Internet-Adressen:"Langsam läuft uns die Zeit weg"

Internet-Adressen werden knapp - in 211 Tagen werden die letzten vergeben sein. Aber ein neues Verfahren setzt sich nur langsam durch.

Alexander Stirn

Noch 977 Tage, dann ist das Internet dicht. Ende Januar 2011, so die aktuelle Vorhersage auf der Webseite der japanischen Firma Intec Netcore, werden alle Adressen vergeben sein, die Computer und andere vernetzte Geräte brauchen, um übers Internet miteinander Kontakt aufnehmen zu können. Seit Jahren warnen Experten, dass das aktuelle Internetprotokoll an seine Grenzen gestoßen ist. Und fast genauso lange haben Firmen und Provider das Problem beiseite geschoben oder Notlösungen eingerichtet.

Außer Betrieb, Stefan Puchner

Muss das Internet dicht machen? Langsam werden IP-Adressen knapp, die Computer und andere vernetzte Geräte brauchen, um übers Internet miteinander Kontakt aufnehmen zu können.

(Foto: Foto: Stefan Puchner)

Ganz langsam jedoch setzt sich die Erkenntnis durch, dass an einer neuen, mittlerweile sechsten Version des Internetprotokolls (kurz: IPv6) kein Weg mehr vorbeiführt. "Nach Schätzungen von Experten sind derzeit nur noch 16 Prozent der IP-Adressen verfügbar", sagt Christoph Meinel, Direktor des Hasso-Plattner-Instituts an der Universität Potsdam. Der Druck, den veralteten Internet-Standard durch einen neuen abzulösen, wachse daher stetig. "Langsam läuft uns die Zeit weg", warnt Meinel, "und dann wird es teuer."

Ohne IP-Adresse geht nichts

Um im Internet Daten auszutauschen, braucht jedes Gerät eine Adresse, vergleichbar mit einer Hausnummer. Derzeit setzt sich diese Adresse aus vier Ziffernfolgen mit je maximal drei Stellen von 0 bis 255 zusammen - beispielsweise 213.221.91.5. Theoretisch können auf diese Weise knapp 4,3 Milliarden Adressen vergeben werden. Viele Bereiche sind allerdings reserviert, und die Adressen sind höchst ungleich über die Welt verteilt. Allein die USA haben sich fast drei Viertel aller möglichen Nummern gesichert; auch Europa hat noch einige Reserven. Ganz anders in Asien: In Ländern wie China oder Japan werden die Adressen knapp. Entsprechend groß ist dort die Bereitschaft, auf das neue Protokoll umzusteigen. Denn das bietet schier unbegrenzte Wachstumsmöglichkeiten. Mit IPv6 können mehr als 340 Sextillionen unterschiedliche Adressen verwaltet werden, eine Zahl mit 37 Nullen. Genug, um alle netztauglichen Geräte - vom Laptop über den Stromzähler bis zum Kühlschrank - eine unveränderliche Kennziffer zuzuordnen. "Der Trend geht hin zu einem 'Internet der Dinge und Dienste'", sagt Meinel.

"Langsam läuft uns die Zeit weg"

Vorrang für Videos

Aber auch Handys und andere mobile Geräte würden von der Ziffernvielfalt profitieren. Da ihnen derzeit keine feste IP-Adresse zugeordnet werden könne, erschwere dies die Entwicklung komfortabler Anwendungen für unterwegs. "Das wird alles mit IPv6 möglich", sagt Meinel. Zudem soll das neue Protokoll stabilere Verbindungen und bessere Übertragungen sicherstellen. Sollen Sprache und Videos transportiert werden, kann IPv6 diesen Datenpaketen Vorrang vor anderen Diensten einräumen. Nach und nach stellen sich auch die Internetprovider auf die neue Technologie ein - ohne viel darüber zu reden.

Bei den Privatanwendern dagegen besteht kaum Interesse. Meinel, der auch Vorsitzender des Deutschen IPv6-Rats ist, macht dafür eine Mischung aus Unkenntnis, Unsicherheit und fehlendem Druck verantwortlich. Viele Nutzer sagten sich: "Mein Internet funktioniert doch, warum sollte ich da umsteigen." Deshalb wollen EU-Kommission und Bundesregierung jetzt aktiv werden. Ein Aktionsplan, den die EU-Kommission am Donnerstag verabschieden soll, sieht unter anderem vor, einen Großteil der EU-Webseiten und der eigenen IT-Projekte auf IPv6 umzustellen. Mehr als 100 Millionen Euro sind zudem bereits in die Finanzierung von IPv6-Projekten geflossen. Auch die Bundesregierung will ihre kommenden IT-Entwicklungen, darunter das Online-Meldewesen und die Vernetzung der Ministerien, auf dem neuen Standard aufbauen.

Gängige Betriebssysteme sind schon bereit

Privatanwender müssen sich dennoch keine Sorgen machen, dass der Bildschirm schon bald schwarz bleiben könnte, alte und neue Technologie werden für einige Jahre parallel existieren. Irgendwann werden aber auch private Internetnutzer nicht umher kommen, ihre Technik fit für das neue Protokoll zu machen. Bei manchen Geräten, die eine Verbindung ins Internet aufbauen, kann es schon reichen, eine neue Software aufzuspielen, die mit dem neuen Protokoll umzugehen weiß. Andere müssen möglicherweise ausgetauscht werden. Die Programmierer sind da schon weiter: Egal ob Windows Vista, Mac OS X oder Linux, die Betriebssysteme moderner Rechner sind heute bereits fit für IPv6 - auch wenn die Uhr noch nicht ganz abgelaufen ist.

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