Mobilfunk:Deutschland, Land der Funklöcher

  • An diesem Donnerstag findet in Berlin ein Mobilfunkgipfel mit Vertretern von Unternehmen und Bundesländern statt, um über den miserablen Zustand der Netze in Deutschland zu sprechen.
  • Gute Mobilfunkverbindungen mit hohen Übertragungsraten werden für Bürger und Unternehmen immer wichtiger.
  • Die Bundesregierung hat ein starkes Druckmittel: Im kommenden Frühjahr sollen Frequenzen für den künftigen Mobilfunkstandard 5G versteigert werden.
  • Im Koalitionsvertrag hat man sich darauf geeinigt, neue Frequenzen nur "gegen flächendeckende Versorgung" zu versteigern.

Von Markus Balser, Kleßen-Görne

Was es heißt, auf einem weißen Fleck der Mobilfunkkarte zu leben? Joachim Tessenow, 51, weiß das nur zu gut. Von seinem Haus im 360-Seelen-Dorf Kleßen-Görne in Brandenburg muss er ein paar Hundert Meter die Straße entlang laufen, um Anschluss zu finden. Den Kunden seines Bauunternehmens aus anderen Teilen Deutschlands könne er kaum erklären, warum er oft stundenlang nicht erreichbar sei, sagt der Mann, der zugleich ehrenamtlicher Bürgermeister ist. Die Feuerwehr hat ganz andere Probleme. Bei Einsätzen bricht der digitale Kontakt zur Leitstelle ab. Nur wenn der Wind von Westen weht, sehen die Kleßen-Görner schon mal einen Balken auf dem Handy - es sei denn es regnet. Das sei ein wenig wie in der Dritten Welt, klagt Tessenow.

Der kleine Ort nordöstlich von Berlin steht für ein ärgerliches Phänomen in ganz Deutschland. Vor allem in ländlichen Regionen sind die Verbindungen teils miserabel. An diesem Mittwoch erlöste die Telekom das Dorf von der Sprachlosigkeit und stellte zwei Funkmasten auf. Deutschlands Digitalminister Andreas Scheuer (CSU) war dafür nach Kleßen-Görne gekommen. Schon am Donnerstag will Scheuer in Berlin auf einem Mobilfunkgipfel mit Vertretern von Unternehmen und Bundesländern für das ganze Land nach Lösungen suchen. "Wir werden ungeduldig", sagt er. Der Zustand der Netze sei für eine Wirtschaftsnation schlicht nicht akzeptabel.

Alltag ist er trotzdem. Es gibt keine verlässlichen Statistiken, wie viele Menschen in Deutschland vom Mobilfunknetz abgeschnitten sind. Doch selbst vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass Landstriche mit fast zwei Millionen Einwohnern ernste Probleme haben, weil der nächste Mobilfunkmast zu weit weg ist. Die Telekom kommt auf gut 80 Prozent Netzabdeckung in der Fläche - und ist damit der führende Anbieter. Bei der Konkurrenz steckt man häufiger im Funkloch.

Der Aufbau zusätzlicher Masten rentiert sich oft nicht

Die drei großen Anbieter Telekom, Vodafone und die O2-Mutter Telefonica versorgen vor allem Ballungszentren mit guten Verbindungen. Auf dem Land ist das Geschäft für sie weniger lukrativ. Im Bayerischen Wald, in Mecklenburg oder der Lausitz rentiert sich der Aufbau zusätzlicher Masten nicht.

Kunden können dagegen wenig machen. Ein Recht auf Handyempfang gibt es nicht. Und die Mobilfunkanbieter kommen der Pflicht zur Netzabdeckung von 96 Prozent der Bevölkerung schon nach, wenn nur einer seinen Kunden Empfang bietet. Zudem verlässt sich die zuständige Bundesnetzagentur bei den Angaben auf die Unternehmen. Und die Auflagen orientieren sich an der Wirtschaftlichkeit. Selbst bei Zweifeln lässt es die Behörde deshalb in der Regel nicht auf eine Konfrontation vor Gericht ankommen.

Dabei drängt die Zeit. Eigentlich sollen schon in ein paar Jahren automatische Autos durch Deutschland fahren und Herzschrittmacher auch auf dem Land digital überwacht werden. Gute Mobilfunkverbindungen mit hohen Übertragungsraten werden in allen Lebensbereichen immer wichtiger. Im Kampf um bessere Netze will die Bundesregierung in diesem Jahr einen Funklochmelder auf den Markt bringen - eine Beschwerde-App für die Betroffenen. Nur wenn die Regierung wisse, wo es weiße Flecken gebe, könne sie den Anbietern auf die Füße treten, heißt es in Berlin.

Druckmittel 5G-Frequenzen

Aufstellung eines mobilen Telekom-Funkmastes

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (vorne links, CSU), und Walter Goldenits, Vorstand Technik bei der Telekom Deutschland, auf ihrem Weg zur offiziellen Einweihung eines mobilen Funkmastens in Kleßen-Görne.

(Foto: dpa)

Denn die Bundesregierung hat ein starkes Druckmittel. Im kommenden Frühjahr sollen Frequenzen für den künftigen Mobilfunkstandard 5G versteigert werden. Es geht um Milliardengeschäfte. Union und SPD haben sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, neue Frequenzen nur "gegen flächendeckende Versorgung" zu versteigern. Scheuer hatte deshalb vor dem Gipfel am Donnerstag versucht, die Anbieter zum Schließen der Funklöcher bis Ende 2021 zu drängen - und zwar verbindlich. Im Gegenzug sollten sie bei der Auktion passable Bedingungen bekommen.

Doch nach Angaben aus Kreisen der Regierung gab es bislang kein Ergebnis. Noch sei völlig offen, ob der Gipfel Beschlüsse bringe. Bis zum Start am Donnerstag wolle Scheuer Gespräche mit Vorständen von Telekom, Vodafone und Telefonica führen. Von "steigerungsfähiger Kompromissbereitschaft" ist die Rede.

Die Opposition fürchtet, dass sich der Anschluss der Deutschen sogar noch verschlechtern könnte. "Das Mobilfunknetz wird zunehmend langsamer, weil der Netzausbau nicht mit dem zunehmenden Datenvolumen Schritt hält", sagt Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer. Schon seit Jahren dümpele Deutschland beim Mobilfunk auf den hinteren Plätzen in Europa. In Albanien sei die Netzabdeckung besser.

In Kleßen-Görne tauchten am Mittag immerhin die ersten Balken auf den Handys auf. "Die vielen Jahre Kampf haben sich gelohnt", sagte Bürgermeister Tessenow. Das Dorf könne zum Symbol für den Aufbruch in ein neues Netzzeitalter werden, lobte Scheuer, der Telekom-Chef Timotheus Höttges dazu gebracht hatte, die Masten aufzustellen. "Nach ein paar Gesprächen hat er aufgegeben", so Scheuer. Bei der Telekom sieht man allerdings kein Modell für das ganze Land: zwei Masten für bis zu 400 000 Euro und weniger als 400 Bewohner. Wirtschaftlich sei das natürlich nicht - und werde wohl eher eine Ausnahme bleiben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: