Internet auf dem Land:Tal der Ahnungslosen

Internet auf dem Land: Sankt Roman bei Wolfach im Schwarzwald: Das Internet ist in dieser Gegend oft langsam. Ziel der Bundesregierung ist eigentlich 50 Mbit/s.

Sankt Roman bei Wolfach im Schwarzwald: Das Internet ist in dieser Gegend oft langsam. Ziel der Bundesregierung ist eigentlich 50 Mbit/s.

(Foto: Daniel Schoenen/mauritius images)
  • Viele mittelständische Unternehmen auf dem Land sehen langsames Internet als Hemmnis für ihr Geschäft.
  • Bis 2018 will die Bundesregierung eigentlich flächendeckende Versorgung mit mindestens 50 Mbit/s bereitstellen.
  • Außerhalb der Ballungszentren lässt der Breitbandausbau aber noch auf sich warten.

Von Hannes Vollmuth

Das Internet kriecht nur, und die Telekom ist schuld, die Politik hat auch versagt, und wenn das so weitergeht, sagt Sebastian Paschun, Unternehmer im Schwarzwald, wird als Erstes die Jugend hier fortziehen.

Paschun starrt auf den soeben gestarteten Download auf seinem Dell-Laptop: fünf Stunden 45 Minuten geschätzte Download-Zeit.

Am Rande der Stadt Wolfach, in einem Seitental des Schwarzwaldes, am Fuße eines schneebedecken Hangs liegt das Gewerbegebiet Ippichen. Dort hat "Visuelle Technik" seinen Firmensitz, ein Mittelständler, der sich leidenschaftlich der Hochtechnologie verschrieben hat. Visuelle Technik entwickelt Kamera-Mess-Systeme, die Fehler in der Produktion erkennen können, beliefert Intel, die Deutsche Bahn, ist in Taiwan aktiv, in Indien, den USA. Und muss für seine Arbeit hin und wieder Messbilder aus der weiten Welt zurück in den Schwarzwald laden, über das Internet. Was aber nicht geht, zumindest nicht in der Lebenszeit der Mitarbeiter. Die Zwölf-Mann-Firma hat nur drei Megabit pro Sekunde (Mbit/s) zur Verfügung. Visuelle Technik ist nur mit Kriechgeschwindigkeit im Netz unterwegs.

Je abgelegener eine Gegend, desto langsamer das Internet

Dass Menschen in einigen ländlichen Regionen keine Filme über ihr langsames Internet schauen können, ist gerade noch verschmerzbar. Dass Unternehmen in manchen Landstrichen aber nur langsam im Internet unterwegs sind, ist mehr als ein Problem. Es ist ein Zeichen. Deutschland ist mächtig stolz auf seinen Mittelstand, der aber meistens eben nicht in Köln, Berlin oder Hamburg sitzt, eher in einem Schwarzwaldtal. Es ist ein Zeichen dafür, dass der Fortschritt an Provinz und Mittelstand vorbeigaloppiert.

Nicht nur der Schwarzwald ist betroffen, genauso Regionen in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern oder Ostbayern. Je abgelegener eine Gegend, so die Regel, desto langsamer das Internet. Und so krebsen Firmen wie Visuelle Technik im Schwarzwald mit einer drei Mbit/s-Leitung durchs Netz, andere mit sechs Mbit/s, wieder andere mit zehn. Für Videokonferenzen, Cloud-Dienste, für Downloads von Gigabyte-Paketen ist das zu wenig. Es ist sogar peinlich.

"Wissen Sie, ich sag' unseren Kunden natürlich nichts davon, wie sollen die Amis so was verstehen?", sagt Paschun, 39, der zu Vollbart und Strickweste auch noch Ugg-Boots trägt. Er starrt immer noch auf seinen Laptop. Nichts geht voran. Immer noch fünf Stunden 45 Minuten verbleibende Downloadzeit.

Bulgarien, Rumänien und Lettland sind schneller im Netz unterwegs

Es ist ja nicht so, dass Paschun nicht erfinderisch gewesen wäre. Eine Satelliten-Lösung hat er in Erwägung gezogen, "zu träge". Er hat LTE-Technik ausprobiert, "zu umständlich, funktioniert nur unterm Dach". Inzwischen stellt er sich auf den Gang und schreit: "Fernwartung!" Dann wüssten alle: raus aus dem Internet. Wenn es ganz schlimm ist, fährt er 30 Kilometer nach Hause, lädt dort herunter. Es ist häufig ganz schlimm. Er hatte schon Bewerber, die nach Home-Office fragten. Großes Gelächter. "Wie soll das gehen, wenn man sich nicht in das Firmennetz einwählen kann?" Und so ist dies auch eine Geschichte über die schöne neue Arbeitswelt, die hinten und vorne nicht stimmt.

26. Das ist der Rang, den Deutschland laut den Erhebungen des Unternehmens Akamai in Sachen Internetgeschwindigkeit weltweit belegt. Länder, die schneller im Netz unterwegs sind: Bulgarien, Rumänien, Lettland. Im Durchschnitt surft Deutschland mit 13,7 Mbit/s im Internet. Im Durchschnitt bedeutet, dass die Städte ihre Datenautobahnen haben und das Land stellenweise nur Trampelpfade.

Seit Ende 2015 fördert die Bundesregierung deshalb den Breitbandausbau, stellt also Fördergelder für schnelle Leitungen bereit, bisher vier Milliarden Euro. Bis 2018 soll ganz Deutschland mindestens mit 50 Mbit/s unterwegs sein, das wäre 17-mal schneller, als Visuelle Technik bisher surft. Doch momentan, also ein Jahr vor Ende der Frist, sind nur 71,2 Prozent der Bevölkerung an 50 Mbit/s angeschlossen - die Zeit läuft also ab.

Der Breitbandausbau scheint mit derselben Geschwindigkeit unterwegs zu sein, die er eigentlich beseitigen will.

Verabschiedet man sich von Sebastian Paschun, der noch immer vor seinem Download sitzt, und läuft über die Straße, kann man erfahren, wie weit das Gewerbegebiet Ippichen schon weggedriftet ist von Deutschland, ja der Welt. In der Tür wartet Thomas Kleinsorge, Geschäftsführer von "Sachtleben Mining Service", einem Dienstleister für Bergbau und Felssicherung, der Stahlnetze an Steilhänge tackert, und für den auch der Standort Schwarzwald nicht ganz unwichtig ist, schon wegen der Reputation. "Soll ich nach Timbuktu umziehen, nur weil da das Internet schneller ist?", fragt Kleinsorge. Dann wedelt er mit einem Zettel.

Für jedes dritte Unternehmen ist langsames Internet ein Problem

Auch Kleinsorge, 56, ein großer Mann mit kariertem Hemd und festem Händedruck, hat seine liebe Not mit dem Internet. Er macht häufiger mal einen Speedtest mit seiner Leitung, damit misst er die Geschwindigkeit. Er setzt jetzt seine Brille auf und liest vor: "2898 Kilobit pro Sekunde". Nicht mal drei Mbit/s.

Videokonferenzen sind unmöglich

Seit 2013 nutzt Sachtleben die Buchhaltungssoftware der Firma Datev mit Sitz in Nürnberg. Die Daten lagern also auf einem Server 250 Kilometer entfernt. Wenn Kleinsorge eine Rechnung aufrufen will, sieht er häufig "das berühmte Warterad". Seine Buchhalterin fängt oft um sechs Uhr morgens an, weil das Internet da noch frischer ist, so ihr Gefühl. Kleinsorge selbst geht erst abends um acht ins Netz, "dann ist es einigermaßen erträglich".

Kleinsorge wollte mal eine Videokonferenz mit Kanadiern machen, die sind sehr interessiert an seiner Bergbaufirma aus dem Schwarzwald. "Aber nach ein paar Minuten mussten wir abbrechen", sagt er, "das hat nur geruckelt." Ihm wurde geraten, für Videokonferenzen einen Raum in Freiburg zu mieten, eine Stunde entfernt. "Freiburg", sagt Kleinsorge, "Freiburg." Draußen schneit es dicke Flocken, man fühlt sich wie in einer Schneekugel.

Sucht man nach historischen Gründen, warum Deutschland nicht mit Datenautobahnen durchzogen ist, zumindest nicht bis in die letzten Winkel des Schwarzwaldes, landet man immer bei der Telekom. Vor 19 Jahren wurde der deutsche Telefonmarkt liberalisiert und der Monopolist, die Deutsche Telekom, privatisiert. Doch Netzausbau ist teuer und Deutschland in vielen Regionen dünn besiedelt. Die Telekom denkt natürlich betriebswirtschaftlich.

Auf eine Anfrage antwortet die Pressestelle der Telekom: "Bauen wir irgendwo Bereiche nicht aus der eigenen Tasche aus, gibt es dafür Gründe." Logisch, es geht ums Geld.

Viele Experten halten die Breitbandförderung für einen Witz

Stellt man eine weitere Anfrage an das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, das den Breitbandausbau vorantreiben will, bekommt man zügig eine Antwort, Erfolgsmeldungen: 1170 Anträge für Planungen oder Beratung wurden schon bewilligt, 171 Anträgen für konkrete Netzausbauprojekte stattgegeben. "Das sehen Sie doch, was falsch läuft", sagt Tabea Rößner, Netzexpertin bei den Grünen im Bundestag, "171 konkrete Netzausbauprojekte, das ist doch gar nichts."

Rößner hält wie einige andere Experten die Breitbandförderung für einen Witz. Viel Geld fließt in Beratung, am Ende werde in den Kommunen aber kaum gebaut, also Leitungen verlegt oder schneller gemacht. "Die Impulse sind falsch gesetzt", sagt Rößner. Und übrigens sei das ganze Förderprogramm "schädlich für die Zukunft". "Wir brauchen Glasfaser, statt alte Kupferleitungen aufzurüsten." 50 Mbit/s seien doch schon fast wieder veraltet.

2015 befragte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) 1849 Unternehmen. Fast jedes dritte gab an, zu langsames Internet sei ein Hemmnis für ihr Geschäft.

Manche Unternehmen auf dem Land wollen der Telekom jetzt Geld geben für schnelles Internet. Andere gründen eine Genossenschaft. Wieder andere ziehen weg, dem schnellen Internet hinterher. Und manche hoffen noch auf die Politik, auf den Bürgermeister, der wie in Wolfach aber auch keine schnelle Lösung hat. Er fühle sich "versäckelt" von der Telekom, sagt Thomas Geppert, vorsichtig übersetzt: in die Irre geführt. Man hätte ihm nicht mal mitgeteilt, welche Leitungen im Boden liegen. Irgendwo, so Gerüchte, wäre sogar schon superschnelles Glasfaser verlegt. "Wie soll ich so Fördergelder beantragen?" Die Telekom bestreitet, die Stadt Wolfach nicht informiert zu haben. Es gebe bereits Gespräche.

Sebastian Paschun mit der Strickjacke und den Ugg-Boots sitzt jedenfalls immer noch vor seinem Dell-Laptop. Inzwischen steht dort fünf Stunden 40 Minuten Downloadzeit. "Ich brech' jetzt ab", sagt Paschun. Kurz muss er lachen.

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