Hatespeech im Netz:Hass ist keine Meinung

Hate Speech

Plattformbetreiber sind mit der Bekämpfung von Belästigungs- und Hasspostings, Stalking und Identitätsdiebstahl massiv überfordert

(Foto: promesaartstudio - Fotolia)

Gewaltfantasien, Drohungen gegen ihren Sohn, Hakenkreuze: Anne Matuschek wurde im Netz gemobbt, bis sie aufgab. Hier schreibt sie, wie es ist, von Trollen gehetzt zu werden.

Gastbeitrag von Anne Matuschek

Als ich vor einigen Tagen meinen Twitter-Account öffnete, sah ich die Nachricht eines fremden Mannes. Er kündigte an, demnächst in meine Stadt kommen zu wollen. Einen Tweet weiter postete er einige Grundschulen in meinem Bezirk und fragte, auf welche denn mein Sohn gehe.

Was in einem anderen Kontext wie eine Plauderei unter Freunden erscheinen würde, war in der beschriebenen Situation in höchstem Maße bedrohlich. Dieser Mann verfolgt mich seit sechs Monaten im Netz. Neben dem Versenden von Gewaltfantasien und Hakenkreuzen schreibt er mich immer wieder direkt an. An guten Tagen fragt er nur, wie es mir geht. An schlimmen Tagen schreibt er, er wolle mein Kind gern "streng erziehen", oder bezieht mich öffentlich in seine Sexualfantasien ein. Er hetzt auch andere Leute auf mich, die mir sagen, wie hässlich ich sei, mich "Hure", "Drecksau", "Untermensch" nennen, mir Bilder erigierter Penisse schicken, oder mich dazu auffordern, mich zu erhängen.

Ich kenne diese Menschen nicht. Ich kenne diesen Mann nicht.

Die Person ist Teil eines Netzwerks, das sich unter dem Begriff "Trolle" zusammenfassen lässt. Trolle versuchen das Netz zu stören. Viele Trolle geben sich mit wirrem Geplauder zufrieden, andere setzen systematisch Beleidigungen und sexualisierte Drohungen ein. Wieder andere stalken und bedrohen ihre Opfer bis in ihr Privatleben hinein. Betroffen kann jeder sein, der zufällig die Aufmerksamkeit der Trolle erregt. Traf es bis vor einer Weile hauptsächlich netzaktivistische Accounts, gibt es inzwischen so gut wie keine Regeln mehr. Belästigt wird, wessen Auftreten im Netz dem Angreifenden nicht passt.

"Don't feed the troll" funktioniert schon lange nicht mehr

Die Trolle verstehen sich als autonom und streiten Verbindungen untereinander ab, machen sich jedoch gemeinsam auf, um Betroffene über Tage, Wochen und Monate hinweg zu belästigen. Einmal im Fokus, gibt es kaum Möglichkeiten die wüsten Angriffe zu beenden. Die alte Onlineweisheit "Don't feed the troll" funktioniert schon lange nicht mehr, die Empfehlung also, die Übergriffe stillschweigend hinzunehmen, in der Hoffnung, dass die Täter den Spaß daran verlieren. Die Troll-Gemeinschaften sind jedoch groß genug, dass sich die Community intern feiern kann und es keiner Reaktion der Betroffenen bedarf, um dauerhaft Freude an der Verfolgung zu haben.

Anne Matuschek

Anne Matuschek, 32, Geschäftsführerin eines Tech-Unternehmens, twitterte zu den Themen Feminismus und Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ihr Account ist seit Anfang September geschlossen.

(Foto: privat)

Trolle gibt es in allen sozialen Netzwerken. Bedingt durch die offene Struktur und kaum vorhandener Regulierung ist Twitter besonders anfällig für Störer. Twitterbots, also automatisierte Programme, fertigen Screenshots an und machen Inhalte auch für Nutzer und Nutzerinnen sichtbar, die wegen ihrer Belästigungen bereits von einem Account geblockt wurden und damit eigentlich keinen Zugriff haben dürften. Dazu kommt, dass die Plattformbetreiber die Bekämpfung von Belästigungs- und Hasspostings lange Zeit verpasst haben und nun mit dem Schwall an Beleidigungen, Stalking und Identitätsdiebstahl massiv überfordert zu sein scheinen.

Ähnlich sieht es in vielen Behörden aus. In Berlin tut sich die Polizei schwer mit der Datenübermittlung, Anzeigen werden bearbeitet, dann aber zu oft eingestellt, weil der Nutzer oder die Nutzerin hinter dem Account nicht ermittelt werden kann. Dabei handelt es sich nicht um eine unüberwindbare Hürde, der Vorgang scheitert hauptsächlich an der schlechten technischen Ausstattung der Behörden. In anderen Bundesländern ist dies weniger problematisch. Es herrscht jedoch große Rechtsunsicherheit. Beleidigungen und Angriffe im Netz werden häufig bagatellisiert. Statt sich konsequent gegen jede Form von Gewalt auszusprechen, wird die Schuld schnell bei den Opfern gesucht.

Ein Vergewaltigungswunsch ist nie gerechtfertigt

"Wie präsentieren Sie sich im Netz?", "Wie viel geben Sie von sich Preis?", "Gibt es Selfies von Ihnen?" Solche Fragen musste ich hören, nachdem ich anderen von den Beleidigungen und Drohungen im Netz erzählt habe. In solchen Fällen antworte ich gern mit einer Gegenfrage: Wie muss ich mich denn im Netz präsentieren, damit ein Vergewaltigungswunsch an mich gerechtfertigt wäre? Wir schreiben das Jahr 2016 und mich gruselt es, wenn ich daran denke, dass ich diese Art von Unterhaltungen immer noch führen muss.

Wie viel jemand im Netz von sich preisgibt und in welcher Weise er oder sie sich darstellt, obliegt einzig und allein ihm oder ihr selbst; es darf nicht als Rechtfertigung für Angriffe dienen, welcher Art auch immer. Das Netz ist öffentlicher Raum. Das kurze Oberteil einer Frau erlaubt keinem Mann irgendwelche Obszönitäten zu posten. Regeln wie diese müssen online wie offline in gleichem Maße gelten. Wenn wir anfangen, bestimmte Dinge zu diskutieren oder gar versuchen, im Onlinekontext zu relativieren, machen wir sie zum festen Bestandteil der Netzkultur.

Soweit ist das Problem bekannt, und zwar nicht erst seit gestern. Was also ist zu tun? Ich bin überzeugt, dass nur eine schnellere Reaktion der Plattformbetreibenden und der zuständigen Behörden Erfolg versprechen kann. Gleichzeitig muss an Betroffene ausdrücklich appelliert werden, Übergriffe zu melden und diese gegebenenfalls anzuzeigen.

Und ja, es gibt Zivilcourage im Netz. Sehen Nutzende, dass Accounts Hass sähen, können sie diese dem Plattformbetreiber melden. Ausgehend davon, dass ein Medium wie Twitter das Problem tatsächlich in den Griff bekommen will, wäre eine erhöhte Anzahl von Meldungen ein deutlicher Hinweis, diesen Account genauer unter die Lupe zu nehmen.

Ist es "Zensur", Menschen vor Einschüchterung zu schützen?

Letztlich geht es um Meinungsfreiheit im Netz. Es ist mehr konstruktiver Austausch und weniger Hass nötig. Wer beim Kampf gegen Hatespeech laut "Zensur!" schreit, missachtet, dass Beleidigungen und Drohungen Nutzer und Nutzerinnen einschüchtern und sie langfristig mundtot machen können. Hass ist keine Meinung und gleichzeitig Gift für jeden Diskurs.

Ich habe meinen Twitter-Account inzwischen gelöscht. Ich lasse damit nicht nur den Hass, sondern auch viele gute Gespräche, Ideen und schöne Momente hinter mir. Für mich als Person, die sich regelmäßig im Netz bewegt, ist das, als ob ich nicht mehr in meine Stammkneipe gehen kann, weil ich dort damit rechnen muss, jederzeit von einer Gruppe Betrunkener angegriffen zu werden. Zu denken, die Bedrohungen hören mit der Deinstallation einer App auf, ist jedoch naiv. Die Gruppe durchsucht weiterhin das Netz nach mir. Noch Tage nach meiner Löschung postet der Mann bei Street View gezogene Bilder meines Wohnhauses und schreibt, er wär jetzt gern dort und: Ich werde schon noch sehen, was mein Verhalten bewirkt hat.

Es gibt viel zu tun.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: