Nachbarschaftswache im Web:Hobby Hilfssheriff

Forum für aufmerksame Mitbürger oder paranoide Spinner? Auf pronachbar.at können sich österreichische Laiendetektive austoben. Mit Belanglosigkeiten schüren die Hilfssheriffs die Angst vor Verbrechen.

J. Boie

Manchmal entgeht man einem Verbrechen nur knapp. Wie der Wiener, auf dessen Haus in der Bethlengasse am 15. August ein Unbekannter zuläuft. Obwohl die Haustür offen steht! Oder gerade weil die Haustür offen steht? Man weiß es nicht. Gut, dass es einen Nachbarn gibt, der die Szene beobachtet und im Internet reportiert. Der Hausbesitzer jedenfalls spricht den Mann an, der vielleicht nur Werbung in den Briefkasten werfen wollte. Darauf läuft der Fremde weg, ohne ein Wort zu sagen. Einfach so.

Wenn da mal nicht ein Verbrechen verhindert wurde. "Der Vorfall zeigt", schreibt jener Nutzer, der die Belanglosigkeit auf dem österreichischen Internetportal pronachbar.at berichtet, "dass man in der Stadt besser immer die Türen schließt".

Hobbydetektive hinter dem Vorhang

Das bei einigen Wienern überaus beliebte Portal richtet sich an den wachsamen Nachbarn, der tagelang aus dem Fenster guckt, um Nachbarjungen dabei zu erwischen, wie sie mit dem Rad durch Blumenbeete fahren. Jetzt kann er seinem Hobby auch in der digitalen Welt nachgehen. In den USA und Großbritannien sind ähnliche Webseiten seit Jahren erfolgreich, in Deutschland gibt es bislang keine in der Dimension vergleichbaren Projekte.

Die Nutzer von Pronachbar nehmen ihr Hobby ernst. "Warnung aus dem 19. Bezirk, Barawirzkagasse" heißt eine andere Meldung. "Zwei junge, ausländische Frauen und ein korpulenter, junger Ausländer" seien in die Wohnung eines 90-Jährigen eingedrungen, schreibt Nutzer Peter L. "Durch mein Eingreifen konnte Schlimmeres verhindert werden!"

Jede Hilfe zu spät kam dagegen für die Bushaltestelle Hohenbergstraße. Dort habe ein Sprayer seine Signatur hinterlassen, schreibt "EP", der sich an der Strafverfolgung beteiligt: "Ich habe Anzeige erstattet und begebe mich auch selbst mit der Kamera auf die Jagd nach den Sachbeschädigern."

Lesen Sie auf Seite 2, warum pronachbar.at nicht einfach als Portal für paranoide Zeitgenossen abgestempelt werden kann.

Ein Hauch echter Verbrechensbekämpfung

Man könnte das Portal als ein Werk Paranoider ignorieren, wenn es nicht die Kooperation mit der Wiener Polizei gebe, die dort sehr ernsthafte Meldungen veröffentlicht. Von sexueller Belästigung kleiner Mädchen in einem Park ist da die Rede, Einbrüche werden detailliert beschrieben. Die Strafverfolger liefern Nutzern von Pronachbar Informationen zu Einbrüchen in den Vierteln der Nutzer.

Diese seriösen Texte verleihen den Meldungen der Hilfssheriffs den Hauch echter Verbrechensbekämpfung. So schürt das Portal die Angst vor Mord und Totschlag - eine Furcht, die auch bei Debatten über Graffitis und Trickbetrug stets mitschwingt.

Traumjob Grätzelkontakt

Hinter der Webseite verbirgt sich ein Verein, an dessen Spitze der Wiener Pensionär Karl Brunnbauer steht. Der frühere IBM-Manager spricht viel von Qualitätsmanagement und Sicherheit, um klarzumachen, dass er "keine unseriösen Herrschaften" auf dem Portal duldet.

Brunnbauer versucht, in so vielen Stadtteilen wie möglich, "Delegierte" zu ernennen. Der Grätzelkontakt, wie der Wiener seinen Mann im Stadtbezirk nennt, soll den Kontakt zur Polizei halten. Zudem ist er es, der die Meldungen von Privatpersonen und Polizisten auf die Webseite stellt.

Das Interesse an dem Job sei groß, sagt Brunnbauer. "In Salzburg, im Burgenland und der Steiermark" würden bald Ableger entstehen. Wenn Brunnbauer im Netz einen neuen Bereich zur Überwachung bekanntgibt, "dann melden sich gut 150 Leute, die mitarbeiten wollen".

Organisation, Werbezettel, Reise- und Spesenkosten für die Mitarbeiter, die das Projekt in ganz Österreich bekannt machen, summieren sich auf 20.000 Euro im Jahr. Bislang hat Brunnbauer das Geld vorgestreckt: "Das war's mir wert." Mittlerweile hat Pronachbar aber auch Einnahmen: durch Anzeigen auf der Webseite. Zum Beispiel von der Schlosserei Fontanari, die sich für "Reparaturen, Montagen, Einbruchsschutz" empfiehlt.

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