Handy-Strahlung:Leiden im Funkloch

Sind Mobilfunkstrahlen gefährlich? Handygegner hoffen, von der Wissenschaft erlöst zu werden - doch niemand kann beweisen, dass die Strahlung absolut unschädlich ist.

C. Schrader

Im Gespräch der älteren Dame mit dem Wissenschaftler prallten zwei Kulturen aufeinander: Die Frau breitete ihre Leidensgeschichte aus. Wie sie in ihrem Mietshaus ihre Nachbarn zum Verzicht auf Schnurlostelefone überredet hat, damit ihre Schmerzen nachlassen.

Handy-Strahlung: Für die Elektrosensiblen und andere Gegner der Handytechnik sind Wissenschaft und Forschung Teufelszeug und Heilsbringer zugleich.

Für die Elektrosensiblen und andere Gegner der Handytechnik sind Wissenschaft und Forschung Teufelszeug und Heilsbringer zugleich.

(Foto: Foto: AP)

Wie sie im Urlaub nach kleinen Pensionen weit weg von Sendemasten sucht. Wie die Funklöcher immer kleiner werden. "Wo ist denn noch Platz für mich, vielleicht auf einem anderen Planeten?", fragte sie klagend. Und warum der Forscher ihr Leiden und das anderer Menschen, denen Strahlung schade, nicht untersuche?

Ihr Gesprächspartner, beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) befasst mit Wirkung und Risiken von Strahlung, stand eher hilflos da. Er bemühte sich am Rande einer Informationsveranstaltung in München sichtlich um Geduld. Er hatte die Fragen schon beantwortet, wie er wohl fand. Dutzende Studien hätten keinen Beleg für die besondere Empfindsamkeit gefunden, über die die Frau und andere sogenannte Elektrosensible klagen. Der ganze Austausch zeigte so vor allem die Schizophrenie, mit der Wissenschaft in der Debatte um Mobilfunk und Gesundheit gesehen wird.

Für die Elektrosensiblen und andere Gegner der Handytechnik sind Wissenschaft und Forschung Teufelszeug und Heilsbringer zugleich. Zurzeit verweigere ihnen die Wissenschaft die Anerkennung ihrer Leiden, denken sie. Dabei könne, so hoffen sie, eine ehrliche Studie die Betroffenen befreien - und die Gesellschaft zur Abkehr von der Funktechnik zwingen, die sie als Irrweg betrachten.

Die Forscher hingegen stützen sich bei ihrer Arbeit auf bewährte Regeln. Ihre Studien verneinen die Gesundheitsrisiken bisher weitestgehend, zeigen aber in engen Grenzen auch einige Unsicherheiten auf. Das tragen die Wissenschaftler oft apodiktisch und kühl vor - sachlich und rational, wie sie sich oft sehen. Doch die selbsterklärten Betroffenen empfinden es als umständlich, blutleer und die Wissenschaft als Mauer, an der all ihre Argumente abprallen.

Elektrosensible als Fälle für Psychiater

Dabei bezweifeln Wissenschaftler wie der BfS-Mann nicht, dass seine Gesprächspartnerin körperlich leidet. Aber Forscher haben keinen Anhaltspunkt, dass es an der Strahlung liegt. Elektrosensible klagen über Kopfschmerz oder Schlaflosigkeit, wenn sie glauben, die Funkwellen träfen sie.

In Dutzenden Experimenten im Labor konnten sie aber nicht besser als andere Menschen erkennen, ob ein Sender ein- oder ausgeschaltet ist. Das erinnert Wissenschaftler an den Placebo-Effekt mancher Medikamente. Diese lindern Beschwerden auf eine Weise, die mit ihrem Wirkstoff nicht zu erklären ist. Sich derart verleiten zu lassen, ist menschlich. Doch in der Handy-Debatte fühlen sich die sogenannten Elektrosensiblen zu Fällen für Psychiater abgestempelt.

Sie können zudem nicht verstehen, warum ihre Erfahrung in der Wissenschaft nicht zählt. Ihre subjektive Realität müssten die Forscher mit all ihren Methoden doch als objektive Wahrheit erkennen können! Aus diesem enttäuschten Glauben an die Macht der Wissenschaft keimt ein Verdacht: Korruption. Weil Forscher für ihre Arbeit Geld brauchen, schreiben sie am Ende auf, was den Geldgebern gefällt, mutmaßen Handygegner.

Schließlich hat die Mobilfunkindustrie die Studien des BfS zum Teil finanziert. Solche Anklagen empfinden die Forscher als ungerecht, haben sie eine Mitsprache der Konzerne doch verhindert. Wenn Mobilfunk-Kritiker höhnisch über diese Erklärung lachen, verhärten sich beim geduldigsten Forscher die Züge. Die zunächst größere Bereitschaft, die Argumente der anderen Seite zu prüfen, erlahmt.

So wird in der Debatte zum Problem, dass die Wissenschaftsgläubigkeit der vorgeblich Betroffenen größer ist als die der Wissenschaftler selbst. Die kennen nämlich die Grenzen ihrer Methode. Versuchen sie jedoch zu erklären, warum niemand beweisen kann, dass etwas absolut unschädlich ist, hören ihre Gegner darin nur Beschwichtigungen.

Um den Konflikt zu entschärfen, müssten sich beide Seiten bewegen. Die Forscher sollten ihre Methoden bei Studien in der Lebenswelt der Betroffenen ausreizen. Diese wiederum müssen verstehen, dass chronische Beschwerden oft unabhängig von angeblichen Ursachen bestehen. So ist es bei vielen Rückenpatienten sinnlos, an der Wirbelsäule herumzudoktern; die Wissenschaft findet hier keinen Auslöser mehr. Stattdessen helfen ein anderer Blick auf das Leben, Entspannung und Sport. Auch die sogenannten Elektrosensiblen müssen ihre Fixierung lösen: Beharren sie darauf, den Mobilfunk abzuschalten, vergrößern sie nur ihr Leiden.

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