Mögliche US-Überwachung von Merkels Handy:Größter anzunehmender Affront

Ihr Handy ist ihre Schaltzentrale: Ein Angriff auf das Telefon Angela Merkels wäre eine Attacke auf ihr politisches Herz. Falls die US-Geheimdienste sie tatsächlich abgehört haben, bekäme die NSA-Affäre eine neue Dimension. Doch die Kanzlerin muss sich auch Vorwürfe gefallen lassen. Denn sie und ihre Minister haben sich in der Affäre bisher durch Abwiegeln hervorgetan.

Ein Kommentar von Robert Roßmann, Berlin

Im ARD-Sommerinterview hatte Angela Merkel die Frage noch abgetan: "Mir ist nichts bekannt, wo ich abgehört wurde", sagte die Kanzlerin. Und man hatte dabei nicht das Gefühl, dass sie das Problem sonderlich ernst nahm. Ihre Antwort klang eher so, als ob sie die Sorge der Journalisten ziemlich übertrieben findet. Das war im Juli. Heute würde die Kanzlerin den Satz wohl gerne aus den Archiven tilgen.

Seit Mittwoch hat die an Vorwürfen wahrlich nicht arme NSA-Affäre eine neue Dimension: Es besteht der begründete Verdacht, dass amerikanische Geheimdienste das Handy der Kanzlerin abgehört haben. Ein größerer Affront durch einen befreundeten Staat ist kaum denkbar. Die USA haben den Vorwurf auf eine erste Anfrage hin nicht ausräumen können, Merkel sah sich zu einem Beschwerde-Anruf bei Barack Obama gezwungen. Dergleichen hat es in der ganzen Amtszeit der Kanzlerin noch nicht gegeben.

Merkel ist damit natürlich zuerst einmal Opfer. Ihr Handy ist ihre Schaltzentrale. Die Bilder von der simsenden Kanzlerin sind legendär. Ein Angriff auf ihr Telefon wäre eine Attacke auf ihr politisches Herz.

Angela Merkel Handy-Affäre

Die Bilder von der simsenden Kanzlerin Angela Merkel sind legendär: Ihr Handy ist ihre Schaltzentrale.

(Foto: REUTERS)

Als Chefin der Bundesregierung muss sich Merkel trotzdem harte Vorwürfe gefallen lassen. Sie selbst hat sich zwar in allen Einlassungen zur NSA eine Hintertür offen gelassen. Die Kanzlerin hat nie endgültig ausgeschlossen, dass die US-Dienste deutsche Politiker ausspähen. Derlei Festlegungen sind auch nicht ihre Art. Aber Merkel ist auch für ihren Kanzleramts- und ihren Innenminister verantwortlich. Die beiden sind eigentlich dafür da, Schaden von Deutschen abzuhalten.

Ronald Pofalla hat trotzdem gemeint, die NSA-Affäre für beendet erklären zu müssen. Und Hans-Peter Friedrich sagte, "alle Verdächtigungen" seien ausgeräumt. Es habe "viel Lärm um falsche Behauptungen" gegeben, die sich nun "in Luft aufgelöst haben". Das war im August. Die Stellungnahmen von Pofalla und Friedrich waren schon damals absurd. Die beiden Minister müssten qua Amt eigentlich die Chefaufklärer sein, sie waren aber nur die Chefverharmloser.

Merkel muss sich aber auch einen zweiten Vorwurf gefallen lassen. Als im Raum stand, dass Deutsche massenhaft von der NSA abgehört werden, schickte sie nur Friedrich in die USA. Jetzt geht es um ihr eigenes Telefon - und auf einmal kümmert sie sich selbst um die Vorwürfe.

Die Kanzlerin hat Glück, dass sich Thomas Oppermann, Andrea Nahles und ihre SPD-Kollegen bereits auf Ministersessel freuen. Noch vor einem Monat hätte sich die Union auf ein Sperrfeuer der Sozialdemokraten einrichten müssen, das Friedrich und Pofalla das Amt hätte kosten können. Jetzt leitet Oppermann gemeinsam mit Friedrich die Koalitionsarbeitsgruppe für Inneres und Justiz. Und Nahles sitzt zusammen mit Pofalla in der Steuerungsgruppe für die gesamten Koalitionsverhandlungen.

Im August hatte Oppermann, der auch Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums ist, die Regierung noch täglich angegriffen. Sein Statement von Mittwochabend war dagegen butterweich: Oppermann verlangte Aufklärung von den USA, von einer harten Attacke auf die Bundesregierung war nichts zu hören.

Die neuen Vorwürfe werfen aber auch ein neues Schlaglicht auf Obama und die US-Geheimdienste. Bei seinem Deutschlandbesuch hatte der amerikanische Präsident großspurig eine vertrauensvolle Zusammenarbeit versprochen. Den Glauben daran scheint jetzt sogar Merkel verloren zu haben. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie Obamas Geheimdienste mit verfeindeten Staaten umgehen, wenn man sieht, wie sie sich gegenüber ihren engsten Bündnispartnern verhalten. Barack Obama ist kein Friedensnobelpreisträger, sondern ein Unfriedensstifter.

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