40 Jahre Internet:"Ihre Privatsphäre wird verschwinden"

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Vor 40 Jahren stellte Leonard Kleinrock die erste Internetverbindung her. Zum Jubiläum spricht er über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Netzes.

Johannes Kuhn

Am 29. Oktober 1969 schrieb Leonard Kleinrock Geschichte: Über ein Modem und eine Standleitung verband der Forscher der University of California, Los Angeles (UCLA) erstmals einen Computer seines Labors mit einem Hunderte Kilometer entfernten Computer am Stanford Research Center und schickte eine Nachricht. Damit war unter dem Namen Arpanet (Advanced Research Projects Agency Network) das geboren, was wir heute als Internet kennen.

Leonard Kleinrock vor seinem Computerterminal: "Das beste Verteilungssystem in der Geschichte der Menschheit." (Foto: Foto: oH)

sueddeutsche.de: Mr Kleinrock, Sie sind einer der Väter des Internets. Nach 40 Jahren darf eine Frage erlaubt sein: Verstehen Sie Ihr Kind noch?

Leonard Kleinrock: ( lacht) Das Internet ist ein Teenager, nicht viel mehr. Aber ich gebe zu: Bei einem System, an dem inzwischen mehr als anderthalb Milliarden Menschen mitwirken, kann man nicht mehr alles verstehen. Aber das Netz ist eines der besten Verteilungssysteme in der Geschichte der Menschheit, formt Gemeinschaften, bringt Demokratie, Menschen können sich unabhängig von Status, Religion oder Herkunft äußern. Und das Erstaunlichste: Ich hätte mir vor 40 Jahren nie vorstellen können, dass meine 99 Jahre alte Mutter einmal dort unterwegs sein würde.

sueddeutsche.de: Das klingt, als beschrieben Sie ein perfektes System ...

Kleinrock: Lassen Sie es mich so sagen: Die guten Eigenschaften überwiegen die schlechten. Es gibt eine dunkle Seite des Internets, das hat aber einfach damit zu tun, dass es so viele Menschen nutzen. Nehmen Sie Pornographie: Die gab es im Netz schon in den Siebzigern, doch wenn du sie nicht gesucht hast, hast du davon auch nichts mitbekommen. Mir ist Pornographie dort erst Ende der achtziger Jahre begegnet. Damals begann sich langsam eine breitere Öffentlichkeit für das Internet zu interessieren, der erste Browser als graphische Oberfläche Anfang der Neunziger hat den Wunsch nach Zugang, aber auch nach Kommerzialisierung noch verstärkt. Und so tauchte die dunkle Seite des Webs auf.

sueddeutsche.de: Ist das Netz so geworden, wie die Forscher es sich in den Sechzigern vorgestellt hatten?

Kleinrock: Ja und nein. Wir hatten die Vision, dass es einmal so wie Elektrizität "einfach da ist", immer angeschaltet. Ich selbst hatte eher geglaubt, es würde Computer mit Computern verbinden, aber da war mehr dahinter: Es hat Menschen mit Menschen verbunden. Dieses Potential erkannte ich erst, als 1972 die E-Mail erfunden wurde.

sueddeutsche.de: Was würden Sie ändern, wenn Sie die Möglichkeit hätten, ins Jahr 1969 zu reisen und das Internet zu konzipieren?

Kleinrock: Der größte Unterschied zur realen Welt ist die Anonymität und die Schwierigkeit, mein Gegenüber im Netz zu identifizieren. Das hat auch Internet-Viren und -Würmer möglich gemacht. Was ich also im Jahr 1969 tun würde, wäre, einen Identifikationsmechanismus in die Architektur des Internets einzubauen - und ihn sofort wieder abzuschalten. Ich hätte ihn erst Ende der Achtziger wieder aktiviert, als Viren und Würmer im Netz auftauchten.

sueddeutsche.de: Wie wurde das Internet so populär?

Kleinrock: Man kann sich das heute schwer vorstellen, aber in den ersten zehn bis 15 Jahren kannten sich alle Internetnutzer. Erst diente das Netz dem Informationsaustausch von Computerforschern an universitären Einrichtungen, später gingen auch Forscher anderer Disziplinen online, Biologen, Chemiker. Zuletzt waren dann auch Forschungsabteilungen der großen Unternehmen angeschlossen. Dadurch wurden auch die Kaufleute in den entsprechenden Firmen auf das Potential weltweit vernetzter Computer aufmerksam. Den ganz großen Durchbruch gab es dann, als die US-Regierung 1991 ein Gesetzesvorhaben des damaligen Senators Al Gore unterstützte, massiv in die Netzstruktur zu investieren. Das ermöglichte völlig neue Geschwindigkeiten.

sueddeutsche.de: Wussten Sie am 29. Oktober 1969, dass das ein historischer Moment sein würde?

Kleinrock: Nein, das wusste niemand der Beteiligten. Sonst hätten wir uns einen klugen Spruch zurecht gelegt, so etwas wie das "Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Schritt für die Menschheit" bei der Mondlandung. Stattdessen tippte ich "login", was auch passend ist, denn diesen Begriff kennt heute jedermann.

sueddeutsche.de: Das hat aber beim ersten Mal nicht ganz funktioniert

Kleinrock: Genau, wir waren telefonisch mit dem Stanford Research Center verbunden. Ich tippte "L" und fragte: "Angekommen?". Die Antwort war ja. Ich tippte "O" und auch das kam an. Doch das "G" erreichte Stanford nicht, das Netzwerk war zusammengebrochen. Erst der nächste Versuch funktionierte, und eigentlich war es das, was wir die nächsten Jahre machten: Wir verschickten Daten, bauten das Netz aus und verbesserten das Übermittlungsverfahren.

sueddeutsche.de: Wie haben Sie damals Ihren Zeitgenossen klargemacht, was Sie da tagtäglich in Ihrem Labor treiben?

Leonard Kleinrock (75) war lange Zeit Professor für Computerwissenschaften an der UCLA. Bereits in seiner Dissertation 1962 entwarf er eine Theorie des Datenaustausches, die später eine der Grundlagen des Internets wurde. Im Jahre 1969 übermittelte er die erste Nachricht über das Arpanet, den Vorläufer des Internets. In den folgenden Jahren arbeitete er an der Weiterentwicklung des Netzes mit, 1988 saß er einer Forschergruppe vor, die den US-Kongress die Bedeutung des Internets näherbringen wollte. Die Anhörung überzeugte den damaligen Senator Al Gore, der Anfang der Neunziger ein Gesetz zum Ausbau des Internets in den USA initiierte. (Foto: Foto: oH)

Kleinrock: Das alles hatte eine sehr esoterische Anmutung, wenn ich den ganzen Tag vor einem gigantischen Computerterminal saß. Meine Eltern haben später einmal gesagt: "Es kam uns spanisch vor, was der Junge machte. Wir hatten keine Ahnung, um was es geht." Aber schon 1972 stellten wir der Öffentlichkeit in Washington die Technik vor und ließen einige Forscher auf den verschiedenen, weit entfernten Computern gegeneinander Schach spielen. Da wurden die Möglichkeiten dann auch für normale Menschen erahnbar.

sueddeutsche.de: Wie wird das Internet in 40 Jahren aussehen?

Kleinrock: 40 Jahre sind eine lange Zeit. Anwendungen sind unvorhersehbar, das haben wir bei E-Mail, Facebook, Twitter, YouTube oder den Peer-2-Peer-Systemen gesehen. Niemand hat sie vorhersagen können. Mobile Anwendungen werden richtig wachsen, die Infrastruktur wird den Computer-Nomaden hervorbringen: Sie werden zu jedem Zeitpunkt, von jedem Ort, mit jedem Gerät ins Netz gehen können. Der Cyberspace wird nicht mehr im Bildschirm bleiben, sondern überall sein, in Ihren Fingerspitzen, in Ihrer Brille. Wenn Sie in einen Raum kommen, wird dieser Raum wissen, wer Sie sind.

sueddeutsche.de: Ist das eine positive Vision?

Kleinrock: Wenn Sie auf das Thema Privatsphäre anspielen, nicht unbedingt. Aber Ihre Privatsphäre verschwindet, finden Sie sich damit ab. Wir haben doch bereits heute über unsere Mobiltelefone viel davon aufgegeben, weil wir immer ortbar sind. Es wird immer schwerer, sich vom Netz zu trennen, das ist die Kehrseite der Medaille.

sueddeutsche.de: Sie haben vorhin von der dunklen Seite des Internets gesprochen. Was wird aus ihr?

Kleinrock: Mir machen vor allem Botnets Sorgen, riesige Netzwerke aus Computern, die sich ohne Wissen der Benutzer zusammenschließen und ferngesteuert im Netz Angriffe ausführen können. Stellen Sie sich vor, jemand besitzt ein solches Netzwerk und verkauft den Zugang dazu. Das könnte unglaublichen Schaden anrichten. Aber generell bin ich optimistisch: Die dunkle Seite des Internets kann eingedämmt werden, das ist eine Frage der Gesetze. Das heißt nicht, dass sich die Regierung überall einmischen muss, im Gegenteil: Überzogene Zensurmaßnahmen von politischer Seite werden immer scheitern. Inhalte werden einen Weg ins Netz finden und es wird immer einen Weg geben, diese abzurufen.

sueddeutsche.de: Und wann wird das Internet erwachsen?

Kleinrock: Glauben Sie mir, der Zugang zum Internet ist immer noch komplizierter, als wir es wahrnehmen. Das wird sich ändern.

Die Fragen stellte Johannes Kuhn.

40 Jahre Internet: Was sind die positiven Auswirkungen, die dieses weltumspannende Netzwerk auf unser Leben hat - und welche Entwicklungen sehen Sie kritisch? Teilen Sie es uns mit und nutzen Sie unser Flüstertool.

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