Internet-Komiker:Der Clown, der sich am Fernsehen rächt

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Er ist als Pacman, Schnecke oder wildgewordener Astronaut unterwegs: Der französische Komiker Rémi Gaillard ist mit Internet-Videoclips zum Star geworden.

T. Arnu

Ein Golfplatz in Südfrankreich. Zwei Herren in Poloshirts sind gerade beim Putten, als ein Golf-Kart herangezuckelt kommt. Am Steuer sitzt ein Mensch im weißen Astronautenanzug, komplett mit Sauerstoffgerät und verspiegeltem Helm.

Rémi Gaillard auf der Flucht. (Foto: Screenshot: YouTube)

Die Sportler schauen ungläubig, als der Astronaut sie umrundet, sein Wägelchen genau in der Schussbahn abstellt und eine Fahne in den Rasen rammt. Sie finden es überhaupt nicht witzig, von einem Astronauten beim Einlochen gestört zu werden - und verprügeln den komischen Kerl.

Der Videofilm mit dem Golfplatz-Astronaut ist als 1,19 Minuten langer Clip im Internet zu sehen. Im Astronautenkostüm versteckt hat sich der Komiker Rémi Gaillard, unter seine Füße hat er Sprungfedern geschnallt, damit es im Film so aussieht, als würde er auf dem Mond herumhüpfen. In anderen Kurzfilmen rast der 34-jährige Franzose als Super-Mario verkleidet mit einem Gokart durch die Straßen von Montpellier, attackiert in einem Haikostüm Angler oder kriecht als Schnecke eine Hauptstraße entlang.

Gaillards Gags, die ein Freund mit versteckter Kamera filmt, haben ihn in Frankreich zum Star gemacht. Beim Interview auf dem Place de la Comédie in Montpellier kommen dauernd Fans an den Tisch und wollen mit ihm fotografiert werden.

Rémi Gaillard wirkt dabei nur halb so wild wie in seinen Filmen, er lächelt auch beim 27. Autogramm geduldig, das Ausgeflippteste an ihm scheint die hochgegelte Frisur zu sein. Friedlich sagt er: "Ich habe den besten Beruf der Welt, denn ich mache jeden Tag, was mir gerade einfällt und wozu ich Lust habe."

Der Komiker verkörpert einen neuen Typus in der Humorbranche, denn er wurde nicht durch das Fernsehen oder auf Comedy-Bühnen bekannt, sondern mit lustigen Filmchen, die man gerne per E-Mail an Bekannte weiterschickt. Beim Video-Portal YouTube gehört Rémi, dessen Künstlername Gaillard auf Deutsch "Bürschchen" oder "Scherzkeks" bedeutet, zu den erfolgreichsten Humoristen.

"Indem man irgendetwas macht, wird man irgendwer"

Seine Clips wurden bis zu zwölf Millionen Mal aufgerufen, öfter als die von Charlie Chaplin. Mehr als 100 Mini-Filme hat der hauptberufliche Witzbold auf seinem kostenlosen Videoportal nimportequi.com veröffentlicht - getreu seinem Motto "C'est en faisant n'importe quoi qu'on devient n'importe qui", übersetzt etwa: "Indem man irgendetwas macht, wird man irgendwer".

Mit seinen Filmclips verdient Gaillard zwar kein Geld, denn jeder kann sie gratis im Internet aufrufen, aber mittlerweile wird er von Firmen für Werbespots gebucht, etwa von großen Sportartikelherstellern und Getränkekonzernen. In seiner Verulkung eines bekannten Nike-Werbespots schießt Rémi Gaillard mit Fußbällen treffsicher auf arglose Fahrradfahrer, Polizeiautos und Mülleimer. Der Auftraggeber: Nike.

Eigentlich wollte Rémi Gaillard zum Fernsehen. Als der Schuhladen, in dem er als Verkäufer arbeitete, eines Tages schließen musste, drehte er mit einem Kumpel ein paar Videoclips im Stil von "Verstehen Sie Spaß?" und schickte die Kassette an den Sender TF1. Die zuständige Unterhaltungsredaktion lehnte dankend ab, klaute aber die Idee. Seitdem nimmt Gaillard Rache am Fernsehen, wo immer er kann - und betreibt auf seiner Website einen eigenen Sender.

In Fernsehinterviews besprüht er gerne alle Beteiligten mit Rasierschaum oder klaut gleich die Kamera. Im Mai 2002 führte Gaillard die französischen Medien an der Nase herum, als er nach dem Finale des französischen Fußballpokals, verkleidet als Spieler der Siegermannschaft FC Lorient, auf das Spielfeld gelangte und mitjubelte.

Die Sportreporter erzählten einfach irgendeinen Unsinn, weil sie nichts über den unbekannten Spieler wussten. Bei der Siegerehrung schüttelte Gaillard die Hand des damaligen Präsidenten Jacques Chirac.

Auf dem Podest bei der Wahl zum Mr. Universe

Spätestens seit dieser Aktion ist die Polizei nicht so gut auf Rémi Gaillard zu sprechen. Dass er den Flics immer wieder gerne Strafzettel ausstellt oder Fußbälle in die geöffneten Fenster der Wache kickt, hat das Verhältnis zu den Ordnungshütern auch nicht gerade verbessert.

In Montpellier lassen die Polizisten ihn aber trotzdem gewähren, solange er keine Straftat begeht. In der Stadt ist er mittlerweile so bekannt, dass er sich verkleiden muss, um seine Aktionen noch durchziehen zu können.

Bei den meisten großen Sportveranstaltungen kommt Gaillard, ein leidenschaftlicher Fußballfan, nicht mehr in den Zuschauerraum, denn er hat sich zu viel Frechheiten erlaubt. Bei einem Volleyball-Länderspiel zwischen Frankreich und Griechenland stand er mit auf dem Spielfeld und sang lauthals die Nationalhymne, Eurosport übertrug live. Bei der Wahl zum Mr. Universe schaffte es der schmächtige Franzose auf das Podest, wo er so lange seine weiße Hühnerbrust präsentierte, bis ihn das Sicherheitspersonal entfernte.

"Warum ich diese Videos mache? Der einzige Grund dafür ist, dass ich mein eigener Chef bin und selbst entscheide, wann ich morgens aufstehe." Viele Clips entstehen spontan, während er mit seinem Kameramann durch Montpellier schlendert.

Manche Aktionen sind aber auch so aufwendig, dass sie wochenlange Planung, die Mitarbeit von 30 Bekannten, Kostüme und einen Bus benötigen. So überfiel er mit einer Horde feierwütiger Menschen einen Großmarkt für Partybedarf und machte dort so lange Party, bis die Polizei kam.

Brutalität, wie sie etwa bei der MTV-Serie "Jackass" kultiviert wird, lehnt Rémi Gaillard ab. Bei der Neuinterpretation des Videospiels Pacman sah er sich dennoch grober Gewalt ausgesetzt. In dem Arcade-Klassiker muss die gelbe Spielfigur Punkte in einem Labyrinth fressen und wird dabei von Gespenstern verfolgt.

Er will ein kleiner Junge bleiben

Gaillard raste also, als Pacman verkleidet, durch die Regale eines Supermarkts, gejagt von Geistern - so lange, bis ihn Sicherheitskräfte verjagten. Die nächste Szene spielt wieder auf einem Golfplatz: Gaillard klaut einem Golfspieler den Ball vor dem Schläger weg. Der hat dafür überhaupt kein Verständnis - und drischt mit dem Neuner-Eisen auf Pacman ein.

Die Flucht ist ein wichtiger Teil von Gaillards Aktionen. "Ich renne schnell und bin hart im Nehmen", sagt er, "aber ich weiß nicht, ob ich das mit 43 noch so machen kann." Er geht jeden Tag joggen, um sich körperlich fit zu halten. Dass er irgendwann erwachsen wird, befürchtet Remi Gaillard nicht: "Ich bin ein kleiner Junge und werde immer einer bleiben."

© SZ vom 15.10.2009/jk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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