Kolumne "Schön doof":Teilt euch mit!

File illustration photo of people holding mobile phones silhouetted against a backdrop projected with the Twitter logo  in Warsaw

Wir kommunizieren im Netz mittlerweile routiniert genug, um auch mal etwas zu posten, das andere verärgern könnte.

(Foto: REUTERS)

Die Generation der Dreißignochwas ist unpolitisch und harmoniesüchtig, sie mag keinen Streit. Heißt es jedenfalls. Unsere Autorin widerspricht - zumindest, wenn es um die Diskussionskultur im Internet geht.

Von Meredith Haaf

Die Generation der Dreißignochwas ist unpolitisch und harmoniesüchtig. Heißt es jedenfalls. Unsere Autorin widerspricht - zumindest, was die Diskussionskultur im Netz betrifft.

Wer in den vergangenen Wochen den neuen Mega-Bestseller-Roman von Dave Eggers "Der Circle" gelesen hat, weiß ja, was auf uns zukommt, wenn wir mit dem Internet so weitermachen wie bisher: Der Roman schildert eine Zeit in der nahen Zukunft, in der alle Online-Aktivitäten - Messenger, Nachrichtendienste, Onlinebanking - von so ziemlich jedem Erdenbürger bei dem größten sozialen Netzwerk der Welt gebündelt sind. Und was heißt das für die Menschheit? Laut Eggers in erster Linie, dass wir alle zu seelen- und gewissenlosen Konformisten werden, die alles tun und vor allem alles online sagen, um zu gefallen, um möglichst viele Smiles und Re-Tweets zu ernten.

Das passt zur Vorstellung von der Generation der Dreißignochwas, die in einer Studie nach der anderen als besonders unpolitisch und harmoniesüchtig bezeichnet wird: versessen auf Lifestyle und Konsum, mehr interessiert am neuesten Apple-Produkt als am eigenen Bundestagsabgeordneten, instagrammen wir lieber ein nostalgisch gefiltertes Foto vom Sundowner am Chiemsee als eine Kritik am Waffenexport der Bundesregierung. 68er-mäßig eskalierende Abendessendebatten über den Nahostkonflikt oder die Rolle der Peschmerga im Irak? Bloß nicht, viel zu ungemütlich, viel zu unharmonisch. Lieber Freundinnentratsch, Grillfleischdiskussionen und Kindererziehungsanekdoten zum gepflegten Gläschen Rosé.

Als Teil dieser Generation möchte ich an dieser Stelle widersprechen. Womöglich aus meiner Filterbubble heraus, ganz sicher aus meinem eigenen akademisch-urbanen Umfeld heraus. Aber das sind im Prinzip natürlich genau die, denen allzu großer naiver Konformismus immerzu vorgeworfen wird. Wenn ich mich in meinem Freundeskreis online umsehe, stelle ich fest: im Gegenteil, es wird zur Zeit unglaublich viel debattiert. Und zwar interessanterweise gerade, ja beinahe ausschließlich, im Internet. Sexismus, Antisemitismus, Putin, Syrien, IS - es gibt kaum ein Thema, zu dem nicht permanent jemand etwas postet, kommentiert oder ausdrücklich zur Diskussion aufruft. Wer einen Meinungsartikel zum Thema Nationalsozialismus in Deutschland verlinkt, kann darunter sämtliche Positionen sortieren, die man zu diesem Thema einnehmen kann. Manche Freunde, die ich seit Jahren kenne, kann ich überhaupt erst seit diesem Sommer und der digitalen Lust am Diskurs politisch richtig einordnen.

Der Medientheoretiker Steffen Burkhardt sagt, dass online gerade zwei Entwicklungen passieren, die sich widersprechen: Einerseits verbringen wir sehr viel Zeit in der erwähnten sogenannten Filterblase, die uns algorithmisch nur mit Inhalten konfrontiert, denen wir eher zustimmen. Andererseits, sagt Burkhardt: "Die Deutschen, die im internationalen Vergleich nicht besonders streitfreudig sind, entwickeln eine neue Lust am Dissens." Wir gewöhnen uns also daran, uns digital zu artikulieren. Gleichzeitig kommt die zeitliche Versetztheit, das Indirekte des Diskurses in sozialen Netzwerken der Scheu vor Streit und Dissens meiner Generation entgegen. Wir kommunizieren im Netz mittlerweile routiniert genug, um auch mal etwas zu posten, das andere verärgern könnte. Und zwar nicht nur auf anonymen Foren oder auf Facebook-Seiten unter Gleichgesinnten, sondern auch im privaten Umfeld. Denn dass im analogen Leben nicht mehr so viel gestritten wird, ist ja eben nicht Ausdruck einer grundsätzlichen Meinungs- und Haltungslosigkeit.

Es ist zum einen die Komplexität der Inhalte, die Live-Diskussionen so mühsam macht. Es kann Argumenten durchaus guttun, wenn man vorher kurz Zeit zum Nachdenken hat und sie dann in 140 Zeichen, in jedem Fall in ein paar Sätzen, konkretisieren muss. Zum anderen haben wir ganz einfach keine Lust, die wertvolle Zeit mit Freunden, die sich zwischen Arbeit, Kindern, Sport und Beziehung irgendwie herausdrücken lässt, mit hitzigen analogen Diskussionen zu belasten, die im schlimmsten Fall in handfestem Streit enden. Zu dieser Harmoniesucht passt das Medium Internet sehr gut, in dem ich immer selbst bestimmen kann, wann ich mich ein- oder ausschalte.

"Wir debattieren schriftlich anders, als wenn wir uns gegenübersitzen", sagt Florian Umscheid, der Präsident der Vereinigung der Debattenclubs der Hochschulen: "Es geht härter zur Sache, wenn Mimik und Tonfall wegfallen und wir das Gegenüber nicht richtig einschätzen können." Das kann verstörend sein, wenn sich ein langjähriger Freund als ziemlich rechtskonservativer Problembär entpuppt oder eine nette Bekannte als Bundeswehr- Fan. Gleichzeitig erfüllen Facebook und Co. vielleicht zum ersten Mal seit ihrem Bestehen - und ganz anders als in Eggers erfolgreicher Dystopie - dieses eine große Versprechen: dass sie uns wirklich dabei helfen werden, unsere Freunde besser kennenzulernen.

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