Klage gegen Google in Frankreich:Antisemitismus versus Algorithmus

Wer bei Google in Frankreich nach Prominenten sucht, erhält als erste Eingabemöglichkeit häufig das Wort "Jude". Vier Menschenrechtsorganisationen bezichtigen den Konzern deshalb des Rassismus - nun muss ein Gericht die Sache klären.

Michael Kläsgen

Vier französische Menschenrechtsorganisationen haben den US-Konzern Google des "latenten Antisemitismus" bezichtigt und deshalb angezeigt. Sie haben es geschafft, dass sich Google Frankreich in zehn Tagen wegen seiner Suchfunktion "Autocomplete" vor einem Gericht in Paris verantworten muss - falls es nicht zu einer außergerichtlichen Einigung kommen sollte, wonach es nicht aussieht.

DECADE-FRANCE-US-COMPANY-BOOKS-INTERNET-GOOGLE

Googles Suche bietet innerhalb Bruchteilen von Sekunden Vorschläge zur Vervollständigung einer Anfrage vor - in Frankreich kritisieren Menschenrechtler die Resultate.

(Foto: AFP)

Die Vereinigungen, darunter SOS Racisme, werfen Google Frankreich vor, Menschen nach ethnischen Kriterien zu erfassen und zu kategorisieren, was in der laizistisch verfassten Republik Frankreich verboten ist.

So tauche bei der Suche nach Prominenten als erste Option der Begriff "juif", "Jude" auf, in vielen Fällen zudem fehlerhaft. Wer zum Beispiel den Nachnamen des neuen französischen Präsidenten "Hollande" in das Suchfeld der französischen Seite eingibt, findet als erste Ergänzungsmöglichkeit "juif".

Das gleiche galt bis zur Wahl vor einer Woche auch für seinen Vorgänger Nicolas Sarkozy. Etliche Konzernlenker und Vertreter des Showbusiness werden ebenfalls mit der Ergänzung versehen. Patrick Klugman, der Anwalt von SOS Racisme, sieht darin die Gefahr, dass antisemitische Ressentiments geschürt werden.

Trägt Google "ideologische Verantwortung"?

Google streitet hingegen jegliche "ideologische Verantwortung" ab. Es handele sich vielmehr um eine Frage des Algorithmus. Eine Sprecherin beharrte am Freitag auf der Feststellung, dass Google die "Autocomplete"-Funktion nicht gezielt beeinflusse. Sie diene vielmehr dazu, eine schnellere Suche zu ermöglichen.

Das mathematische Prinzip dahinter, sei so ausgerichtet, dass die Begriffe, die von den Nutzern am meisten eingegeben würden, automatisch an oberster Stelle erschienen. Mit anderen Worten: Wenn die Bezeichnung "Jude" als Option auftauche, sage das nichts über die Religionszugehörigkeit der gesuchten Person aus, sondern vielmehr etwas über das Suchverhalten der französischen Internetnutzer.

Das deckt sich mit der Aussage des Vorsitzenden des jüdischen Studentenverbandes UEJF, Jonathan Hayoun, der zu den Klägern gehört. In der Tageszeitung Le Monde sagte er, "dass es eine französische Obsession ist, herauszufinden, ob dieser oder jener in der Medien- oder Finanzwelt jüdisch ist". Er erinnerte in dem Zusammenhang an eine Umfrage aus dem Jahr 2011, wonach 30 Prozent der Franzosen glaubten, Juden hätten in diesen Bereichen mehr Einfluss als andere.

Andererseits muss der Begriff "Jude" nicht per se abwertend gemeint sein. Es könnte auch Juden geben, die aus Interesse nachschauen, welche bekannte Persönlichkeit ihrer Religion angehört. Dazu gehören beispielsweise auch die Google-Gründer, was den Antisemitismus-Vorwurf abschwächt.

Frankreichs Justiz ist kein Google-Freund

2009 verurteilte die Justiz den französischen Ableger von Google, weil die halbautomatische Suchvervollständigung hinter den Firmennamen des Energieanbieters Direct Energie das Wort "Nepp" setzte. Das Unternehmen klagte und gewann. Google musste den Algorithmus ändern.

Es ist nicht der einzige Fall, der Google zum Einlenken verleitete. Technisch ist das ein Leichtes, vor allem für einen Großkonzern. Trotzdem tut Google nun so, als verhalte sich der Konzern schlicht neutral. Das steht jedoch in Widerspruch zu der Mitteilung, dass der Algorithmus auf "einer Reihe von Faktoren wie zum Beispiel der Popularität" basiere.

Schützen Filter Persönlichkeitsrechte?

Die Faktoren sind demnach menschengemacht und keinem höheren mathematischen Objektivitätsprinzip unterworfen. Google könnte einen entsprechenden Filter schalten, um unerwünschte Assoziationen zu tilgen.

Menschenrechtsorganisationen argumentieren, es gehe um den Schutz der Persönlichkeitsrechte. Gerade in Zeiten von "Shitstorms", in denen Einzelne in einen Strudel von Verleumdungen geraten könnten, seien schützende Filter angebracht.

Überdies könnten Algorithmen auch manipuliert werden. Doch Google beharrt bis auf weiteres auf seiner Haltung, pocht auf die Freiheit des Internets und will die Sache am 23. Mai vor Gericht ausfechten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: