Inszenierte Fälschungen im Netz:"Millionen Textseiten ohne Sinn"

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Der Medien-Designer Daniel van der Velden über die blühende Kultur inszenierter Fälschungen im Netz.

Tobias Moorstedt

Ein sicherer Hafen im Sturm der Bits, Pixel und Soundbites liegt im Postjesweg, Amsterdam. Der niederländische Design- und Grafik-Think-Tank Metahaven hat sein Büro in einer alten Schmuckfabrik untergebracht. Die rauen Ziegelwände sind mit bunten Plakaten beklebt. In schweren Eisenregalen stapeln sich Bücher bis unter die Decke. Vor dem Fenster funkelt die Sonne auf stillem Kanalwasser.

Der Metahaven ist für Daniel van der Velden, 38, Vinca Kruk und Gon Zifroni (beide 29) Arbeits- und Rückzugsraum. Metahaven gilt als eines der innovativsten Designbüros in Europa. Es bietet sich als Markenberater für osteuropäische Staaten an. Van der Velden und seine Leute halten in Harvard Vorträge über Logos von Deathmetal-Bands.

In ihren Projekten, die sie in dem Buch Uncorporate Identity vorstellen, verschwimmt die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fälschung, Marketing und Kunst. "Wir erleben eine Demokratisierung der Fälschung", sagt van der Velden. " Was im Netz erzählt wird, ist nicht so sehr die Wahrheit, sondern etwas, das nur wahr sein könnte."

SZ: Herr van der Velden, stimmt es, dass Ihr Büro den Marketing-Auftrag für Sealand erhalten hat, ein fiktives Land in der Nordsee?

Daniel van der Velden: Sealand ist eine alte Militär-Plattform aus dem Zweiten Weltkrieg, die in den 70er Jahren von einem ehemaligen Offizier der Royal Navy besetzt und zu einem unabhängigen Königreich erklärt wurde. Niemand lebt auf der Betonstruktur. Niemand weiß, was man eigentlich damit machen soll. Sealand ist einfach da. Es ist eine Art realer Hoax, eine Fälschung aus Beton, die von den Mythen und Gerüchten lebt, die gerade im Internet-Zeitalter um sie herumschwirren. Sealand ist nur Bild und Projektionsfläche und hat so die radikalste künstliche Entwicklungsform einer Marke angenommen.

SZ: Die fiktiven Briefmarken, Münzen, auch eine Fahne, die Sie für Sealand entworfen haben, sind aber auf der offiziellen Wikipedia-Seite dargestellt.

Van der Velden: Dieses fremde, quasi-fiktive Königreich besitzt ein gewisses Märchenpotential, das die Menschen anzieht. Die Internetinsel wurde zu einem Träger der Träume der Menschen - eine Art Monaco des armen Mannes.

SZ: Vergangenen Herbst berichteten deutsche Nachrichtenagenturen und Online-Medien über einen Selbstmordanschlag, den Mitglieder der Hiphop-Gruppe Berlin Boys 666 in der kalifornischen Kleinstadt Bluewater durchgeführt hätten. Die Medien wurden durch einen Telefonanruf alarmiert, fanden im Netz Twitter-Meldungen von Augenzeugen, die Website der Polizei von Bluewater und einen Blogeintrag der vermeintlichen Täter. Stunden später kam heraus, dass alles vom Regisseur Jan Stahlberg inszeniert war, der PR für seinen neuen Film machen wollte. Van der Velden: Auch der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy hat für sein letztes Buch einen Autor zitiert, von dem Aufsätze im Internet zu finden waren. Leider ist der vermeintliche Autor eine Satirefigur. Lévy hat dann ziemlich souverän reagiert und gesagt: "Der Mann mag vielleicht nicht existieren. Er hat aber trotzdem recht." Die Fiktion wurde Teil seiner Argumentationskette. Lévy hat die Grenze zwischen Realität und Phantasie transzendiert. Wir folgen ihm auf seinem Weg.

SZ: Es gibt das berühmte Beispiel der Radio-Sendung War of the Worlds aus den 30er Jahren. Damals löste die Science-Fiction-Sendung von Orson Welles angeblich eine öffentliche Panik aus. Das geschah vermutlich vor allem deshalb, weil das Radio als singulärer Sender eine ungeheure Autorität besaß.

Van der Velden: Die Frage, wann und warum ein Nutzer eine Quelle als objektiv und vertrauenswürdig bewertet, spielt beim Design eine große Rolle. War es früher die sonore Stimme des Radiosprechers, ist es heute vor allem die Nüchternheit und Sterilität von Web-Giganten wie Google und Facebook. Diese klaren Oberflächen strahlen eine gewisse Autorität aus. Die Google-Suchliste ist das neue Paradigma für Relevanz.

SZ: Vor zwei Wochen fand sich in der Tabelle der beliebtesten Suchanfragen bei Google der Begriff Lumberton Trading Company, eine amerikanische Plattenfirma, die es gar nicht gibt. Millionen E-Mail-Nutzer hatten eine Spam-Mail erhalten, in der die Lumberton Trading Company mit einer Klage wegen Urheberrechtsverletzungen drohte. Die Spam-Mail war so überzeugend formuliert, dass viele mehr Informationen einholen wollten. Lumberton tauchte somit auf der Agenda der Allgemeinheit auf - zwischen der Gesundheitsreform und dem Spielplan der Basketballliga.

Van der Velden: Da sieht man, dass es eine kreative Leistung ist, einen Namen zu erfinden, den die Leute für echt halten. Interessant bei den Spam-Mails ist doch, dass es immer um Geld geht, um Juristen, um Banken. Eine Form der Macht.

SZ: Die plötzliche Popularität der Lumberton Trading Company führte übrigens dazu, dass die automatischen Webseiten-Generatoren, die beliebte Suchbegriffe in ansonsten leere Webseiten integrieren, um Web-Traffic und Werbe-Gelder zu sammeln, immer mehr Seiten zum Thema erstellten. Die erfundene Firma wurde immer präsenter. Maschinen hatten das Wort ergriffen.

Van der Velden: Ja, Millionen Textseiten ohne Sinn. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass die Programme und Skripte irgendwann einmal von einem Menschen geschrieben wurden. Die Gestaltung von Informationen, das haben wir auch gemerkt, als wir unsere spekulativen Designs im Web platzieren wollten, hat sich von der visuellen Oberfläche in tiefere Strukturen verschoben.

Da geht es um Fragen der Googleability, wie man also eine möglichst hohe Position in der Treffertabelle der Suchmaschinen erreicht. Ganz ähnlich wie Autos, die in den vergangenen Jahrzehnten durch die Aerodynamik-Tests immer schlanker und glatter wurden und sich so in der Form anglichen, muss nun auch jedes Informationsobjekt einen Prozess durchlaufen, der es glättet und stromlinienförmig macht, damit es reibungslos durch die Netzwerke rutschen kann.

© SZ vom 10.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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