Mann heiratet Computerfigur:Am Ende der Virtualität

In Asien hat erstmals ein Mensch eine virtuelle Figur geheiratet, Zeremonie mit Priester inklusive. Die Grenze zwischen Realität und Computer verschwindet immer mehr.

Jürgen Schmieder

Will Wright wusste es schon vor fünf Jahren. "Wir müssen die Emotionen der Spieler kitzeln", sagte der Erfinder des erfolgreichen Computerspiels "The Sims" damals. "Die Menschen sollen nicht mehr nur Spaß vor dem Computer haben. Sie sollen jubeln, sie sollen weinen, sie sollen sich verlieben." Nun ist Wrights Vision Realität geworden: Ein Japaner hat sich nicht nur in eine virtuelle Figur verliebt, er hat sie geheiratet.

Mann heiratet Computerfigur: Nene Anegasaki, die Ehefrau von "SAL9000".

Nene Anegasaki, die Ehefrau von "SAL9000".

(Foto: Foto: oh)

Nene Anegasaki heißt die Braut, sie ist ein junges Mädchen mit großen Augen und langen Haaren. Meistens lächelt sie, hin und wieder zwinkert sie einem zu. Sie kann sogar küssen, auch wenn ihre Lippen nie den Mund des Spielers berühren. Sie eine der Protagonistinnen im Computerspiel Love Plus, erschienen auf der tragbaren Konsole Nintendo DS. Im Spiel geht es darum, eine von drei Frauen für sich zu gewinnen. Man kann via Spracherkennung und Touchpen mit den Frauen kommunizieren, nachts sind über diese Bedienelemente auch andere Dinge möglich. Ein Ende des Spiels gibt es nicht - es soll ewig dauern, der Spieler soll bis zum Ende seiner Tage mit seiner virtuellen Braut zusammen sein. Das will auch der Japaner, der sich nur "SAL9000" nennt.

Er organisierte eine Trauung in einer Kirche auf Guam - einer US-Insel im Westpazifik -, die live im Internet übertragen wurde. Im weißen Anzug und mit roter Intellektuellenbrille steht SAL9000 vor dem Altar, in der Hand hält er seine Konsole. Vor der Trauung wird ein Video gezeigt, das die Geschichte des Liebespaares erzählt. Er habe schon zahlreiche virtuelle Freundinnen gehabt, heißt es. Aber Nene sei nun die richtige, die einzige, die Frau fürs Leben. Nenes Trauzeuge, übrigens auch eine virtuelle Figur, hält eine ergreifende Rede, dann verheiratet ein Priester den realen Mann und die virtuelle Frau. Ringe werden nicht getauscht.

Mehr als pixelige Männerträume

"Diese Hochzeit ist das Ergebnis einer Sozialisation, bei der Virtualität und Realität vermischt werden", sagt der Soziologe Murat Mermer. "Die Menschen treffen sich online, Meetings werden in virtuellen Räumen abgehalten. Die Menschen haben diese Entwicklung mittlerweile begriffen, das Virtuelle wird real." Er sieht kein Problem bei der Vermählung, auch wenn er einschränkt: "Eine reale Beziehung zu Menschen kann die Liebe zu einer Computerfigur nicht ersetzen."

Frauen in Computerspielen, das waren lange Zeit Pixel gewordene Männerträume: vollbusige Mädchen, die so leicht bekleidet waren, dass sofort zu erkennen war, dass virtuelle Frauen keine Cellulite haben. Optisch waren diese Charaktere zweidimensional, ihr Verhalten hatte meist noch eine Dimension weniger. Sie waren gutaussehendes Beiwerk, das befreit (die Maiden in Defender of the Crown, Elvira in Mistress of the Dark), oder verführt (Fawn in Leisure Suit Larry, Elaine Marley in Monkey Island) werden musste.

Wenig später wurden Frauen als Protagonisten in Computerspiele eingeführt, Jill Valentine etwa im Spiel Resident Evil oder Nina Williams in Tekken. Die erste Frau indes, die es über den Status der hübschen Zugabe hinaus schaffte, war Lara Croft in der Serie Tomb Raider. Croft ist eine finanziell unabhängige Archäologin, stets auf der Suche nach verborgenen Schätzen und Abenteuern, eine Art weiblicher Indiana Jones.

Croft hing als Poster nicht nur in einsamen Kellerzimmern, sie verfügt über einen Eintrag im Guinness Buch der Rekorde als "erfolgreichste Heldin in Computerspielen aller Zeiten", sie gilt neben den comicartigen Mario und Sonic als bekannteste Computerfigur der Welt. Doch freilich ist auch sie eine Frau mit Engelsgesicht, Wespentaille und Körbchengröße D - im Film wurde sie zwei Mal von Angelina Jolie verkörpert, für den dritten Teil soll Megan Fox verpflichtet worden sein.

Nach der Eroberung gefällig

Nene Anegasaki ist anders. Ja, sie ist hübsch und hat einen Körperbau, wie ihn nur Computerspielzeichner und Schönheitschirurgen hinbekommen. Aber sie ist keine Figur, die sich vom Spieler herumkommandieren lässt. Sie will erobert werden mit Blumen, feinem Essen und netten Gesten, hin und wieder zickt sie rum. "Diese Figuren haben menschliche Züge, sie sind keine Roboter", sagt Mermer. "Sie lachen und weinen. Und das löst natürlich auch beim Spieler Emotionen aus, die so weit gehen, dass sie sich in die Figur verlieben."

Nach der Eroberung indes wird selbst Nene gefällig. "Wenn das Mädchen weiß, was der Spieler mag und was er verabscheut, dann verändert sie ihre Persönlichkeit und ihre Gefühle - selbst ihre Sprache wird sich ändern", heißt es in der Beschreibung des Spiels. Nene Anegasaki ist am Ende also doch keine eigenständige Frau - sie ist und bleibt das Produkt eines Entwicklers und damit eine Phantasie.

Menschen kommunizieren über das Internet, sie pflegen Freundschaften über Facebook und halten Online-Stammtische ab. "Die Grenze zwischen Virtualität und wirklichem Leben wird verschwimmen", sagte Will Wright vor Jahren. Der Japaner SAL9000 freilich wollte durch seine Aktion berühmt werden, derzeit wird kolportiert, dass alles nur ein PR-Gag gewesen sei. Die Hochzeit ist jedoch rechtskräftig, wie der Priester auf Guam bestätigte. Und auch wenn Kulturpessimisten nun die Hände über dem Kopf zusammenschlagen: Spätestens seit der ersten Hochzeit zwischen Mensch und Computerfigur ist wieder ein Stück Grenze zwischen Realität und Virtualität verschwunden.

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