Meinungsfreiheit im Internet:"Ich möchte, dass alle Plattformen Nazi-Propaganda löschen"

Anstatt Neonazi-Accounts transparent zu blocken, sollte Twitter sie komplett löschen. Denn hinter der freien Meinungsäußerung verstecken sich allzu oft Menschen, die einfach nur ihrem Hass gegen fremde Kulturen freien Lauf lassen wollen.

Stephan Urbach

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Debatte über Twitters Blockadepolitik: Wie stark muss Twitter die Inhalte auf seiner Plattform kontrollieren und im Zweifelsfall zensieren?

(Foto: AFP)

Machen wir uns nichts vor - Twitter ist nicht nur toll und schön. Es tummeln sich dort allerlei Menschen, die gar merkwürdige Ansichten vertreten: Atomkraftbefürworter, Maskulisten, Evolutionsleugner, Verschwörungstheoretiker, Antisemiten und Nazis. Sie alle haben gemein, dass sie gerne und oft ihre teilweise kruden Thesen und Meinungen ins Internet posaunen. Es ist alles dabei, auch in Deutschland strafrechtlich relevante Inhalte.

Es gibt zwei Möglichkeiten als Twitter-Nutzer damit umzugehen: Ignorieren und wegblocken oder mit den Menschen hinter den Accounts zu diskutieren. Beides ist nicht befriedigend, Letzteres vor allem nervenaufreibend und sinnlos. Während wir uns über Nazis und Andere aufregen, twittern anderswo Aktivistinnen und Aktivisten über Missstände in ihren Ländern. Sie machen darauf aufmerksam, dass es in ihren Ländern Mord, Folter und Haft für diejenigen gibt, die sich gegen ihre Regierung wenden.

Als Twitter im vergangenen Januar sein "Zensursystem" vorstellt, ist die Stimmung in der Netzgemeinde gut. Endlich könne man transparent nachvollziehen, wann welches "Unrechtsregime" Tweets eines Menschenrechtsktivisten zensieren lassen will, heißt es. Der Rest der Welt würde den Tweet noch sehen können und sich weiterhin ein Bild über die schlimme Lage machen können, denn die Tweets werden nur für bestimmte Länder ausgeblendet und nicht gelöscht.

Twitter macht Eingriffe transparent

Twitter ist sehr transparent, was das Entfernen von Tweets betrifft. So werden zum Beispiel alle DMCA Takedown Notices bei chillingeffects.org gelistet. Die Nutzerinnen und Nutzer können somit nachvollziehen, wie viele solcher Verfahren durchgeführt worden sind. Alles in allem eigentlich eine schöne Situation - transparentes Entfernen von Tweets, transparentes Ausblenden für bestimmte Länder.

Die im Januar eingeführten Zensurmechanismen von Twitter wurden bislang nicht benutzt. Nun geht es um den Account einer verbotenen Neonazi-Organisation aus Hannover. In der Verbotsverfügung wird das Schließen des Twitteraccounts angeordnet. Twitter hat auf die Anfrage der Polizei Hannover so reagiert wie angekündigt: Der Account ist für Nutzerinnen und Nutzer, die bei Twitter einen deutschen Wohnort angegeben haben, nicht mehr zu sehen.

Nazis werden nur ausgeblendet

Das Problem ist damit aber nicht behoben: Die Tweets der Neonazis stehen weiterhin im Netz - erreichbar aus jedem Land der Welt. Auch als Nutzer aus Deutschland kann ich mir die Inhalte ansehen, wenn ich einfach meinen Wohnort bei Twitter ändere und zum Beispiel London angebe. Viele Twitterer haben beispielsweise immer noch den im Jahr 2009 aus Solidaritätsgründen eingestellten Wohnort Teheran im Profil stehen - diese werden die in Deutschland verbotenen Tweets sehen.

Hier zeigt sich die komplette Absurdität beim Umgang mit Nazis. Anstatt als Unternehmen Haltung zu zeigen und Nazis nicht zu dulden, werden sie ausgeblendet. Es ist wie die Zensursula-Debatte in Deutschland: Nur, weil ein Tweet oder ein gesamter Account ausgeblendet wird, heisst das nicht, dass die Propaganda der Nazis im Netz nicht mehr da ist.

Twitter ist nicht neutral und soll es auch nicht sein

Das von den Twitterern gefeierte Zensursystem wurde als erstes von Deutschland in Anspruch genommen, wo wir doch alle dachten, dass zuerst ein Unrechtsstaat diese Mechanik in Anspruch nehmen würde und wir aus unserer sicheren Position vor den Bildschirmen das Unrecht der Welt immer noch lesen können würden. Unser westliches Weltverständnis macht uns blind dafür, dass wir auf der einen Seite Freiheitskämpfer haben auf der anderen aber Nazis stehen. Der Umgang muss jeweils ein anderer sein. Eine unter amerikanischer Jurisdiktion stehende Firma wird von uns oft als neutral angesehen. Dabei ist sie es gar nicht und wäre sie es, dürfte es sie nicht sein.

Ich möchte, dass alle Plattformen Nazi-Propaganda löschen, aus dem Netz tilgen und keine Öffentlichkeit für Rechtsradikale mehr erlauben. Natürlich sind die Tweets, die die Hannover Neonazis publiziert haben in den USA nicht strafbar und es gibt keinen juristischen Grund für Twitter, sie zu entfernen. Dennoch gibt es einen Grund, diese Tweets zu löschen: Haltung. Haltung gegen Rassismus, gegen Diskriminierung und gegen menschenverachtende Ideologien.

Meinungsfreiheit endet, wenn Menschen diskriminiert werden

Menschenverachtung ist keine Meinung, sondern eine geäußerte Einstellung. Nach meinem moralischem Kompass muss man die zugrunde liegende Ideologie bekämpfen. So lange wir das nicht geschafft haben, dürfen wir den Menschenverachtern niemals ein Podium bieten. Das hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun, sondern mit einer aufgeklärten Geisteshaltung.

Meinungsfreiheit endet immer dann, wenn Menschen diskriminiert und unterdrückt werden. Leider gibt es dafür keinen länderübergreifenden Konsens. Die freie Rede in den Vereinigten Staaten ist ein Motor für diskriminierendes Verhalten und ein Motor für Hass. Hinter dem hohen Gut der freien Meinungsäußerung verstecken sich viele Menschen, die einfach nur ihrem Hass gegen fremde Kulturen freien Lauf lassen wollen. Eben so, wie es die Nazis tun. Deshalb sollte für Twitter gelten: Naziaccounts löschen statt sperren.

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