Internetkonferenz re:publica:Utopie trifft Zukunftsangst

Wer beherrscht das Netz? Auf der Internetkonferenz re:publica diskutiert die deutsche Netzgemeinde über die Zukunft des Internet. Doch es fehlt der Dialog mit dem Rest der Gesellschaft.

Johannes Kuhn

Die Dominanz der ergrauten Dauerwelle ist gebrochen: Rund um den Berliner Friedrichstadtpalast, wo sonst busweise Menschen im besten Alter zu diversen Revuetheater-Vorstellungen gekarrt werden, prägt derzeit die Laptoptaschen-Generation das Bild. Noch bis Freitag diskutiert sie auf der Konferenz re:publica die Zukunft des Internets.

Es ist ein Turnschuh-, kein Anzugpublikum, das dort durch die Gänge schlendert oder auf dem Fußboden sitzend meist in die weißen Laptops einer bekannten Edelmarke hackt. 2500 Menschen sind in Berlin zusammengekommen, und nicht nur Teilnehmerzahl und Veranstaltungsort deuten darauf hin, dass das einstige Bloggertreffen längst im Establishment angekommen ist.

Die Liste der Sponsoren ist lang, die Frauenquote ebenso hoch wie die der Marketingbeauftragten und Berater: Auch wenn die Insignien der Szene, vom koffeinhaltigen Brausegetränk Club-Mate bis zur in die Welt gesendeten Twitterbotschaft gleich bleiben, hat die Migration der Gesellschaft ins Internet den Wissensvorsprung der früheren Avantgarde schwinden lassen: Das Netz verkörpert keine Nische mehr, sondern ist für viele Deutsche längst Lebens- und Geschäftsraum geworden.

"Wir besiedeln den achten Kontinent"

Die Debatten über Internetsperren, Datenschutz in sozialen Netzwerken oder Google Street View sind inzwischen im informierten Teil der Gesellschaft angekommen, und doch ärgert sich der Neuropsychologe Peter Kruse in seinem Vortrag, dass die Diskussionen so fruchtlos bleiben. "Die Schärfe des Disputs pro oder contra Internet ist die Folge inkompatibler Wertmuster", stellt der graubärtige Posteronkel der Netzgemeinde fest und erhält für die Aufteilung der Internetnutzer in "Digital Residents" und "Digital Visitors" - was übersetzt nichts anderes heißt als "Internet begriffen" und "Internet nicht begriffen" - viel Applaus. Die Avantgarde, sie gibt es also noch - und wenn es vielleicht auch nur die Semantik ist, die sie für einen kurzen Moment wieder aufleben lässt.

Dass Kommunikation jenseits solcher künstlicher Gegensätze möglich ist, zeigt der Journalist und Netzphilosoph Peter Glaser: Als "Heimweh nach einem Ort, an dem wir noch nie waren, weil wir ihn nicht betreten können", beschreibt er die Faszination, die das Internet ausübt. "Wir besiedeln jetzt den achten Kontinent, das Netz", proklamiert er und rückt so die Verknüpfung der Menschen durch das Netz in die Nähe eines digitalen Humanismus.

Erbauen digitaler Luftschlösser

Dem setzt der weißrussische Netztheoretiker Evgeny Morozov entgegen, dass das Internet nicht notwendigerweise ein Freiheitsinstrument ist, sondern auch zur Überwachung oder zur Durchsetzung inhumaner Ideen genutzt werden kann; der IT-Forscher Sebastian Detering ergänzt, dass die wunderbare App-Welt von Apple & Co auch eine Abhängigkeit von Großkonzernen und den Abschied von offenen Standards bedeuten kann.

Resonanz jenseits des digitalen Wirkungskreises

Bei all den Debatten über Netzneutralität, digitale Bildung und die Zukunft der Medien zeigt sich, dass die re:publica längst dem ursprünglichen Konzept einer Bloggerkonferenz entwachsen ist - ohne dass aber klar wird, ob die Art und Weise der Debatten dafür geeignet sind, Resonanz jenseits des digitalen Wirkungskreises zu erzielen.

Die Ambivalenz der Gegenwart, zwischen Netzgesellschaft und Diskursarmut, Freiheitsutopie und Überwachungsangst, Idealismus und Geschäftsmodell zeigt sich dann auch in der Rezeption der Konferenz selbst: Bereits seit der ersten re:publica im Jahre 2007 werfen Kritiker den Veranstaltern rund um die Blogger Johnny Haeusler (Spreeblick) und Markus Beckedahl (Netzpolitik.org) immer wieder vor, es gehe ihnen bei der re:publica vor allem um Selbstmarketing und das fachgerechte Erbauen digitaler Luftschlösser.

"nowHere"

Dieser Vorwurf wird mit den Slogans der Konferenz ironisch aufs Korn genommen: Dieses Jahr lautet das Motto "nowHere", eine Mischung aus nirgendwo und "nun hier", vergangenes Jahr war es "shift happens", das ohne den Buchstaben "f" das durchaus das passende Fazit für gescheiterte Monetarisierungsversuche vieler deutscher Blogs geliefert hätte.

Ob aus einer nichtssagenden Phrase ein famoses Wortspiel wird oder umgekehrt, liegt wie die Relevanz der Konferenz im Auge des Betrachters. Gut möglich, dass der digitale Graben zu tief ist, um den gesamtgesellschaftlichen Dialog über die Zukunft einer digital vernetzten Gesellschaft zu führen, bevor Politik und Unternehmen Fakten schaffen.

Oder sehen wir doch bald Damen mit ergrauten Dauerwellen, die mit der Laptoptasche in der Hand vor dem Friedrichstadtpalast warten, um über die Zukunft des Internets zu diskutieren?

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