Internet.org:Facebook sagt dem freien Netz den Kampf an

Facebook Drohne Flug

Facebooks Drohne soll das Internet mit Lasern auf die Erde "beamen" und drei Monate lang in der Atmosphäre kreisen können, ohne zu landen.

(Foto: Screenshot/Facebook)
  • Zwei Drittel der Weltbevölkerung haben keinen Zugang zum Internet. Facebook will Menschen in Entwicklungsländern online bringen.
  • Das Projekt Internet.org zahlt armen Menschen den Internetanschluss - doch sie bekommen nicht das komplette Angebot des Netzes, sondern in erster Linie Facebooks eigene Dienste.
  • In Indien haben deshalb 750 000 Menschen per Mail gegen die Pläne von Mark Zuckerberg protestiert.
  • Immer mehr Konzerne verletzen auf diesem Weg die Netzneutralität und machen aus dem einst offenen Internet viele geschlossene, durchkommerzialisierte Netze.

Von Johannes Boie

Es ist ein gigantischer Plan, aber ist es auch ein guter Plan? Zwei Drittel der Weltbevölkerung haben keinen Anschluss ans Internet. Jetzt sollen sie einen bekommen. Was ist Internet für jene, die in den armen Gegenden der Welt wohnen? Zugang zu Wissen und daher auch: Bildung, Gesundheit, Aufstiegschance, Mobilität. Genau deshalb nennen zum Beispiel Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen den Zugang zum Internet längst ein Menschenrecht.

Wer hat den großen Plan, die ganze Welt zu verbinden? Natürlich Mark Zuckerberg, Gründer und Chef von Facebook, der eher selten kleine Brötchen backt und der mit dieser Strategie bislang hervorragend gefahren ist. Um das hehre Ziel zu erreichen, experimentieren Facebook wie auch andere Konzerne in Kalifornien mit bislang unerforschter Technik, Anschluss ans Internet aus autonom fliegenden Drohnen zu ermöglichen oder aus hochfliegenden Heißluftballons, keine Idee scheint zu absurd um nicht wenigstens überdacht zu werden.

Dort, wo es den Endkunden lediglich an Geld mangelt, aber Kabel in der Erde liegen, übernimmt Facebook die Kosten für den Internetanschluss, indem es lokale Internetprovider dafür bezahlt. Für die beteiligten Firmen ist das sinnvoll: Sie verkaufen mehr Internetanschlüsse, und ob dafür der Endkunde bezahlt oder Facebook, kann ihnen egal sein. Das klingt doch nach einer ausgezeichneten Idee.

750 000 Protestmails von wütenden Indern

Und jetzt das: 750 000 E-Mails landen bei der indischen Behörde für Telekommunikation, in jeder Einzelnen sprechen sich Inder gegen Facebooks Pläne zur Netzbeglückung aus. Und bereits im Jahr 2014 hat die Regierung von Chile das Vorhaben kurzerhand verboten. Warum?

Aus guten Gründen. Facebooks Projekt nennt sich Internet.org. Keine kleinen Brötchen auch hier, lieber den Teig neu erfinden. Internet.org ist ein in die Irre führender Name, denn die Initiative wird den Menschen, die kein Internet haben, nur eine sehr bestimmte Form von Internet bringen: Facebook. Und, das der Vollständigkeit halber, noch ein paar zusätzliche Dienste, je nach Weltregion, die den Menschen von Nutzen sein können. Man nennt dieses Konzept ein Zero-Rating-Produkt.

Die Wahl zwischen Facebook - oder gar nichts

Das ist eine große Verletzung der Netzneutralität, also des Prinzips, nachdem alle Daten im Netz gleich zu behandeln sind. Und es ist ein gigantisches Geschäftsmodell für Facebook. Denn wenn man Menschen die Wahl lässt zwischen Facebook und nichts, dann ist Facebook für diese Menschen so klar die bessere Wahl, dass es schwerfällt, überhaupt von "Wahl" zu sprechen. So gesehen ist der Name "Internet.org" also doppelt falsch: Weder geht es ums Internet an sich, noch ist die Initiative eine gemeinnützige Organisation, wie es die Endung ".org" suggeriert.

Digitale Debatte

Der Begriff Netzneutralität ist weltweit Gegenstand zahlreicher Debatten. Er bezeichnet den bislang weitgehend existierenden Zustand, in dem Daten im Netz befördert werden, ohne, dass ihr Inhalt eine Rolle spielt. Manche Länder wie die USA schreiben Netzneutralität derzeit gesetzlich fest. Unter Zero-Rating versteht man Konzepte wie "Internet.org", die das Prinzip der Netzneutralität verletzen. Der Kunde bezahlt nicht mit Geld, sondern mit eingeschränktem Zugriff aufs Internet. Das kann zum Beispiel in eingeschränkter Meinungsfreiheit münden. Universal Connectivity ist das erklärte Ziel von Facebook. Das Schlagwort beschreibt, dass jeder Mensch auf der Erde Zugriff zum Internet hat. In Facebooks Auslegung bedeutet das aber noch lange nicht, dass der Nutzer Zugang zum gesamten Netz erhält. SZ

Die Facebook-Idee ist nicht die einzige Idee, die mit diesen Tricks arbeitet. Auch andere Internetkonzerne spielen damit, die Kosten für den Zugang zum Internet anstelle des Endkunden zu übernehmen, gleichzeitig aber nur bestimmte Angebote freizuschalten.

Mark Zuckerberg hat auf die Kritik reagiert. In einem Text, den er auf Facebook veröffentlicht hat, erzählt er zunächst die herzerwärmende Geschichte von Studenten aus einem kleinen Ort in Nordindien, die dank seiner Arbeit endlich an die weite Welt angeschlossen seien.

Zuckerberg gibt sich gern als Verfechter der Netzneutralität

A picture illustration shows a Facebook logo reflected in a person's eye, in Zenica

Für viele Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern ist "Facebook" längst zum Synonym für "Internet" geworden.

(Foto: Dado Ruvic/Reuters)

Gleichzeitig stellt er sich natürlich als großer Verfechter der Netzneutralität dar, ehe er dann fordert, dass "Argumente für Netzneutralität nicht dafür verwendet werden sollen, die am stärksten benachteiligten Menschen weiterhin vom Netz fernzuhalten." In einem Kommentar zu seinem Text schreibt er, es sei schlicht "zu teuer, das gesamte Internet gratis zur Verfügung zu stellen".

Und natürlich hat Zuckerberg damit recht. Alles, was ein Nutzer aus dem Netz lädt, jedes Bild, jedes Video, jeder Text, benötigt Bandbreite. Je mehr Bandbreite gebraucht wird, umso teurer wird die Technik, die Internetkonzerne und Provider aufbauen müssen, damit alles funktioniert. Doch seine Argumentation ist unvollständig. "Indem nur grundsätzliche Dienste angeboten werden, können sich die Konzerne das Gratis-Netz leisten", schreibt Zuckerberg. Was er nicht schreibt: Indem Facebook nur seinen eigenen Dienst anbietet, wächst der Konzern in den bevölkerungsreichsten Gebieten der Welt massiv und blitzschnell.

Für viele Menschen ist "Facebook" ein Synonym für "Internet"

Im Streit mit Google ist Wachstum für Facebook eine gute Möglichkeit, dem älteren und finanziell stärkeren Konzern doch noch zuvorzukommen. Gleichzeitig prägt Facebook mit seinem Plan ganze Gesellschaften, die sich im Netz noch nicht besonders gut auskennen, mit dem eigenen Produkt.

Tatsächlich zeigen Studien, dass Bewohner ganzer Regionen in Asien und Afrika "Facebook" und "Internet" für ein Synonym halten; manche der befragten Menschen glaubten auch, dass sie nicht das Internet verwendeten, sondern Facebook - technisch ist das unmöglich, ohne Internetanschluss kein Facebook. Gleichwohl kann man auf diese Idee kommen, wenn das Einzige, was der Internetanschluss hergibt, nur Facebook ist. Der Versuch Zuckerbergs erinnert demnach an die Neunziger, als AOL ein obskures, redaktionell bearbeitetes Portal als Hauptprodukt für seine Kunden zur Verfügung stellte. Den Weg ins echte, freie Internet gab es obendrauf als - unwichtige - Option für Neugierige.

Der Unterschied zur Internet.org ist: Damals hatten die Nutzer eine Wahl. Sie konnten anstelle von AOL einen anderen Service wählen. Diese Wahl haben die Nutzer in Entwicklungsländern nicht. Sie sind Facebooks Expansionsstrategie ausgeliefert, mehr noch, der Internetkonzern nutzt sie knallhart, um seine Machtposition zu stärken.

Facebook wird zum Gatekeeper für Bildung, Gesundheit, Wohlstand

Wie wohlfeil ist diese Kritik, formuliert von einem Notebook mit Glasfaseranschluss? Kann man von den Armen, die bislang offline sind, wirklich Protest erwarten? Das Beispiel der indischen E-Mail-Schreiber zeigt: Man kann nicht nur, man muss sogar. Denn Internet.org schadet nicht nur grundsätzlich der Idee des freien, neutralen Netzes und damit den bestehenden Nutzern in reichen Industrienationen. Internet.org schadet, mittelfristig, auch denen, für die es angeblich gemacht ist.

Denn welche Dienste neben Facebook für die Endkunden freigeschaltet werden, entscheidet stets Facebook. Microsofts Suchmaschine Bing anstelle von Google. Eine Jobvermittlungsseite namens Babajob, von der noch nie jemand gehört hat, kein Zugriff auf Youtube, das visuelle Gedächtnis der digitalen Welt. Welche Rolle spielen darüber hinaus Facebooks rigide Moralvorstellungen und Nachrichtenauswahl? Kurz: Wenn schon kein freies Netz für alle möglich ist, warum dürfen dann nicht die Nutzer selbst bestimmen, welche Inhalte sie in ihrem eingeschränkten Zugang haben dürfen?

Absurderweise dürfte kaum jemand besser wissen als Mark Zuckerberg, dass die Grundlage für Wachstum Freiheit ist. Hätte Facebook je vom kleinen Uniprojekt zum weltweiten Tech-Giganten wachsen können, wenn größere Firmen kontrolliert hätten, wer wo Facebook aufrufen darf? Ohne Wachstum aber lassen sich all die hehren Ziele nicht nachhaltig ermöglichen. Bildung, Gesundheit, Wohlstand, Aufstiegschancen, Mobilität werden mit Internet.org nur von Facebooks Gnaden möglich sein.

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