Markenbildung bei Second Life:Sei einfach, was Du sein willst!

Im Online-Spiel "Second Life" kann jeder seine Erscheinung selbst gestalten - und damit von einer Person zur Marke werden.

Jürgen Schmieder

Adam Pasick ist ein gefragter Mann. Seine Texte erreichen mehr als eine Million Leser, auf dem Weltwirtschaftsforum wollten führende Ökonomen und Politiker von ihm interviewt werden. Das Besondere: Pasick ist bekannt unter dem Namen Adam Reuters. So heißt seine Figur in "Second Life" - seine Berichte erscheinen exklusiv im Online-Universum.

Die Nachrichtenagentur Reuters hat ein Büro in der virtuellen Welt eingerichtet, Adam Pasick ist der Chefredakteur. Er war einer der ersten, der davon berichtete, dass die schwedische Regierung eine Botschaft in Second Life errichtet. Adam Reuters ist nicht nur eine Figur im Spiel. Er ist eine Institution, eine Marke.

Um den Aufstieg von Person zur Marke geht es bei der Existenz im Internet. "Second Life" bedeutet die virtuelle Wiedergeburt. Der Ausspruch ,,Bleib' wie Du bist!'' hat im digitalen Zeitalter ausgedient. Im Metaversum gibt es ein neues Motto: ,,Sei einfach, was Du sein willst!'' Wenn Religion des Volkes Opium ist, dann ist Second Life sein LSD.

Superheld, Monster oder Ritter

Die Grundausstattung jeder Figur - Jeans und T-Shirt - sind im Online-Universum Relikte aus der realen Welt, die man schnell loswerden möchte. Danach gibt es keine Grenzen mehr: Man kann Superheld sein, mythisches Monster oder Ritter. Man kann aber auch als Wolke durch die Gegend schweben.

Dabei muss der Spieler diese Gestalt nicht sein virtuelles Leben lang behalten. Innerhalb von Sekunden kann er jemand anderes sein. Die Spielerin Chip Midnight etwa schreibt auf der Second-Life-Homepage: ,,Entschuldigen Sie mich einen Moment, während ich das Geschlecht wechsle, danach werde ich einige meiner neuesten Experimente vorführen.''

Den Spielern ist klar, dass sie durch ihr Aussehen Botschaften vermitteln. Schließlich interagieren sie nicht mit einem Computerprogramm, sondern mit realen Menschen. Und wie im wirklichen Leben zählt der erste Eindruck. Mit dem Unterschied, dass der Online-Eindruck manipulierbar und austauschbar ist - je nachdem, für welches Image man sich zu einer bestimmten Zeit entscheidet.

Ein virtuelles Spiegelbild seiner selbst zu erstellen ist da schon fast langweilig, obwohl gerade das interessante Experimente zulässt: Würde sich eine Diät lohnen? Käme ich als Rockstar mit Narben im Gesicht glaubhaft rüber? Und stehen mir die Turnschuhe, die ich da im Schaufenster entdeckt habe?

Reales Geld für nicht-reale Dinge

Unternehmen haben deshalb erkannt, wie wichtig es ist, sich in Second Life zu positionieren. Musikgigant Sony etwa eröffnete ein riesiges Gebäude mit Club, Chill-Out-Area und Konzertarena. Freilich kann man die neuesten Songs der Sony-Künstler direkt herunterladen.

So auch im adidas-Store, wo die Spieler mit ihren Figuren einkaufen gehen - und reale Dollar für ein virtuelles Paar Schuhe bezahlen. Noch einmal: Reales Geld für nicht-reale Dinge. Die daraus resultierende Botschaft ist klar: Die Existenz im Online-Universum ist beinahe so wichtig wie die im wirklichen Leben.

Durch "Second Life" vermischen sich Vitualität und Realität. Ein Avatar in Second Life verbraucht aufgrund der benötigten Serverleistung fast so viel Strom wie eine Person im wirklichen Leben. Es scheint den Aufwand wert zu sein, immer mehr Menschen betreiben Selbst-Marketing im Internet. Der amerikanische Politiker Mark Warner etwa, der Ambitionen auf die Präsidentschaft hegt, veranstaltete in Second Life ein Wahlkampf-Event. Die Band Duran Duran gab im August ein Konzert im Metaversum. Professoren verlegen ihre Seminare in Online-Hörsäle.

Bleibt nur die Frage, was passiert, wenn Second Life einmal aufhört zu existieren. Für die Menschheit im Metaversum wird sich dieser Moment anfühlen wie der jüngste Tag.

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