Interview:Was vom Original übrig blieb

"Tomte"-Sänger Thees Uhlmann will sich an der Kampagne für ein schärferes Urheberrecht nicht beteiligen. Er selbst signiert sogar Raubkopien.

Steffen Kraft

Sollte das neue Urheberrecht unverändert in Kraft treten, handelt künftig jeder illegal, der eine CD mit Kopierschutz überspielt - selbst wenn er für den Privatgebrauch kopiert. Die Musikindustrie trommelt lautstark für noch strengere Gesetze. Die Künstler selbst, die eigentlichen Rechteinhaber also, kommen dabei allerdings kaum zu Wort. Thees Uhlmann, Sänger der Band Tomte und Geschäftsführer des Eigenlabels "Grand Hotel van Cleef" will sich an der Kampagne nicht beteiligen.

Tomte

Thees Uhlmann, Sänger der Band Tomte

(Foto: Foto: Ingo Pertramer)

SZ: Haben Sie schon einmal ein Autogramm auf einem CD-Rohling gegeben?

Thees Uhlmann: In der Tat! Auf Konzerten kommen gar nicht selten Leute und wollen eine Unterschrift auf eine leere CD.

SZ: Ärgert Sie das?

Uhlmann: Ich finde es eher frech und zugleich amüsant. Kopieren vernichtet ja nicht die Musik, sondern höchstens Arbeitsplätze in der Musikindustrie. Allein aus meinem Bekanntenkreis haben früher sieben Leute bei Plattenfirmen gearbeitet. Die sind inzwischen entlassen worden, weil ins Musikgeschäft weniger Geld fließt als früher. Ich spüre das selbst: Bei "Grand Hotel Van Cleef" trage ich für vier Leute Verantwortung.

SZ: Jetzt spricht der Geschäftsführer, nicht der Musiker.

Uhlmann: Auch für die Musiker haben sich die Bedingungen verändert. Als wir die ersten zwei Konzerte unserer Tournee gespielt haben, war das Album "Buchstaben über der Stadt" noch gar nicht veröffentlicht. Trotzdem haben die zwei vordersten Reihen jedes Lied lauthals mitgesungen. Woher die Leute die Songs kannten, kann man sich denken. - Allerdings: Ich rege mich über die Kopiererei nicht auf, bin auch niemandem persönlich böse, wenn er sich Musik aus dem Netz saugt. Ich beobachte eher das Phänomen - mit einem leicht skeptischen Blick. Als Sänger fühlt es sich seltsam an, wenn du glaubst, den Leuten etwas Neues zu präsentieren und die kennen alles schon. Das raubt den Zauber. Nicht nur uns, auch den Fans.

SZ: Macht es aber einfacher, den Laden zu rocken.

Uhlmann: Stimmt schon. Die Bands haben auch einen Nutzen von illegalen Kopien: ihre Musik wird schnell bekannt. Wenn ich meinem Kumpel ein Lied empfehlen will, schicke ich es ihm eben per E-Mail. So funktioniert heute die viel beschworene Mund-zu-Mund-Propaganda. Und - Achtung, hier spricht wieder der Geschäftsführer - die ist am effektivsten.

Was vom Original übrig blieb

SZ: Tomte wäre also ohne Raubkopien nie bekannt genug geworden, um später den Sprung in die Charts zu schaffen?

Uhlmann: (lange Pause) Schwer zu sagen. Natürlich kommen viele auf unsere Konzerte, weil sie uns vom Hörensagen kennen oder mal 'nen Titel gehört haben. Andererseits hat ein Typ von einem Major Label mal behauptet, dass wir vor 20 Jahren längst Millionäre gewesen wären. Glaube ich zwar nicht so ganz, aber bestimmt hätten wir früher mehr Platten verkauft als heute. Kleinere Bands spüren es heftiger als Tomte: Wenn eine erfolgreiche Newcomer-Band damals vielleicht 5000 Alben verkaufte, sind es heute gerade einmal 1000 - plus von mir aus 200 Downloads. Wir merken es bei "Grand Hotel" mit den Jungs von Maritime. Da drängen sich die Leute in den Konzertsälen, aber die CDs kauft kaum jemand.

SZ: Haben Sie selbst nie illegal Musik kopiert?

Uhlmann: Doch natürlich.

SZ: Welche Raubkopie war Ihnen am wichtigsten?

Uhlmann: Ich weiß noch, wie die Kassette aussah, es war eine BASF Chrom Maxima II. Ein Mitschüler hatte irgendwie das neue Album der Punkband Slime in die Finger bekommen, das damals auf dem Index stand. Total verboten! Die Platte durfte jeder reihum einen Tag ausleihen, um sie sich zu überspielen. Am nächsten Morgen haben wir das Original auf dem Schulhof zurückgegeben.

SZ: Schüler tauschten Musik damals ebenso wie sie heute tauschen. Hat sich überhaupt etwas verändert?

Uhlmann: Je öfter wir von der Chrom Maxima kopiert haben, desto schlechter klang es. Heute merkst du keinen Unterschied, egal wie oft du einen Song überspielst. Es gibt keine Originale mehr, sie sind nutzlos geworden.

SZ: Welche Folgen hat das Verschwinden der Originale zugunsten der Reproduktionen?

Uhlmann: Es hat sich eine Atmosphäre verbreitet, dass Musik stets verfügbar ist. Früher habe ich vor dem Plattenladen gefiebert, wenn eine neue Platte herauskam. Heute laden sich die Freaks die Songs schon herunter, bevor sie veröffentlicht sind. Das Gefühl, das sind unsere Jungs da auf der Bühne, die unterstütze ich, findet sich seltener. Deutschland ist eben Aldi-Nation.

SZ: Also trägt das nächste Tomte-Album auch ein digitales Wasserzeichen?

Uhlmann: Ich glaube nicht. Seitdem ich im Geschäft bin, gab es drei verschiedene Kopierschutzsysteme. Die haben irgendwelche 17-jährigen Freaks innerhalb von zwei Wochen geknackt. Den Wettlauf machen wir nicht mit. - Würde zu viel Energie von der Musik abziehen.

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