Missliebige Online-Biographie:Der Wikipedia-Feldzug

Linke-MdB Heilmann fühlt sich durch seinen Wikipedia-Eintrag verleumdet - und lässt die Startseite lahmlegen. Nach heftiger Kritik rudert er zurück.

Tobias Dorfer

Kein Anschluss unter dieser Adresse: Internetnutzer, die seit dem späten Freitagabend versuchten, über die Adresse wikipedia.de auf die Online-Enzyklopädie zuzugreifen, sahen weder die gewohnte blassblaue Oberfläche, noch eine Suchmaske - und schon gar keine Artikel. Lediglich eine dürre Botschaft erreichte die Internetgemeinde. Darin verwiesen die Betreiber auf eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Lübeck, wonach es dem deutschen Wikimedia-Verein untersagt ist, über die Startseite wikipedia.de auf das beliebte Internetlexikon weiterzuleiten. Lediglich über die Adresse de.wikipedia.org funktionierte der Zugriff.

Missliebige Online-Biographie: Lutz Heilmann sitzt seit 2005 für die Linke im Bundestag. In den achtziger Jahren arbeitete er als Personenschützer bei der Stasi.

Lutz Heilmann sitzt seit 2005 für die Linke im Bundestag. In den achtziger Jahren arbeitete er als Personenschützer bei der Stasi.

(Foto: Foto: dpa)

Den Stecker zog Lutz Heilmann, der seit 2005 für die Linkspartei im Bundestag sitzt. Seine Abgeordneten-Biographie weist den 42-Jährigen als Rechtsreferendar am Lübecker Landgericht aus. Dem Gericht also, von dem die Verfügung erlassen wurde. Vor seiner juristischen und politischen Karriere - genauer gesagt von 1985 bis Januar 1990 - arbeitete er in der Abteilung Personenschutz des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.

"Ehrabschneidende Inhalte"

Die Stasi-Tätigkeit war unter anderem Gegenstand des Eintrags "Lutz Heilmann" in der Online-Enzyklopädie. Anstoß nahm der Politiker aber auch an der Behauptung, er habe in Lübeck angeblich einen Online-Sexshop betrieben. Durch die "falschen, ehrabschneidenden und deshalb mein Persönlichkeitsrecht verletzenden Inhalte" fühlte sich Heilmann kompromittiert. Deshalb schaltete er eine Anwältin ein - und wikipedia.de ab. Zudem habe er auch noch drei Strafanträge gegen Online-Autoren gestellt. Heilmann ist in der schleswig-holsteinischen Linkspartei umstritten. Sein Wikipedia-Eintrag wurde offenbar auch von Computern, die dem Netzwerk des Bundestags zuzuordnen sind, geändert.

Lesen Sie auf Seite zwei, was die Linkspartei zu Heilmanns juristischen Scharmützeln sagt.

Der Wikipedia-Feldzug

Thorsten Feldmann, Anwalt von Wikimedia, des Vereins, der die Seite betreibt, räumt ein, dass die umstrittenen Aussagen über Heilmann, sofern wahr, schädlich für dessen politische Karriere sein könnten. Trotzdem sei die Reaktion unverhältnismäßig. "Man kann nicht dafür sorgen, dass deshalb die deutsche Startseite dichtgemacht wird." Zumal sich der Politiker das falsche Ziel ausgesucht habe. Denn der deutsche Verein betreibt lediglich die Startseite wikipedia.de. Alle Einträge, auch die über Lutz Heilmann, befinden sich jedoch auf den Servern der Wikimedia Foundation in den USA. "Es gibt bislang keine rechtliche Entscheidung, die dem deutschen Verein die Verantwortung für das internationale Angebot unterstellt", sagt Feldmann.

"Mit Kanonen auf Spatzen geschossen"

Wenig begeistert sind auch die Verantwortlichen der Linkspartei vom Online-Feldzug ihres umstrittenen Mandatsträgers. Heilmann habe "mit Kanonen auf Spatzen geschossen", kritisiert der Sprecher seiner Fraktion. Auch dem Abgeordneten selbst scheint der Fall mittlerweile unangenehm zu sein. In einer Erklärung vom Sonntag bedauert er die Sperrung und kündigt an, "dass ich keine weiteren juristischen Schritte unternehmen werde". Die Weiterleitung von wikipedia.de auf die Enzyklopädie könne ab sofort wieder geschaltet werden.

Trotzdem bleibt wikipedia.de auch am Montagmorgen vorerst offline. Der Betreiber will Anwalt Feldmann zufolge warten, bis das Lübecker Gericht die Verfügung offiziell aufgehoben hat.

Für Lutz Heilmann ist der Fall aber noch nicht ausgestanden. Nicht nur, weil die umstrittenen Details aus seinem Leben plötzlich von der gesamten Internetgemeinde freudig diskutiert werden. Auch juristisch könnte das Wikipedia-Wirrwarr weitere Folgen haben. Theoretisch könnte Wikimedia Schadenersatz für den entstandenen Aufwand verlangen. Doch davon will der Verein nichts wissen: "Wir werden sicherlich nicht nachtreten", sagt Anwalt Feldmann.

In einer Hinsicht profitierte Wikipedia sogar von der Heilmann-Aktion: Während sonst durchschnittlich 3000 Euro pro Tag an Spenden eingenommen werden, schnellte am Samstag das Spendenvolumen auf über 16.000 Euro hoch - Rekord.

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