Streaming:Algorithmen, die künstlichen Geschmacksverstärker

Amazons grottenschlechte Empfehlungen waren erst der Anfang: Auch bei Musik- und Film-Streaming bestimmt Computer-Software, was User sehen oder hören.

Von Michael Moorstedt

Eines der liebsten Schlagwörter im Silicon Valley lautet Algorithmic Curation: Computersoftware bestimmt, was die Nutzer auf ihren Bildschirmen zu sehen bekommen. Dass das Kuratieren von Kulturprodukten zunehmend von Maschinen übernommen wird, ist kein neues Phänomen. Facebook etwa benutzt selbstlernende Software, um seinen Nutzern vermeintlich interessante Nachrichtenartikel je nach deren Präferenzen vorzusetzen, Amazon generiert so seine grottenschlechten Konsumempfehlungen.

Gerade in Sachen Musikstreaming ist die auf den jeweiligen Nutzer und dessen aktuelle Stimmung angepasste Auswahl an Liedern ein enorm wichtiger Faktor. Playlists sind in einem Markt, in dem jeder Konkurrent über mehr oder weniger die gleichen Güter - nämlich die Songs selbst - verfügt, ein bedeutendes Verkaufsargument. Spotify, mit mehr als 100 Millionen Nutzern immer noch der populärste Streamingdienst, lässt eine Software die Hörgewohnheiten von mehreren zehntausend als hip identifizierten Nutzern analysieren. Aus diesem Pool speisen sich dann wiederum die Empfehlungen.

Davon distanziert sich Apple mit seinem Streamingdienst Apple Music. Nicht Computersysteme, sondern Industrie-Veteranen, DJs und, oh Wunder, Musikjournalisten treffen hier die Auswahl der Songs. Menschen würden ja wohl besser als Maschinen wissen, was anderen Menschen gefallen könnte, so der Subtext - ein Backlash gegen Algorithmic Curation, der vom ehemaligen Google-CEO Eric Schmidt sogleich als veraltet und elitär kritisiert wurde. Software, die Hörgewohnheiten von Millionen von Nutzern berücksichtige, sei demokratischer.

Data-Mining ist nicht gleich künstliche Intelligenz

Er könnte Recht behalten - hochrangige Apple-Manager schließen den Einsatz von Machine-Learning-Systemen seit Kurzem nicht mehr aus. Die lernenden Maschinen werden Menschen irgendwann wohl auch bei der Auswahl und Bewertung von Kunst übertreffen.

Heutzutage ist jedoch noch eine Menge Budenzauber im Spiel, wenn es um Algorithmic Curation geht. Vor nicht allzu langer Zeit etwa kündigte die Berliner Selfpublishing-Plattform inkitt.com sogar an, bei der Auswahl für die nächste Print-Buchveröffentlichung auf künstliche Intelligenz zu vertrauen. Inkitt-Gründer Ali Albazaz - sein Start-up firmiert offiziell als "The Hipster's Library" - bezeichnete das als Warnsignal an die Verlagswelt: die Vorhersagen durch Computer seien die Zukunft.

Doch sein System vertraut wohl eher auf kulturelles Data-Mining als auf tatsächliche künstliche Intelligenz - die Wahl für den Bestseller der Zukunft fiel jedenfalls auf eine Romanreihe namens "Sky Riders", in der es irgendwie um Drachen, junge Mädchen und große Schicksale geht. Es handelt sich um sogenannte Young Adult Fiction, mithin das einzige Literaturgenre, das beim breiten Publikum überhaupt noch zieht - "Twilight" und die "Tribute von Panem" lassen grüßen. Doch darauf wäre man als Bucheinkäufer wohl auch ohne künstliche Intelligenz gekommen.

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