zahlen werden aber von ökonomischen Think-Thanks kritisiert. Nicht jeder Schwarzseher hätte für einen geschauten Film auch Geld ausgeben, sondern im Zweifel darauf verzichtet.

Seit Jahren vollzieht sich ein radikaler Wandel, deutlich zu erkennen im Report des Netzdienstleisters Sandvine: Netflix macht mittlerweile 31,6 Prozent des Internetverkehrs in den USA aus. Der US-Dienst ist eine Erfolgsgeschichte - einst ein DVD-Verleih, heute ein Industriegigant, der eigene Serienhits wie House of Cards produziert.

Die Macher von Popcorn Time hatten sich ganz stark an der Einfachheit von Netflix orientiert. Kein Schnickschnack, keine Werbung. Nur Inhalte - direkt auf Knopfdruck. Die Idee hinter Popcorn Time könnte für die Filmindustrie zwar in Zukunft gefährlich werden, aber vor allem ist es eine Hommage: So, wie Netflix aufgebaut ist, funktioniert Videostreaming.

Wenn man Popcorn Time und Netflix miteinander vergleicht, fällt auf, dass Netflix dabei sehr gut wegkommt.

1. Popcorn Time ist kostenlos und illegal, Netflix kostet Geld

Filme über Dienste wie Popcorn Time anzusehen, ist in Deutschland illegal - das verschreckt viele Nutzer. Grundsätzlich wäre eine ähnliche Plattform aber auch als Stream vorstellbar. Dann ist die rechtliche Situation nicht mehr so eindeutig. Wie legal diese Streams sind, ist umstritten. Nutzer können aber davon ausgehen, dass kaum Probleme drohen. Auch das Justizministerium hält Streaming für legal.

Der Fall Netflix zeigt jedoch auch: Nutzerfreundliche Dienste zu akzeptablen Preisen (aktuell 8 US-Dollar im Monat) werden anscheinend angenommen. Netflix hat in den USA 33 Millionen Nutzer und erzielt einen Gewinn von 48 Millionen US-Dollar.

2. Netflix hat ein Empfehlungssystem entwickelt, das für 75 Prozent der angesehenen Inhalte veranwortlich ist

Dieser Punkt geht klar an Netflix. Popcorn Time und Streaming-Angebote haben keine Empfehlungsmechanismen. Nutzer bekommen keine Tipps, was ihnen gefallen könnte.

3. Popcorn Time hat Filme, die aktuell im Kino laufen, Netflix nicht.

Menschen möchten Blockbuster anzuschauen, wenn sie erscheinen. Momentan ist das auf Netflix nicht möglich. Es scheint aber genau die Richtung zu sein, in die das Unternehmen expandieren will. Ted Sarandos, der sich um die Inhalte kümmert, die auf Netflix zu sehen sind, sagte im Herbst vergangenen Jahres: "Warum zeigen wir die großen Filme nicht am gleichen Tag, an dem sie im Kino anlaufen?" Von der zeitgleichen Veröffentlichung hat sich Sarandos zwischenzeitlich distanziert und davon gesprochen, die Filme innerhalb von 30 bis 45 Tagen verfügbar zu machen.

Nach Angaben der Macher von Popcorn Time hatte die Seite so gut wie keine Nutzerschaft in den USA. Ob diese Aussage faktisch stimmt oder ob sie aus taktischen Gründen angeführt wird, beantworten die Macher nicht. Immerhin liefern sie einen Grund dafür, warum das der Fall sein könnte: "In den USA kann man schließlich großartige Streaming-Dienste finden", schreiben sie. "Urheberrechtlich geschütztes Material herunterzuladen, ist somit den Aufwand nicht wert."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: