Horrorgeschichten im Netz:Das Gespenst rumpelt im Macbook

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Der Slenderman wurde 2009 erfunden. Er ist eine der bekanntesten Horror-Figuren des Internets. (Foto: LuxAmber CC BY-SA 4.0)

"Creepypasta" heißen Horrorgeschichten für das Internet des 21. Jahrhunderts. Manchmal beginnt das Grauen mit einem Klick.

Von Michael Moorstedt

Es ist ja nicht so, dass es dem Internet an Schauergeschichten mangelt. Wer daran zweifelt, muss nur mal einen Blick in die Kommentarspalten von Artikeln zu . . . eigentlich allem werfen. Schier bodenlos sind die menschlichen Abgründe, die sich dort auftun. Wer danach noch immer nicht genug hat, den beglückte das New York Magazine in der vergangenen Woche passend zu Halloween mit einer Auswahl der 20 furchterregendsten Schauergeschichten des Netzes.

Es ist nur logisch, dass der Horror von heute im Netz spielt. Das Grauen sucht die Menschen in ihrem natürlichen Lebensraum heim. Das vermeintlich Vertraute ist nicht mehr sicher. So sind die Filme, vor denen Lehrer und Eltern früher noch gewarnt haben, zu ziemlich akkuraten Zeitkapseln geworden. In den Siebzigerjahren ließ George Romero seine Zombies noch in Einkaufszentren marodieren, später dienten entweder Vorstädte ("Halloween"), Ferienlager ("Freitag der 13.") oder Schulen ("Scream", "Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast") als Schauplatz. Das Monster wird zur Metapher. Es spukt auf dem Smartphone statt auf dem Speicher. Das Gespenst rückt keine Möbel mehr, sondern rumpelt im Macbook.

Dabei spielen die Geschichten nicht nur im Netz, sie werden dort auch verfasst: Auf der beliebten Grusel-Website creepypasta.com gibt es hunderte Beispiele in den Kategorien Computer und Internet. Hier schreiben Fans und Autoren Horrorgeschichten für das 21. Jahrhundert. Akteure und Requisiten rekrutieren sich aus der Lebenswelt der Digital Natives: Dort gibt es bösartige Software, verhexte Dateien und Youtube-Videoblogs aus der Gruft, die Texte tragen vielsagende Titel wie "Friend Request" oder "Unknown User".

Die Foren, auf denen die Geschichten zu finden sind, haben Hunderttausende Leser. Ausgefeilte Texte machen sich selbstverständlich die Interaktivität des Mediums zu Nutze. Da wird das Schauermärchen mit eigens produzierten Youtube-Videos angereichert, da werden Links gesetzt zu üppig ausgestatteten Blogs, die angeblich als Beleg für das Übernatürliche dienen, es gibt entsprechende Twitter-Accounts. Es ist die logische Fortentwicklung von billig produzierten Found-Footage-Filmen wie "Blair Witch Project" oder "Paranormal Activity". Die Grenzen von harmlosen Memen, Guerilla Marketing und Fake News verschwimmen.

In einer Zeit, in der scheinbar alles bekannt ist, wird das Unkonkrete zum Gruselfaktor

Das Netz schafft sich auch seine eigenen Horrorgestalten wie zum Beispiel den " Slenderman" oder eine Albtraumfigur mit dem Namen "This Man". Sie stehen längst gleichberechtigt neben Freddy Krueger oder Jason mit der Eishockeymaske. Anders als ihre Vorgänger bleiben sie aber erstaunlich vage, es sind schattenhafte Gestalten. In einer Zeit, in der scheinbar alles bekannt und übersichtlich ist, wird gerade das Unkonkrete zum Gruselfaktor.

Interessant ist, dass niemand ein Urheberrecht an den Geschichten beansprucht. Die Storys werden von ungezählten Nutzern fortgeschrieben. Wie in vordigitalen Zeiten entwickeln die Geschichten eine Eigendynamik, sie werden nur nicht mehr von Nachbarn zu Nachbar weitergegeben, sondern "geliked" und geteilt, bis ihr Ursprung nicht mehr auffindbar ist. Die Geister von heute sind "Open Source".

© SZ vom 30.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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