Handy-Nutzung:Türkei: Endlich Weltmeister!

Umstrittener Rekord: Kein Volk der Welt verbringt so viel Zeit am Mobiltelefon wie die Türken. Das löst im Land Selbstzweifel und heftige Debatten aus.

Kai Strittmatter

Die Türken sind ein stolzes Volk. Sie messen sich gerne mit anderen Nationen, und es wurmt sie, dass sie noch in keiner Mannschaftssportart den Titel geholt haben. So konnte man den Jubel mitlesen bei der Schlagzeile, die die Zeitung Habertürk diese Woche ihren Lesern präsentierte: "Wir sind Weltmeister!" Zwar nicht im Fußball (Dritter bei der WM 2002) und nicht im Basketball (Zweiter bei der WM 2010).

A man uses his mobile phone as he walks past public telephone boxes in Istanbul

Die Telefonzellen in Istanbul lässt dieser Mann links liegen: Kein Volk telefoniert so gerne mobil wie die Türken.

(Foto: REUTERS)

Aber im Mobiltelefonieren. Die Firma Ericsson hatte in einer Studie Handybenutzer weltweit gefragt, wie viele Minuten sie am Tag telefonieren. Das Ergebnis: Bronze für die Italiener (58 Minuten), Silber für die US-Amerikaner (70 Minuten) und Gold für die Türken. 76 Minuten am Tag.

Bloß: So richtig freuen wollte sich über den Rekord keiner. Im Internet entbrannte eine Diskussion, in der sich Unglaube und Kulturpessimismus die Hand reichten. "Haben die ein Komma vergessen?" schrieb ein Skeptiker unter den Bericht.

Die meisten Kommentatoren hatten zwar nicht die geringsten Zweifel an der Richtigkeit der Zahl, zogen daraus allerdings eher düstere Schlüsse. "Überall große Klappe und nix dahinter", schrieb einer. "Sprechende Völker kommen nicht zum Denken", ein anderer. Oder: "Je hohler eine Blechkiste ist, um so lauter klappert sie".

Kein Zeichen von Wohlstand sei dieser Rekord, meinte einer, sondern das Gegenteil: "Keine Arbeit, kein Geld, keine Zukunft. Was sollen all die Müßiggänger sonst auch tun?" Kosten sind kaum mehr ein Thema für viele Türken, seit die Telekomfirmen Flatrates anbieten. "Man kommt im Bus nicht mehr zum Bücherlesen, seit alle ihre Freiminuten vertelefonieren", klagt ein Student. Man solle das Ganze doch auch positiv sehen, wirft ein anderer ein: "Immerhin funktioniert unser soziales Miteinander".

Gesellig auch am Telefon

Tatsächlich wird man kaum ein geselligeres Volk finden als die Türken. Einer Studie der OECD zufolge verbringen die Türken ein Drittel ihrer Freizeit mit Verwandten und Freunden, mehr als alle anderen OECD-Mitglieder (dieselbe Studie bescheinigt den Türken interessanterweise die geringste Lebenszufriedenheit). Und bei der Zahl der Facebook-Nutzer liegt die Türkei weltweit an vierter Stelle: Im September hatten Türken 23 Millionen Facebook-Konten eröffnet.

Längst hat das Mobiltelefon den Tesbih, die traditionelle Gebetskette, als der Türken liebster Handschmeichler abgelöst. Im September machte der Fall des Istanbulers Oktay Karaaslan Schlagzeilen, dessen Mitteilungsbedürfnis allein das statistische Mittel kräftig nach oben drückte. Karaaslan hatte bei einem Anbieter für das Paket "Unbegrenztes Telefonieren" (66 Lira im Monat, umgerechnet 35 Euro) unterschrieben.

Dann fing er an zu telefonieren. Und telefonierte. Und telefonierte.

Nach einem Monat flatterte ihm eine Rechnung ins Haus: 7.500 Lira. Für 25.000 Minuten Gespräch. Karaaslan hatte im Schnitt 14 Stunden am Tag telefoniert. Die Mobilfunkfirma argumentierte, auch "grenzenloses Telefonieren" habe seine Grenzen, und die lägen bei 10.000 Minuten im Monat. Karaaslan zog vor Gericht. Und gewann.

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

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