Karaoke auf der Playstation:Ein Star für 60 Euro

Mit der "Singstar"-Serie für die Playstation nutzt Sony den Selbstdarstellungsdrang des Menschen perfekt aus: Keine Party, auf der nicht schon einmal das Mikrofon herumgereicht worden wäre.

Matthias Oden

Wenn Anna, 13, und ihre gleichaltrige Freundin Laura sich auf den Weg zu einer Klassenparty machen, können die Eltern unbesorgt sein. Viel attraktiver als Flaschendrehen und ähnliche altersüblichen Vergnügungen finden sie ein harmloses Spiel, ohne das zurzeit keine Teenager-Feier auskommt: Singstar.

Karaoke auf der Playstation: Szene aus dem Karaoke-Clip "Get this Party started" von Pink.

Szene aus dem Karaoke-Clip "Get this Party started" von Pink.

(Foto: Foto: Sony)

Wer gibt die überzeugendere Britney Spears? Wer schmachtet "Feel" so gefühlvoll wie Robbie Williams? Singstar ist ein Gesangswettbewerb, eine Art elektronisch aufgemotztes Karaoke. In Zeiten von Castingshows im Fernsehen gehört das Computerspiel des Unterhaltungskonzerns Sony zum Erfolgreichsten, was die Industrie auf dem kaufkräftigen Teenie-Markt etablieren konnte.

Alles aus sich herausholen

In den vergangenen Jahren haben Shows wie "Deutschland sucht den Superstar", "Popstars" oder "Germany's next Top Model" auch dem Letzten klargemacht, dass Popularität vor allem eine Kombination aus Medienaufmerksamkeit und Selbstdarstellung ist. Die durchgedrillten TV-Spektakel versprechen, aus jedem den Star herauszuholen, wenn er nur bereit sei, "alles zu geben".

Bei Singstar ist das genauso. Nur bekommen die Teilnehmer statt eines pöbelnden Dieter Bohlen eine nüchterne Computeranalyse geboten: "Cool" oder "okay" heißt es lapidar auf dem Bildschirm, manchmal auch: "grausam".

Niemand nutzt den Darstellungstrieb junger Leute derzeit so erfolgreich wie Sony. Die Playstation, die Spielkonsole des Konzerns, holt mit gleich drei Videospielen die Starsuche vom Fernsehen ins Kinderzimmer: Mit Dance Factory lassen sich die Choreographien nachtanzen, Guitar Hero ersetzt die Luftgitarre des Rockfans durch eine echte und lässt auch Grobmotoriker jaulende Gitarrensoli perfekt nachspielen. Kein Spiel aber transportiert das Star-Gefühl so gekonnt wie Singstar: Hier kann jeder eine kleine Madonna oder ein Nachwuchs-Justin Timberlake sein. Vielleicht auch nur ein Daniel Küblböck.

Eine kleine Madonna

Auf den Markt brachte Sony das Spiel 2002. Fünf Jahre und acht Erweiterungen später ist Singstar das neue Karaoke: Vom Kindergeburtstag bis zur eigentlich steifen Betriebsfeier bringt es laut Stiftung Warentest "Stimmung noch in die müdeste Party".

Zum Spiel für 60 Euro gehören auch gleich die Mikrophone. Wie beim echten Karaoke läuft auf dem Fernseher ein Musikvideo, die zu singenden Textzeilen werden eingeblendet. Zusätzlich zeigen Balken Tonhöhe und -länge an. Allerdings sind die Stimmen der Original-Interpreten nicht weggeblendet, man singt quasi mit ihnen zusammen.

Doch der eigentliche Unterschied zum Karaoke ist der Wettbewerbsfaktor: Jede Liedzeile wird bewertet. Dabei kommt es aber nicht auf eine schöne Stimme oder Textsicherheit an, allein korrektes Timing und richtige Tonlage zählen; für besonders schwer zu treffende Töne gibt es Extrapunkte.

In Sängerduellen wird dann der Superstar des Abends ermittelt, auch Mannschaften können gegeneinander antreten. Die müssen dann etwa im Gib-das-Mikro-weiter-Modus einen vokalen Staffellauf absolvieren; eine Aufgabe, die im Partygetümmel und nach ein paar Alkopops herausfordernder ist, als sie vielleicht anmutet.

Singstar begeistert die Zielgruppe und Computer-Fachleute gleichermaßen. Für das Online-Magazin Gamezone ist das Pseudo-Karaoke "die absolute Spaßgranate", das Computerprojekt Köln hebt die pädagogischen Aspekte ("stärkt das Gruppengefühl"), und "nane", ein weiblicher Fan, hält in einem Internetforum fest: "Singstar ist echt nur geil! Wenn's mir scheiße geht, dann sing ich'n bissel und mir geht's gleich besser."

Damit das so bleibt, versorgt Sony die Spieler laufend mit neuem Material. In jeder Erweiterung für 30 Euro sind dreißig neue Songs enthalten, die Palette reicht mittlerweile von Johnny Cash über Elton John und U2 bis Tokio Hotel. "In Zukunft", sagt Sony-Sprecher Stefan Dettmering, "sind vor allem Motto-Produktionen geplant. Möglich wäre etwa ein Singstar Après-Ski."

Ran an die Zielgruppe

Doch allein neue Songs reichen nicht aus, um die Jugend bei der Stange zu halten. Sony heizt den Hype um den Kassenschlager daher zielgerichtet an: 2005 wurden Schulen mit Singstar-Paketen beschenkt, um "der Langeweile im Musikunterricht den Kampf anzusagen".

In den Werbepausen der Castingshows laufen passend Singstar-Spots in altersgerechter, quietschbunter Aufmachung, und bei den Musiksendern ist Sony ohnehin dauerpräsent. Die Symbiose zwischen Popindustrie und Videospiel wird auf Musikveranstaltungen weiter gefestigt: Für die 14-Jährigen sponsort Sony "The Dome", für die Älteren die "MTV Campus Invasion". Näher dran an der Zielgruppe geht nicht.

Dennoch droht Sony Gefahr - vom Nebenbuhler Ultrastar. Das Programm ist mit Singstar fast identisch, läuft auf jedem Computer - aber kostenlos. Die sogenannte Freeware kann sich jeder legal im Internet herunterladen.

Anna und Laura, die 13-jährigen Gymnasiastinnen aus München, würden sich ein Singspiel selbst aber überhaupt nicht besorgen. "Völlig unnötig", sagt Laura, "die meisten in der Klasse haben eh eins."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: