Mit dem Turbo ins Netz:Zwei Drähte für 100 Millionen Bits

Wie Ingenieure das Internet von morgen durch die Kabel von gestern jagen

Helmut Martin-Jung

Die Welt kommt durch zwei Drähte auf den Bildschirm, die zwischen 0,25 und höchstens 0,8 Millimeter dick sind. Paarweise verdrillt, vereinigen sich die dünnen Kupferfäden mit weiteren Adernzwillingen aus anderen Häusern oder Wohnungen, um schließlich als zentimeterdicker Kabelbaum zur Vermittlungsstelle zu führen.

Mit dem Turbo ins Netz: DSL-Geschwindigkeiten (klicken zum Vergrößern)

DSL-Geschwindigkeiten (klicken zum Vergrößern)

(Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Das war schon so, als am anderen Ende des Kupferdrahtes noch das Fräulein vom Amt wartete. Das gute alte Telefonnetz ist heute aber auch das Wegesystem für die digitale Welt und wird es auch noch eine ganze Weile bleiben. Für die Datenübertragung wurde es nicht entworfen, dementsprechend müssen die Telekommunikations-Ingenieure kreativ sein, um aus der alten Technik noch die letzten Quäntchen an Übertragungsleistung herauszuquetschen.

Eine DVD in fünf Minuten

So wie mit vDSL-2, dem jüngsten Turbo unter den Internet-Anbindungen, von dem derzeit die ersten Anschlüsse gelegt werden. Der neue Standard erlaubt Übertragungen mit einer Rate von bis zu 100 Megabit pro Sekunde - die 4,7 Gigabyte einer kompletten DVD herunterzuladen, dauert dann nur noch etwa fünf Minuten. Aber auch Daten zu verschicken, funktioniert mit dem neuen Standard anders als bei den bisher üblichen Verfahren genauso schnell.

Soweit die Theorie. Welche Schwierigkeiten die Praxis bereithält, damit befasst sich Mathias Leibiger. Er und seine Kollegen an der Fraunhofer-Einrichtung für Systeme der Kommunikation (ESK) in München arbeiten an Verfahren, um das neue DSL noch schneller und stabiler zu machen.

Die Probleme, die es bei DSL und allen darauf aufbauenden Verfahren gibt, hängen vor allem mit zwei Grundübeln zusammen. Je länger eine Leitung ist, desto mehr "dämpft" der Widerstand des Kabels das Signal. Irgendwann wird es so schlecht, dass es die Gegenstelle nicht mehr versteht - die Verbindung bricht ab. Problem Nummer zwei: Da in den Kabelbäumen die Kupferdrähte sehr nahe beieinander liegen, können Signale der einen Leitung die einer anderen stören - die Techniker nennen das Übersprechen.

Kürzere Kabel für High-Speed

Da die Zahl der DSL-Anschlüsse in Deutschland sehr stark zunimmt - von 2005 auf 2006 etwa stieg sie um mehr als 83 Prozent von 2,4 auf 4,4 Millionen -, leiden in Gegenden mit hoher Anschlussdichte DSL-Kunden schon heute an Einbußen in der Signalqualität. Je schneller ein DSL-Anschluss sein soll, desto größer werden die damit verbundenen Probleme.

Für die schnelleren DSL-Varianten werden höhere Frequenzspektren zur Übertragung genutzt. Aber gerade in höheren Frequenzbändern schlägt die Dämpfung durch das Kabel zu. Das heißt: Je schneller man mit dem Internet verbunden werden soll, desto kürzer muss die Strecke zur nächsten Vermittlungsstelle sein. Normales DSL verträgt Leitungslängen von etwa 2,5 Kilometern, beim neuen vDSL-2 dürfen es dagegen nur noch höchstens 500 Meter sein.

Fragen wie diesen gehen Mathias Leibiger und seine Kollegen in ihrem Testlabor auf den Grund. Als einer der ersten in Bayern hat die Fraunhofer-Einrichtung einen vDSL-2-Anschluss. Mit verschiedenen Geräten können sowohl die Eigenschaften bestimmter Kabelarten und Querschnitte simuliert werden. Aber vom Labor aus sind auch echte Kabel in die Tiefgarage und zurück verlegt, weil einige Problemstellungen einfach nur an real existierenden Kabeln überprüft werden könnten, wie Mathias Leibiger erläutert.

Intelligentes Signal für mehr Geschwindigkeit

Eines der Projekte, an denen dabei gearbeitet wird, nennt sich Dynamic Spectrum Management (DSM). Dahinter steckt ein Verfahren, das erfolgreich versucht, die Beschränkungen und Widrigkeiten zu umgehen, die sich aus dem Zwang ergeben, das herkömmliche Telefonnetz für Datenübertragungen zu benutzen. Welches Spektrum ein DSL-Verfahren benutzt, wird bis dato meist unveränderlich festgelegt. DSM dagegen analysiert ständig, was sich auf einer Leitung abspielt und passt das Frequenzspektrum des vDSL-2-Signals daran an. Ist ein Frequenzband durch viele DSL-Teilnehmer bereits überlastet, weicht der DSM-Automatismus auf eine weniger benutzte Frequenz aus.

"Ein solches System sollte sich auch im Störungsfall zurechtfinden", sagt Helmut Steckenbiller, Leiter des Bereichs Carrier Systems bei der ESK. Verwandte Verfahren setzen DSL-Anbieter teilweise schon jetzt ein, um ihren Kunden möglichst viel Bandbreite bieten zu können. In der Praxis heißt das oft: Mal läuft mehr durch die Leitung, mal aber auch weniger. Ist die Grenze dagegen starr gesetzt, bricht die Verbindung ab, wenn die Leitung weniger Datendurchsatz hergibt. Damit das möglichst nicht passiert, wird deshalb eine Reserve mit eingeplant.

Die Anwendung ist noch unklar

Am Anfang der Entwicklung hofften die Wissenschaftler noch darauf, dass DSM die Leistungsfähigkeit von vDSL-2-Leitungen verdoppeln könne, mittlerweile habe die Praxis gezeigt, dass es nur etwa 50 Prozent seien, sagt Erik Oswald von der ESK. Aber auch um eine solche Leistungssteigerung herauszuholen, wären sowohl bei den Nutzern wie auch in den Vermittlungsstellen neue Geräte nötig. Mit den bestehenden Geräten ist nach Einschätzung der ESK-Wissenschaftler ein Plus an Leistung von bis zu 25 Prozent drin - sofern man auf diese Geräte eine neue Betriebssoftware aufspielen kann.

Bleibt die Frage, was die Nutzer mit so leistungsfähigen Anbindungen einmal anstellen wollen. "Der Bedarf ist nicht immer zu sehen", räumt ESK-Mann Steckenbiller ein. Selbst um Fernsehen in hochauflösender Qualität (HDTV) zu empfangen, reicht ein Durchsatz von zehn bis 15 Megabit problemlos aus, wie sich an dem Testanschluss bei der ESK überprüfen lässt. Das TV-Bild wird störungsfrei übertragen, auch dann, wenn die Leitung parallel dazu genutzt wird, Daten herunter zu laden. Was also tun mit den vielen Megabits?

Vielleicht kann man im Moment tatsächlich bloß noch nicht genau sehen, wofür man so viel Leitungskapazität braucht. Auch die erste DSL-Variante war schließlich Ende der achtziger Jahre für einen ganz anderen Zweck entworfen worden als für das Internet. Damals ging es um die Idee, Filme auf Bestellung ins Haus zu liefern. Das World Wide Web gab es damals noch gar nicht.

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