Internet:Wie Mozilla verzweifelt gegen die Tech-Konzerne kämpft

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Für viele Menschen sei Mozilla so alt wie ihre Erfahrungen mit dem Internet, sagt die Stiftungs-Aufsichtsratsvorsitzende Mitchell Baker.

(Foto: Josep Lago/AFP)

Der Firefox-Browser prägte die Nullerjahre und symbolisierte die Werte des freien Internets. Dann kamen Google und Apple. Jetzt sucht das Projekt eine Strategie für die Zukunft.

Von Johannes Kuhn, Mountain View

Die Mozilla-Zentrale unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum vom Rest des Silicon Valley: Die Dimension der Computer-Bildschirme ist imposant, das Essen kostenlos und der Stau auf dem Weg hierher nach Mountain View unerträglich. Doch mit den Augen seiner Sympathisanten betrachtet ist Mozilla ein Gegengewicht zur wachsenden Macht der Netz-Konzerne und ihrer Datensilos.

Für die meisten Menschen sei Mozilla so alt wie ihre Erfahrungen mit dem Internet, sagt Mitchell Baker, Mozilla-Aufsichtsratsvorsitzende. "Unsere Organisation blickt auf 15, bald 20 Jahre Geschichte. Das klingt anderswo nicht nach viel, aber online?" Online ist das eine kleine Ewigkeit.

Die Kräfteverhältnisse der Betriebssysteme haben sich verschoben

Die anpackende 58-Jährige ist ein Fixpunkt im Mozilla-Universum, sie thront über der Stiftung und dem untergeordneten Unternehmen. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass der Firefox-Browser in den Nullerjahren zum wichtigsten Tor zum Web und zu einem der erfolgreichsten Open-Source-Projekte überhaupt wurde: Neben den mehr als 1100 Mitarbeitern arbeiten auch fast 4000 Freiwillige an den Projekten mit. Vor allem aber ist Mozilla bis heute die vielleicht einflussreichste Lobby-Organisation für offene Internetstandards.

Doch nichts ist in der Technologiebranche so alt wie der Erfolg von gestern: Seit Jahren befindet sich Mozilla irgendwo zwischen Stagnation und Niedergang. Seit 2010 hat sich durch den Aufstieg von Googles Chrome-Browser der Firefox-Marktanteil auf dem Desktop auf 15 Prozent halbiert. Mehr noch, seit Beginn des Smartphone- und App-Zeitalters spielt das browserbasierte Web nur noch eine untergeordnete und Firefox gar keine Rolle mehr. Der Marktanteil in Android liegt bei unter einem Prozent, die iOS-Version ist erst seit Herbst 2015 erhältlich. Wie sehr sich die Kräfteverhältnisse der Betriebssysteme verschoben haben, zeigt Mozillas jüngst für iOS veröffentlichter Inhalte-Blocker "Focus": Der ist nur für Apples Haus-Browser Safari erhältlich, weil der iPhone-Hersteller die benötigte Funktion nicht für Browser von Drittanbietern - und damit auch Firefox - freigibt.

Der Versuch, sich gegen Apple und Google zu positionieren, ist gescheitert

Es ist nicht so, dass Mozilla diesem Trend tatenlos zugesehen hätte: 2011 begann die Firma mit der Arbeit am offenen Smartphone-Betriebssystem Firefox OS, um den geschlossenen Ökosystemen der Software-Giganten Apple und Google eine auf Web-Technologien basierende Alternative entgegenzusetzen. Doch der Versuch scheiterte, heute gilt Firefox OS als ambitioniertes Missverständnis. Während das in solchen Dingen unerfahrene Mozilla sich für die Hardware mühevoll mit den Mobilfunk-Betreibern koordinieren musste, überschwemmten billige Android-Handys die anvisierten Märkte in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Als die ersten Firefox-Handys 2013 dann erschienen, waren sie weder besonders ansprechend, noch stießen sie bei Kunden und App-Entwicklern auf Interesse.

Welches Telefon trägt Chris Beard in der Jackentasche? Der Mozilla-Geschäftsführer sitzt in einem Konferenzraum in der Firmenzentrale und zieht etwas zögerlich ein iPhone heraus. Er besitze auch ein Firefox-Handy, aber "Firefox ist derzeit kein ernsthafter Konkurrent für Android und iOS. Also haben wir einen Schritt zurück gemacht und uns gefragt: Was wollen wir machen? Was ist die Perspektive, von der wir Firefox OS angehen wollen?"

"Das Web von 2020 wird womöglich ganz anders aussehen"

Ein erstes Ergebnis verkündete der langjährige Marketingchef Beard und sein Team Anfang Dezember auf der Entwicklerkonferenz in Orlando: Mozilla wird nicht länger mit Mobilfunkanbietern gemeinsam Smartphones mit Firefox OS auf den Markt bringen. Aller Erfahrung nach dürfte dies das Ende für Firefox-Handys bedeuten. Stattdessen soll die Software die Grundlage sein, um mit "vernetzten Geräten", also dem Internet der Dinge (IoT) zu experimentieren.

Mozilla vollzieht durchaus den Strategiewechsel, doch wohin genau es gehen wird, lässt das Management in Gesprächen weitestgehend offen. "Das Web von 2020 wird womöglich ganz anders aussehen, es kommt vielleicht der Tag, an dem der Browser nicht mehr der wichtigste Einstiegspunkt ist", deutet Plattform-Chef David Bryant an. "Und das ist in Ordnung für uns." Panasonic hat einige TV-Geräte mit Firefox OS im Sortiment, zuletzt zirkulierten vage Projektskizzen eines Mitarbeiters für ein Web-Tablet, eine Tastatur, einen Router und einen TV-Stick. Doch genau bei solchen Produkten gibt es bereits eine große Auswahl, und auch der IoT-Sektor der "smarten Heimgeräte" ist bereits hart umkämpft. "Ich sehe keine besonderen Vorteile für Firefox OS, außer, dass sie ein relativ aktuelles Betriebssystem haben", gibt sich IoT-Analyst Frank Gillett von Forrester Research skeptisch.

Privatsphäre ist ein Verkaufsargument, aber nicht das entscheidende

Aktivisten hätten im Snowden-Zeitalter gerne einen stärkeren Fokus auf Anonymisierung und den vollständigen Schutz der Privatsphäre gesehen. Beard entgegnet: "Ich glaube nicht, dass das ein entscheidendes Verkaufsargument ist. Wir wollen Nutzern Kontrolle über ihre Privatsphäre geben. Doch wenn wir uns einzig darauf konzentrieren, würden wir nicht so viele Menschen erreichen." Vollständige und ständige Anonymität, so die Erkenntnis, würde auch viele werbebasierte Geschäftsmodelle unmöglich machen - und das Web damit weiter schwächen.

Wer mit ehemaligen Mitarbeitern spricht, hört trotz großer Verbundenheit deutliche Zweifel, ob Mozilla noch einmal ein Massenpublikum erreichen kann. Der technologische Konkurrenzkampf in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts droht angesichts der finanziellen Ausstattung der Tech-Konzerne brutal zu werden, und historisch betrachtet ist Mozillas größter Erfolg kein Produkt aggressiver Innovation.

Mitglieder- oder Abo-Modelle könnten ein Weg für die Zukunft sein

Der Aufstieg des Firefox ist eng mit Microsofts fahrlässiger Fehleinschätzung aus den frühen Nullerjahren verbunden, dem Internet-Explorer keine Aufmerksamkeit zu schenken und damit ein zentrales Zukunftsfeld neuen Akteuren zu überlassen. Mozilla nutzte die Lücke, erhielt dabei Unterstützung von Google und musste kurz darauf erleben, wie der Suchkonzern 2007 seine Entwickler abzog, um den Konkurrenz-Browser Chrome zu entwickeln und mit großem finanziellen Aufwand in den Markt zu drücken. Immerhin ist die Abhängigkeit vom Such-Giganten kleiner geworden: Das Browser-Suchfenster, immer noch die größte Einnahmequelle, bestückt in den USA inzwischen Yahoo, in anderen Ländern sind es regionale Partner wie Baidoo (China) oder Yandex (Russland). Man überlege, mit weiteren Geschäftsmodellen zu experimentieren, sagt CEO Beard. Ein Mitglieder- oder Abomodell für Extra-Dienste könne ein möglicher Weg sein, sagt er. Gedankenspiele, betont die PR-Abteilung danach.

Mozillas Strategiefindung wird zwar immerhin nicht von ungeduldigen Aktionären erschwert, aber von der Tatsache, dass die Entwickler- und Unterstützergemeinde jeden Schritt darauf überprüft, ob er den Werten der gemeinnützigen Mozilla-Stiftung entspricht. Bestens in Erinnerung ist Insidern das Misstrauen gegenüber dem früheren CEO Gary Kovacs, der zuvor IBM-Manager war und die Kommerzialisierung vorantrieb. Nachfolger Brendan Eich konnte 2014 nur wenige Tage im Amt bleiben, bis ihn eine Spende an eine Organisation gegen die "Ehe für alle" zu Fall brachte. Die Zeit sei auf viele verschiedene Arten schmerzhaft gewesen, erinnert sich Präsidentin Baker an die Eich-Kontroverse, die Firma und Unterstützer spaltete, aber auch den damaligen Aufsichtsrat nicht gut aussehen ließ. "Mozilla war erschüttert, wir waren als Organisation eine Weile sehr vorsichtig mit unseren Schritten." Sie spricht wie das Management von einer "Wiederbelebung". Im Januar rückte die ehemalige Chefin von Spiegel Online, Katharina Borchert, vom Aufsichtsrat auf den Posten des Chief Innovation Officer. Sie soll Chancen erkennen, die sich in Zukunft bieten.

Kann die Organisation zum Wohl der Öffentlichkeit bessere Produkte bauen?

Führt die Wiederbelebung auch zu einer Wiedergeburt? Schlägt der Strategiewechsel fehl, werden sich die Verantwortlichen vorwerfen lassen müssen, zu sehr von Trend-Themen geblendet gewesen zu sein. Doch die Alternative wäre ein Rückzug in das Browser-Kerngeschäft, das in die Bedeutungslosigkeit zu münden droht. Beides würde Mozilla als Interessenvertretung für ein freies Internet schwächen, ohne dass eine andere Institution in Sicht wäre, die diese Rolle übernehmen könnte.

"Mozilla ist ein großes Experiment", schrieb vor einigen Monaten Produkt-Chef Nick Nguyen, als er seine Rückkehr zur Firma ankündigte. Es sei der Test, ob eine gemeinnützige Organisation zum Wohl der Öffentlichkeit bessere Produkte bauen kann als die bestgeführten Firmen der Welt. Es ist eine gewaltige Mission, die in diesen Worten steckt. Und die wahrscheinlich letzte Chance, die Mozilla hat.

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