Musik im Netz:Strohhalme für die Musiklabels

Die Musikindustrie leidet unter illegalen Downloads. Neue Geschäftsmodelle sollen die Rettung bringen - doch viele bergen Risiken.

Johannes Kuhn

Im Sekundentakt rauscht der Zähler auf der Homepage der Musikindustrie weiter: Die 50-Millionen-Marke hat er überschritten, zum Ende der Cebit wird er bei fast 60 Millionen stehen.

Er zeigt die Zahl der Musik-Downloads, die Internetnutzer nach Branchenangaben seit Jahresbeginn gestartet haben. Illegale Downloads, wohlgemerkt. Seit mehr als einem Jahrzehnt ermöglicht nun die Technik des Filesharing Millionen Jugendlichen, über das Internet kostenlos Lieder zu tauschen - und seitdem steckt die Musikwirtschaft in der Krise.

Legale Plattformen zum Herunterladen von Musik wie iTunes, Amazon oder Musicload lassen die Verkaufszahlen im Netz zwar inzwischen kräftig steigen, doch eine Zahl verdeutlicht das Dilemma: Zwischen 2004 und 2009 wuchs der Internetumsatz der Branche weltweit um 940 Prozent, doch ging der Gesamtumsatz in diesem Zeitraum um 30 Prozent zurück.

"Die Musikindustrie hat neue Geschäftsmodelle im Internet lange ignoriert, weil sie an die hohen Gewinnmargen aus dem CD-Verkauf festhalten wollte", sagt Susan Kevorkian vom Marktforschungsunternehmen IDC. Dass Musik erstmals einen Messeschwerpunkt auf der Cebit ist, zeigt aber, dass die Zeiten der Ignoranz nun vorbei sein sollen.

Der Verkauf alleine hilft nicht

Dabei geht es auch darum, dem klassischen Download weitere Geschäftsmodelle an die Seite zu stellen: Zwar verkündete Apple Ende Februar den Verkauf der zehnmilliardsten MP3-Musikdatei über seinen iTunes-Laden im Netz, doch verflacht die Wachstumskurve für Downloads vor allem in den USA, wo der Anteil am Gesamtumsatz bei etwa 40 Prozent liegt.

Europa wird im Moment deutlich mehr Wachstum zugetraut, beziffert die Branche den Digitalanteil dort doch nur auf 15 Prozent; allerdings wird auch hier das MP3-Geschäft die Verluste aus dem CD-Verkauf nicht ausgleichen.

Als Alternative erlauben viele Musikverlage deshalb bereits seit längerem sogenannten Streamingdiensten wie Last.fm oder Spotify, Songs gegen eine Lizenzgebühr zum Anhören im Internet bereitzustellen.

Die Dienste finanzieren sich durch Werbung oder Premium-Angebote: Spotify, das bislang in Deutschland nicht auf dem Markt ist, verlangt beispielsweise eine Monatsgebühr zwischen 10 und 20 Euro, wenn Nutzer auf Werbeeinblendungen zwischen einzelnen Songs verzichten möchten.

Berichten zufolge greifen 250.000 der sieben Millionen Spotify-Nutzer auf dieses Extra-Angebot zurück - allerdings ist unklar, ob Streamingdienste nicht zu einer Marktkannibalisierung führen: Wer alle Songs nach Belieben im Netz abrufen kann, dürfte im Zeitalter des allgegenwärtigen Internetzugangs kein Bedürfnis haben, sich die Titel noch zu kaufen und dauerhaft herunterzuladen.

Die Gema blockiert

In Deutschland konnte Spotify bislang nicht starten, da die Verwertungsgesellschaft Gema für jeden Titel eine Gebühr verlangt. Dies dürfte auch der Grund sein, weshalb deutsche Internet-Zugangsanbieter bislang davor zurückschrecken, für einen geringen Aufpreis den Zugang zum Katalog der Musikfirmen in ihr Angebot einzufügen. "Die Musiklabels fahren inzwischen eine recht offensive Lizensierungspolitik, während sich die Urheberverwertungsgesellschaften eher schwer tun", sagt Stefan Michalk vom Bundesverband der Musikindustrie.

In Dänemark hat der Zugangsanbieter TDC bereits gute Erfahrungen mit einem solchen Modell gemacht: Dort können Kunden sich kostenlos eine unbegrenzte Anzahl Lieder herunterladen, die allerdings nach Beendigung des Vertrags nicht mehr abspielbar sind. Einer Studie der IT-Universität Kopenhagen zufolge erklärten 43 Prozent der Nutzer, durch diesen Service weniger oft zu illegalen Downloads zu greifen.

Dass illegales Herunterladen immer noch der Hauptfeind der Musikindustrie ist, zeigt die Entwicklung in Frankreich: Dort werden die Behörden in diesem Jahr erstmals Internetnutzern bei wiederholten Verstößen gegen das Urheberrecht den Online-Zugang sperren - das Gesetz kam auf Druck der Unterhaltungsindustrie zustande. "Es wird spannend zu sehen sein, wie sich das auf die Branche dort auswirkt", sagt der deutsche Verbandsvertreter Michalk.

Bislang lehnt die Bundesregierung einen solchen Schritt ab, doch sollten die Zahlen aus Frankreich einen starken Rückgang der Musikpiraterie zeigen, dürfte eine neue Debatte ins Haus stehen. Auf internationaler Ebene sind solche Sanktionen zudem gerade Gegenstand von Verhandlungen zum Schutz des geistigen Eigentums. Auf neue Geschäftsmodelle alleine, so der Eindruck, will sich die Musikwirtschaft nicht verlassen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: