Digitale Agenda:Deutschland braucht ein Digitalministerium

"Wir dürfen die Digitalisierung nicht verschlafen." Das betonen Politiker in Sonntagsreden seit Jahren. Jetzt müssen sie handeln.

Kommentar von Helmut Martin-Jung

Schon klar: Eine leichte Aufgabe ist es nicht für Weltkonzerne, so mir nichts, dir nichts ein digitales Unternehmen zu werden. Erst recht Mittelständler und Kleinbetriebe packt die German Angst, wenn sie bloß dran denken, wie ihnen einerseits die Konkurrenten im Nacken sitzen und sie nun auch noch Daten in irgendwelchen Wolken lagern sollen.

Doch die meisten, die Großen wie die Kleinen, wissen längst, dass sie zwar nicht mit Hurra auf den Zug Digitalisierung aufspringen müssen. Aber: Dass man sich diesem Megatrend des 21. Jahrhunderts nicht verweigern kann. Die Unbelehrbaren werden entweder ihre Nische finden, in der sie auch so überleben können oder an eben dieser Verweigerung zugrunde gehen. Wie nur wenige Erfindungen vor ihr hat die Digitalisierung das Zeug dazu, ganze Branchen umzukrempeln. Noch steht diese Entwicklung am Anfang.

Digitale Themen brauchen ein eigenes Ministerium

Dass die Digitalisierung für Deutschland und Europa im globalen Wettbewerb eine Hauptrolle spielt, wussten Politiker jedweder Couleur natürlich schon immer. In kaum einer Sonntagsrede durfte das Thema fehlen, und Deutschland hat ja gleich vier Minister, die sich damit befassen.

Nun ist einer von ihnen vorgeprescht und hat ein ambitioniertes Programm vorgelegt, genannt: Digitale Strategie 2025. Netzausbau, Bildung, Bewusstsein in der Wirtschaft schaffen - Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und sein Mastermind, Staatssekretär Matthias Machnig, haben die richtigen Ansatzpunkte gewählt. Sie haben, anders als früher, auch konkrete Ziele benannt. Zum Beispiel Glasfasernetz-Leitungen auch für ländliche Gebiete. Außerdem soll kein Kind die Schule verlassen, ohne wenigstens eine Ahnung davon zu haben, was ein Algorithmus ist. Doch wie stehen die Chancen dafür, dass diese Pläne Wirklichkeit werden?

Sie stehen schlecht, und zwar aus einer Vielzahl von Gründen.

Gabriel ist nur einer von vielen Ministern, die das Thema für sich beanspruchen. Die anderen werden mitreden, so, wie sie es bisher auch getan haben - zum Nachteil für die Sache. Bildung ist Länderangelegenheit, hier wollen 16 Kultusminister mitbestimmen. Wenn Gabriel auf die Erlöse der Versteigerung von Funkfrequenzen setzt, verplant er Geld, das er noch nicht hat. Rekordsummen wie bei der ersten Versteigerung der UMTS-Frequenzen werden nicht mehr zusammenkommen.

Deutschlands Digitalpolitik ist rückständig

Die Initiative wird daher eine Sammlung wohlmeinender Vorschläge bleiben, wenn sich das Land nicht in einer gemeinsamen Anstrengung dazu aufrafft, die Defizite zu beseitigen. Die bisherige Bilanz auf diesem Gebiet ist mager. Das in der Digitalen Agenda benannte Ziel zum Beispiel, bis 2018 flächendeckend mindestens 50 Megabit pro Sekunde schnelles Internet anzubieten: Das lässt sich höchstens in Form einer Mogelpackung mit Funksendern erreichen, deren Bandbreite sich viele Nutzer teilen müssen.

Die Regierung fördert beim Netzausbau zudem eine Technik, die sich auf Basis vorhandener Kupferkabel zwar schnell realisieren lässt, die aber technologisch in eine Sackgasse führt. Zukunftsträchtiger, wenn auch teurer wäre es gewesen, den Ausbau von Glasfaser-Leitungen zu fördern, die mehr Leistungsreserven bieten.

Die Ministerien blockieren sich gegenseitig

Auch was den Ausbau des mobilen Internets angeht, gibt es zwar viele Bekundungen - EU-Kommissar Günther Oettinger etwa ist in seinem neuen Job in Brüssel zum glühenden Verfechter des Netzausbaus geworden ("Lieber Schlaglöcher als Funklöcher"). Doch in der Realität kämpft er mit vielen Schwierigkeiten, zum Beispiel der Harmonisierung der Funkfrequenzen. Dass es wirklich gelingen kann, Bedenken und Schwierigkeiten im Sinne eines technologischen Miteinanders in Europa aus dem Weg zu räumen, erscheint angesichts der jüngsten Krisen als immer größere Herausforderung.

Und Deutschland? Da hat es die große Koalition bisher noch nicht geschafft, ein simples Problem wie freies Wlan zu lösen. Obwohl es in anderen Ländern längst Vorbilder gibt, blockieren sich Ministerien gegenseitig. Nicht, dass nun anmeldefreies Wlan im Café das Bruttosozialprodukt gleich zweistellig steigern würde, aber dieses Problem gehört zu den einfachen.

Was ist zu tun? Digitalisierung muss im wirtschaftspolitischen Handeln der Regierung ganz nach vorne rücken. Die digitalen Kompetenzen müssen dazu endlich in einem einzigen Ministerium gebündelt werden, viele Fragen müssen auf europäischer Ebene geklärt werden. Noch ist es nicht zu spät. Doch zu den Besonderheiten des digitalen Wandels gehört auch: seine enorme Geschwindigkeit.

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