Internet in Russland:Macht der Trolle

Putin beantwortet Fragen von Internet-Usern

Sachen, die aus dem Internet kommen, bereiten dem russischen Staatschef Wladimir Putin oft Sorgen.

(Foto: Dmitry Astakhov/dpa)
  • Anfang der Nullerjahre richteten sich russische Blogger gegen die Eliten. Ihr Protest erreichte auch die Straße.
  • Der Kreml steuerte mit manipulierten Netzinhalten entgegen - seit neuestem manipuliert er auch die Oppositionellen selbst.
  • Vorerst ist die Internetrevolution in Russland versandet - doch die aktuellen Verhältnisse lassen auf eine zweite hoffen.

Von Igor Eidman

In den vergangenen Jahren fand in Russland dank Internet eine kleine Revolution statt. Sie war leicht zu übersehen und sie scheiterte. Aber man darf auf eine zweite, diesmal große Revolution im Netz hoffen.

Für russische Bürger, die sich nicht gerne vom Staatsfernsehen einlullen lassen, hat sich das Internet seit Anfang der Nullerjahre zur wichtigsten Informationsquelle entwickelt. Für die Oppositionskräfte ist es zum schärfsten Instrument im politischen Kampf geworden. Der Kreml versucht, mit einer abenteuerlichen Strategie dagegenzusteuern: Man lässt staatstreue Trolle los, die Diskussionen im Netz kapern und sogar die öffentliche Meinung im Ausland beeinflussen sollen. Wie kam es dazu?

Im Wesentlichen unterscheidet sich Putins Russland, was die Entwicklung des Internets angeht, wenig von den meisten Ländern dieser Welt. Die Erfindung des Internets hat vielerorts dazu geführt, dass sich eine dialogbasierte, demokratische Informationskultur herausbilden konnte, als Gegensatz zur monologischen, elitären Form der Kommunikation, die sonst die Menschheitsgeschichte geprägt hatte. Früher waren Eliten das einzige Subjekt der Information, die Massen waren Objekt. Die Priester predigten, Beamte verkündeten die Erlasse des Königs.

Politische Kampagnen aus dem Netz

Nun haben die Massen dank Internet eine Stimme. In autoritären Gesellschaften führt das verständlicherweise zu stärkeren Veränderungen als in demokratischen Ländern. Das System Putin, das bei freiem Informationsaustausch einfach nicht existieren könnte, ist dafür ein gutes Beispiel.

Wladimir Putin, offiziell zum nazionalnij lider erklärt, hat in seinen Händen eine unerhörte Macht konzentriert. Es gibt keine landesweiten Fernsehsender mehr, die unabhängig wären; Wahlen werden gefälscht, Regimegegner mit gezielten Kampagnen schikaniert. Vor einigen Jahren noch reifte in Russland eine politische Internetrevolution, wie man sie in Tunesien oder Ägypten beobachten konnte. Solche Revolutionen durchlaufen mehrere Stufen: Das Internet ermöglicht freien Austausch von politischen Informationen; unabhängige Anführer treten hervor (eine Gegenelite); im Netz entstehen alternative Einflusszentren, die politische Kampagnen organisieren. Die erste russische Internetrevolution durchlief all diese Stadien - und scheiterte.

Von Blogposts zur Weißbandrevolution

Wenige in Russland bemerkten zu Beginn der Nullerjahre eine scheinbar unbedeutende Entwicklung: Einige russische Internetaktivisten fingen an, auf Live-Journal zu bloggen, einer US-amerikanischen Plattform, auf der sich sonst englischsprachige Teenager tummelten. Wenige Jahre später wurde Live-Journal zur zentralen Plattform für politische Diskussionen in Russland. Mit der Folge, dass nicht nur oppositionelle Politiker, sondern auch der damalige Staatschef Dmitrij Medwedjew sich gezwungen sahen, dort zu bloggen.

Die Internetrevolution begann in Russland auf Live-Journal mit einer Kampagne gegen Korruption. Sie erinnerte an das, was in den USA Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die Muckraker taten, die Väter des investigativen Journalismus. In Russland war die Korruption nicht weniger schlimm als damals in den USA, aber die Medien waren deutlich weniger frei. Die Enthüllungen russischer Muckraker waren also nur dank des Internets möglich. Und kaum jemand rechnete damit, dass der junge Jurist Alexej Nawalnij bald zur Nummer eins in der russischen Opposition aufsteigen würde. Nawalnij begann damit, dass er Filz in Staatsunternehmen aufdeckte. Später mobilisierte er Bürger, damit sie sich nun selbst vernetzten und weitere Skandale aufdeckten.

Boris Nemzow veröffentlichte im Internet seine Berichte über den sagenhaften Reichtum von Putin und seinen Gefolgsleuten. Das Projekt Dissernet überführte Beamte, die ihre Doktorarbeiten bei professionellen Plagiatoren gekauft hatten. Besonders populär war eine Internetkampagne gegen Beamte, die im Straßenverkehr ihr Recht auf Blaulicht missbrauchten.

Bald schwappte dieser Protest aus der virtuellen Welt in die wirkliche über. Die Parlamentswahl von 2011 war der letzte Tropfen - im Internet landeten Videoaufnahmen, die massive Fälschungen dokumentierten. Hunderttausende gingen auf die Straße. Das Regime wackelte.

Die Serie von Protestmärschen in Moskau, die im Internet organisiert wurden, nannte man die Weißbandrevolution (nach der Farbe der Bänder, die die Demonstranten trugen). Live-Journal war als Treff der Regimegegner bereits von Facebook abgelöst worden. Der Kreml versuchte, ein Ventil zu schaffen, in dem der Blogger Nawalnij für das Amt des Oberbürgermeisters von Moskau kandidieren durfte. Seine Wahlkampagne fand hauptsächlich im Internet statt - und er gewann im ersten Durchgang mehr als ein Viertel der Stimmen. Eine Stichwahl wäre für den Amtsträger zu brenzlig geworden; sie wurde abgesagt.

Internetmanipulation als Gegenstrategie

Die russische Regierung verzichtete (anders als Kollegen in Nordkorea, China oder Iran) auf eine umfassende Kontrolle des Internets. Sie entschied sich stattdessen, auf die Internetrevolution mit einer Internetmanipulation zu antworten. Kürzlich geleakte Mails eines Mitarbeiters der Präsidialverwaltung zeigen, wie der Kreml eine ganze Armee bezahlter Trolle unterhält, deren Aufgabe lautet: Das Internet möglichst "verdrecken", damit man Informationen aus dem Netz nicht mehr traut.

Die oppositionelle Nowaja Gaseta berichtete undercover über eine Agentur, die für 20 Millionen Rubel (350 000 Euro) im Monat Internetseiten populärer Medien mit "den richtigen" Kommentaren versieht. Dutzende Profis arbeiten demnach in Schichten auf 2500 Quadratmetern in einem nicht gekennzeichneten Gebäude am Rande Sankt Petersburgs. Sie verdienten knapp 700 Euro im Monat, was für russische Verhältnisse nicht schlecht ist. Die Trolle bekommen demnach wöchentlich eine Botschaft, die es zu verbreiten gilt: zum Beispiel, dass hinter dem Mord an Boris Nemzow ukrainische Geheimdienste stecken, oder dass amerikanische Marines im Donbass kämpfen. Auch im Ausland werden Botschaften platziert. Bereits 2012 berichtete Kommersant, der Auslandsgeheimdienst SWR habe drei geheime Aufträge ausgeschrieben, Summe: 500 000 Euro, Aufgabe: "massive Verbreitung von Botschaften in Sozialnetzwerken zwecks Gestaltung der öffentlichen Meinung".

Diese Strategie des Kremls ist nur bedingt aufgegangen, denn die Popularität der russischen Muckraker wuchs weiter. Die halbherzige Blockierung einiger Seiten wie grani.ru oder kasparov.ru (man erreicht sie weiterhin mit einigen Tricks) haben ihnen nur mehr Traffic beschert.

Eine andere Strategie - die der patriotischen Revanche - funktioniert hingegen viel besser. Der Anschluss der Krim bedient tiefe imperiale Sehnsüchte vieler sonst oppositionell gesinnter Russen und überdeckt derzeit jeglichen Protest gegen Korruption und Blaulichter. Die aktivsten Internetnutzer sind nun, zum ersten Mal in Russlands Geschichte, nicht mehr die Oppositionellen, sondern die Putin-Fans.

Aber der Ukraine-Krieg und der Konflikt mit dem Westen werden die Lebensbedingungen der meisten Russen deutlich verschlechtern. Und sobald diese Russen dann im Internet nach den Ursachen ihres Elends suchen, wirklich suchen, dann könnte eine zweite Internetrevolution anbrechen.

Igor Eidman ist Internetsoziologe und lebt in Leipzig. Aus dem Russischen: Tim Neshitov

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