Internet:"Cyberkriminalität wird zum Milliardengeschäft"

Das russische Unternehmerpaar Jewgenij und Natalya Kaspersky über Bedrohungen aus dem Internet, Kontakte zum KGB und den Kampf gegen Vorurteile.

Markus Balser

SZ: Herr Kaspersky, wann ist Ihnen der erste Virus begegnet?

Jewgenij Kaspersky

Jewgenij Kaspersky

(Foto: Foto: Kaspersky Labs)

Jewgenij Kaspersky: Das war 1989 - ich arbeitete in einem wissenschaftlichen Institut des Verteidigungsministeriums als Programmierer, als mit "Cascade" einer der ersten Viren die Runde machte. Damals ahnte niemand, dass das der Beginn einer Epidemie sein würde. Ich hielt den Vorfall für außergewöhnlich und habe den Code in einem Notizbuch aufgeschrieben. In kurzen Abständen tauchten weitere Schadprogramme auf - das Buch war sehr schnell voll.

SZ: Vom Kryptographen beim gefürchteten Geheimdienst KGB zum High-Tech-Unternehmer - Ihre Karriere ist ungewöhnlich. Wie wurde aus der Jagd auf Viren ein Geschäft?

J. Kaspersky: Die Idee wurde aus der Not geboren. Anfangs habe ich Viren analysiert, um Schutzprogramme für Freunde und Kollegen zu schreiben. Sie konnten ganz gut mit den teuren Angeboten aus Geschäften oder dem Internet mithalten.

Als die wirtschaftliche Situation in Russland Anfang der neunziger Jahre katastrophal schlecht wurde, war ich gezwungen beruflich etwas zu ändern. Zuerst bewarb ich mich als Programmierer bei privaten Unternehmen - ohne Erfolg. Mir blieb dann gar nichts anderes übrig, als selbst eines zu gründen.

SZ: Ihr Unternehmen beobachtet die Hackerszene seit Jahren. Wie hat sie sich geändert?

J. Kaspersky: Ganz einfach: Früher waren das Idealisten, heute sind es Kriminelle. 90 Prozent aller Trojaner und Viren werden inzwischen geschrieben, um illegal an kritische Informationen wie Kunden- oder Kontodaten zu kommen. Es geht immer professioneller zu.

Das zeigt auch der rasante Anstieg in den vergangenen Jahren. Ende der Neunziger haben wir 100 neue Viren und Trojaner pro Woche registriert. Heute sind es mindestens 200 pro Tag. Allein im vergangenen Jahr hat sich die Zahl verdoppelt.

Wir müssen lernen, dass wir es bei Hackerangriffen nicht mehr mit einem virtuellen, sondern mit einem realen Problem zu tun haben. Denn heute geht es Hackern um ein Milliardengeschäft. Wir erleben eine regelrechte Arbeitsteilung im organisierten Verbrechen.

SZ: Was meinen Sie?

J. Kaspersky: In Brasilien wurden Gruppen entdeckt, die mit gestohlenen Internetidentitäten in wenigen Monaten 50 bis 100 Millionen Euro erbeutet haben, in Israel ein IT-Experte, der eine japanische Bank fast um 420 Millionen Dollar erleichtert hätte.

Solche Projekte funktionieren nur, weil Kriminelle regelrecht professionell in verschiedenen Stufen vorgehen und so Spuren verwischen. Hacker organisieren Daten und verkaufen sie dann an die eigentlichen Täter weiter.

Hier in Moskau können Sie für umgerechnet 20 Euro Speicher mit Kundendaten von Unternehmen auf Märkten kaufen. Kopien dieser Festplatten gibt es in China. Wer die in die Hände bekommt, kann damit entweder direkt agieren oder die Bestohlenen erpressen. Für Unternehmen wie Banken ist ein solcher Datenverlust schließlich sehr unangenehm.

SZ: Frau Kaspersky, Kritiker werfen Ihrer Branche vor, sie betreibe Panikmache im eigenen Interesse, schließlich treibt Ihnen die Angst neue Kunden in die Arme.

"Cyberkriminalität wird zum Milliardengeschäft"

Natalya Kaspersky: Ich kenne die Vorwürfe und kann sie zum Teil nachvollziehen. Unser Verkauf steigt im Privatkundengeschäft mit Virenmeldungen tatsächlich an. Aber wir würden mit Panikmache unsere Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen - ein sehr teures Gut in unserer Branche. Warnen wir zu oft, glaubt uns niemand mehr. Wir gehen nur dann an die Öffentlichkeit, wenn wir eine wirklich große Gefahr sehen - so wie zum Beispiel beim Sasser-Wurm.

Natalya Kaspersky

Natalya Kaspersky

(Foto: Foto: Kaspersky Labs)

J. Kaspersky: Ich halte den Verdacht für Unsinn. Wir sehen viele neue Gefahren aus dem Internet, über die wir öffentlich im Moment noch gar nicht sprechen. Denn darüber führen wir zunächst Gespräche mit den Sicherheitsbehörden in Russland und möglicherweise bald auch mit dem FBI in den USA. Von Panikmache kann also gar keine Rede sein.

SZ: Welche neuen Gefahren drohen?

J. Kaspersky: Mit dem Zusammenwachsen von Geräten, der so genannten Konvergenz wird die Angriffsfläche größer. Denn der Computer übernimmt immer mehr Funktionen. Auch intelligente Handys, so genannte Smartphones und Autos werden zu Angriffszielen. Einfallstore sind zum Beispiel Navigationssysteme.

Auch das Geschäft mit Trojanern wächst. Diese Programme operieren wie militärische Kommandos. Getarnt als Massen-Emails erobern sie ganze Flotten von Computern, sammeln Daten und öffnen ein geheimes Türchen ins Internet. So kann der Virenschreiber die Kontrolle über Tausende private Rechner erhalten. Solche Netzwerke werden dann zum Versenden von Werbemails stundenweise regelrecht vermietet.

SZ: Früher kamen Cyberangriffe aus westlichen Industrieländern, heute aus der zweiten und dritten Welt. Warum?

J. Kaspersky: Die meisten Viren kommen heute aus China, gefolgt von Brasilien und anderen lateinamerikanischen Ländern sowie Russland und Osteuropa. Ich glaube, das liegt vor allem an der ökonomischen Situation, aber auch der Mentalität und dem technischen Fortschritt.

Zum einen nimmt die Verbreitung von Computern und Internetzugängen auch in Schwellenländern zu. Die technische Voraussetzung ist also da.

Zum anderen ist die Kriminalitätsrate in Ländern mit schwächeren Ökonomien generell höher. Aber es geht sicher auch um Mentalitätsfragen. Wir registrieren kaum Viren aus Japan. Da scheint Internetkriminalität ein absolutes Tabu zu sein.

SZ: Die politische Unsicherheit in Russland wird von vielen westlichen Unternehmen heftig kritisiert. Bereitet Ihnen der Kurs der Regierung Putin Sorge?

N. Kaspersky: Nein, als Unternehmen ohne staatliche Vergangenheit und staatlichen Einfluss, spüren wir keine Einschränkungen. Mehr zu schaffen machen uns internationale Vorurteile der russischen Wirtschaft gegenüber. Vor allem in den USA ist das ausgeprägt. Vielleicht spielt da die frühere politische Situation des Kalten Krieges noch eine Rolle.

Wirklich schwierig ist für Unternehmer in Russland vor allem, dass es nur wenige Manager mit internationaler Erfahrung gibt. Und ausländische Manager zu verpflichten, ist schwer, denn die arbeiten lieber in Westeuropa oder in den USA. Das erschwert die Expansion hiesiger Unternehmen.

SZ: Sie wollen bei der Sicherheitssoftware in die Weltspitze vorstoßen. Ohne frisches Kapital wird das kaum klappen. Wäre Ihr Börsengang eine Option?

N. Kaspersky: Wenn die Bedingungen gut sind: Möglicherweise. Allerdings wohl nicht in Moskau, denn hier gibt es keine Technologiebörse. Und unter all den Ölfirmen würden wir als High-Tech-Unternehmen wohl untergehen. Wir machen einige juristische Schritte in Richtung Börsengang. So soll unser Finanzsystem transparenter werden.

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