Handy-TV:Keine Zeitlupe in der Straßenbahn

Zur WM startet das Handy-Fernsehen allenfalls in Pilotversuchen - mit unterschiedlicher Technik in Nord und Süd.

Hannes Schettler

Fußball-WM in Deutschland: Wer einen großen Fernseher hat, lädt seine Freunde ein, schließt das Surround-Klang-System für die Stadion-Atmosphäre an und macht Platz im Kühlschrank. Experten meinen jedoch, dagegen könne ein 2,8-Zoll-Bildchen mit Ton aus Ohrstöpseln im Gedränge der Straßenbahn antreten.

TV-Handys

Diese Mobiltelefone von Samsung und Toshiba können bereits Fernsehen empfangen und anzeigen.

(Foto: Foto: AFP)

Sie sagen: Die Menschen wollen auf ihrem Handy fernsehen. Nach den ursprünglichen Plänen sollten sie das auch können, wenn 2006 der Fußballtitel ausgespielt wird. Zurzeit sieht es aber so aus, als werde das allenfalls um die Sport-Arenen herum möglich sein, und der gemeine Fußballgucker wird wohl auch dann nichts davon haben.

Noch streiten sich die Experten nämlich, mit welcher Technik die bewegten Bilder am besten übertragen werden. Auch gibt es keine Geschäftsmodelle, wie der an Free-TV gewöhnte Deutsche überredet werden kann, für Hosentaschenfernsehen zu bezahlen.

Dennoch schätzen die beteiligten Firmen das Potenzial von Fernsehen auf Handy oder Organizer hoch ein. Die Telekom-Tochter T-Systems beispielsweise erwartet, dass sich der Marktanteil reiner Sprach- und Daten-Handys in den nächsten fünf Jahren mehr als halbieren wird - zugunsten von Fernsehtelefonen.

Und bei TV-Sendern ist von drei neuen Prime-Time-Zeiten die Rede: Morgens auf dem Weg zur Arbeit, mittags zur Pause und abends auf dem Heimweg. Mit kurzen, vielleicht zehnminütigen für das Handy ausgelegten Beiträgen könnten die Zuschauer unterhalten werden, denn "Herr der Ringe" will wohl niemand auf dem Mobiltelefon anschauen. Zudem könnte lukrative Werbung laufen.

Zwei Technik-Formate stehen zur Diskussion, mit denen die für das Handy aufbereiteten Fernsehbilder übertragen werden können: Zum einen ist da der in Südkorea bereits betriebene DMB-Standard (Digital Multimedia Broadcasting), zum andern DVB-H (Digital Video Broadcasting Handheld), eine Variation des in manchen Regionen schon eingeführten terrestrischen digitalen Fernsehens DVB-T. Über die jeweiligen Vor- und Nachteile diskutieren Mobilfunkanbieter, Netzbetreiber und Landesmedienanstalten.

Für DMB spricht, dass es marktreife Geräte gibt, da es in Korea bereits läuft. Auch ist in Deutschland das bürokratische Verfahren der Frequenz-Zuteilung weiter fortgeschritten als beim Konkurrenz-Verfahren. Mit DVB-H könnten dagegen weit mehr Sender übertragen werden.

Ansonsten sind die Standards von Nutzen und Aufwand ähnlicher als häufig behauptet. So brauchen die Empfänger und Dekodierer in den Handys ungefähr gleich viel Strom für beide Systeme. Ein möglicher Rückkanal, der interaktive Dienste zuließe, würde in beiden Fällen über ein anderes Netz, in dem das Handy eingebucht ist, laufen.

Auch müssten die Betreiber für beide Standards in die Antennen-Netze investieren. "Das zu beziffern ist sehr schwierig", sagt Andreas Klein von der Beratungsfirma Goldmedia, "für DMB gibt es kaum Erfahrungswerte, bei DVB-H sind zudem noch technische Fragen offen."DMB könnte die Sendeanlagen des digitalen Radios nutzen.

Das Signal für Handy-TV ließe sich in vielen Regionen Deutschlands im so genannten L-Band des Frequenzbereichs unterbringen. Allerdings müssten, sagt Axel Rudolph von T-Systems, trotzdem weitere Antennen errichtet werden, da das digitale Radionetz für die Fernseh-Ausstrahlung zu grobmaschig sei.

Zwei bis drei Programme in einer Qualität, die für Handydisplays ausreicht, wären dann möglich.

Für DVB-H könnten die Antennen des digitalen terrestrischen Fernsehens DVB-T aufgerüstet werden. Allerdings sind hier die Frequenzen knapp, und flächendeckend gibt es das Angebot noch längst nicht in Deutschland. Von Vorteil dagegen ist, dass DVB-H das Internet-Protokoll (IP) zur Kommunikation nutzt.

Ralf Schäfer vom Heinrich-Hertz-Institut in Berlin sagt: "Viele Inhalte werden bereits für eine IP-basierte Vermittlung aufbereitet und auch die Geräte, also Handys oder Organizer, sprechen IP."

Um die Batterie des Handys zu schonen, kommt das Signal eines Senders bei dieser Technik nicht kontinuierlich, sondern scheibchenweise an. Dadurch kann der Empfänger die meiste Zeit ausgeschaltet bleiben und muss nur ungefähr alle zwei Sekunden für 0,1 Sekunden versorgt werden, wenn ein neues Informationspaket ankommt.

Damit verbraucht das DVB-H-Modem ungefähr gleich viel Strom wie die Schaltung zum Empfang von DMB-Signalen. Für drei bis vier Stunden Fernsehen reicht dann die Akkuladung. Gleichzeitig kann ein Kanal mit dem Scheibchenverfahren rund 20 Programme ausstrahlen. Gestaffelt schicken mehrere Sender immer reihum ein Paket über dieselbe Frequenz. Das Empfängergerät wählt die Pakete aus, die zum eingeschalteten Programm passen.

Welcher der beiden Standards den Vortritt bekommt, entscheiden nicht zuletzt die Landesmedienanstalten. Da es sich um klassischen Rundfunk handelt, sind sie für die Zulassung zuständig. Kürzlich veröffentlichten die norddeutschen Landesmedienanstalten unter Federführung der Hamburgischen Anstalt für neue Medien gemeinsame mit den Mobilfunkanbietern eine Absichtserklärung: "Im zeitlichen Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft" soll eine Erprobungsphase mit DVB-H starten, ab 2007 "bundesweit" der Regelbetrieb beginnen.

Baden-Württemberg und Bayern denken ebenfalls bundesweit, allerdings an den DMB-Standard. Die bayrische Landesmedienanstalt plant in einem europäischen Verbund für Anfang 2006 ein DMB-Pilotprojekt. Nach dem Vorbild Südkoreas, wo das Handyfernsehen seit dem 1. Dezember kommerziell betrieben wird, soll in Regensburg ein Netz entstehen.

Für die WM steht auch München auf der Liste der Bayern. Allerdings sollen auch dann nur rund 1000 Menschen in den Genuss des Fernsehers für die Hosentasche kommen: Peter Kettner, zuständiger Leiter der Medienanstalt, denkt an Journalisten.

Ein ähnliches Konzept verfolgen die norddeutschen Kollegen mit DVB-H. Auf deren Seite hat sich auch die Stadt Berlin geschlagen - mit Taten: Nach einer Testphase im vergangenen Jahr wird seit Februar dieses Jahres DVB-H in einem Pilotprojekt über das gesamte Stadtgebiet ausgestrahlt.

Bislang gibt es allerdings keine marktreifen Handys. Auf der Internationalen Funkausstellung im September wurden solche Geräte vorgestellt. "Das Publikumsinteresse war überwältigend", sagt Ingrid Walther vom "Projekt Zukunft" des Berliner Senats, "meinetwegen könnten wir nächste Woche mit einem großen Testlauf beginnen, mit 5000 bis 10.000 Teilnehmern und unter Marktbedingungen."

Von einer digitalen Spaltung Deutschlands in einen DVB-H-Norden und einen DMB-Süden hält der Bayer Kettner aber nichts: "Die beiden Systeme müssen sich arrangieren. Letzten Endes muss ein Kombi-Gerät beide Signale empfangen können."

Dass im Juni und Juli des kommenden Jahres die Menschen an allen Ecken gebannt auf ihren 2,8-Zoll-Monitoren den Weltfußball verfolgen, wird daher wohl niemand erleben. "Um die Übertragung von Fußball geht es gar nicht mehr", gesteht Michael Reichmann von der Hamburger Medienanstalt, "die WM dient nur noch als magisches Datum für den Start von Handy-TV."

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