Grand Theft Auto V:Vollkommene Freiheit

Quentin Tarantinos "Pulp Fiction" wirkt dagegen hilflos: Die Spielwelten von GTA berauschen auch in ihrer fünften Auflage. Die Macher zeichnen nicht nur berückend schöne Computerbilder, sondern eine gnadenlos böse Karikatur des amerikanischen Albtraums.

Von Johannes Boie

Diese Geschichte beginnt mit einer Lüge. "Die Inhalte dieses Spiels sind frei erfunden", steht da, noch während der Installation.

Unsinn. Nichts ist erfunden an GTA V. Dieses Spiel erzählt vom Leben, 50 pralle Stunden lang, wenn man sehr schnell und sehr versiert spielt. Normalerweise dauert der große Spaß aber erheblich länger.

GTA steht für Grand Theft Auto, das ist die juristische Bezeichnung für Autodiebstahl in Amerika. Und die Abkürzung steht inzwischen für die vielleicht bekannteste Spieleserie aller Zeiten. Schon die erste Ausgabe, 1997 veröffentlicht, brach radikal mit bekannten Prinzipien von Computerspielen. Stattdessen stellten die Programmierer eine Welt bereit, in welcher der Spieler tun und lassen konnte, was er wollte.

Es gibt keine Level, stattdessen Missionen, die der Spieler wählen kann, aber nicht zwingend wählen muss. Das kann zum Beispiel "Fahre an einen bestimmten Punkt und klaue ein bestimmtes Auto" sein. Es bleibt dem Spieler überlassen, ob er dabei brutal zu Werke geht, oder leise und klug. Nur Fahrzeuge nimmt er fast immer zu Hilfe und zwar meistens, indem er einen gerade des Wegs kommenden Wagen stoppt und stiehlt. So viel zum Titel.

Über die Jahre haben die Entwickler immer größere und bombastischere Spielwelten geschaffen. Sie haben sie immer mehr an tatsächlich existierende Städte angenähert, und so findet sich der Spieler in GTA V nun in zwei kalifornischen Countys wieder und einer Megacity namens Los Santos. Wer Kalifornien und Los Angeles kennt, erkennt beides wieder, und zwar auf eine Art, dass einem das Herz aufgeht: In der Morgensonne zum Griffith Observatory fahren, dann ein Ausflug zum Gettycenter über der Stadt, und zurück über den Motorway Richtung Venice Beach, wo man einzelne Straßenecken im Detail wieder erkennt.

Kein Klischee über die westliche Gesellschaft wird ausgelassen

Es lässt sich gut leben in GTA V. Das Spiel soll 260 Millionen Dollar gekostet haben, der Vorgängertitel wurde allein in der ersten Woche nach seinem Erscheinen sechs Millionen Mal verkauft, insgesamt sind über 22 Millionen Kopien verkauft worden. Damit ist die GTA-Serie teurer und erfolgreicher als viele Hollywood-Filme.

Wer den Daumen auf dem Controller schnell genug bewegen kann, sollte gleich zu Beginn in den Flughafen einbrechen, die Polizei abhängen und die Spielwelt ein paar Mal mit einem Learjet überfliegen, es sind berückend schöne Szenen. Anders als in den Vorgängerversionen sind alle Teile der Spielwelt freigeschaltet, und warum auch nicht, es sollen schließlich schöne Stunden sein, wenn die Konsole läuft. Handwerklich ist das Spiel herausragend, von der Reflexion der Wasseroberflächen bis zur exakten Textur von Autofelgen.

Zunächst aber beginnt die Geschichte mit einem blutigen Prolog. Ein Bankraub irgendwo in der amerikanischen Provinz läuft schief, Gangster sterben im Kugelhagel oder sie werden verhaftet, und ehe die Handlung weitergeht, vergehen zehn Jahre. Jetzt treffen die Protagonisten des Bankraubs wieder aufeinander, in Kalifornien.

Da ist zum Beispiel Michael, der im Paradies in den Hügeln von Hollywood (im Spiel: Vinewood) lebt, und gleichzeitig in der Hölle. Er ist reich und sicher im Zeugenschutzprogramm, aber seine Frau schläft mit dem Tennistrainer, seine Tochter verblödet vor dem Fernseher, wenn sie keine Sexvideos dreht, und sein Sohn ist ein verweichlichter Fatty, der sein Leben so gar nicht auf die Reihe bekommt.

Trotz all dem Hass auch eine Liebeserklärung

Man merkt schnell, dass auch diese GTA-Folge wieder ein böser Kommentar zur amerikanischen Gegenwart ist. Kein Charakter spielt hier, der nicht gebrochen wäre, kein Klischee über die westliche Gesellschaft wird ausgelassen, um es hier zu parodieren.

Eine Mission verlangt vom Spieler in der Rolle von Michael, eine Präsentation, die denen der kalifornischen Firma Apple nachempfunden ist, zu sabotieren. Apple und auch Facebook werden mehrfach parodiert in GTA V. Dazu ist ein Besuch bei der Firma notwendig. Davor muss sich die Figur wie ein Hipster-Programmierer kleiden, um in das Firmengebäude zu gelangen, in dem die IT-Welt bis ins Detail karikiert wird, einschließlich der "Keep Calm"-Poster, die sich bei Nerds größter Beliebtheit erfreuen. Das neue iPhone wird während der Präsentation in die Luft gesprengt, der Firmenchef stirbt recht unappetitlich. Der Auftraggeber für den live im Fernsehen übertragenen Mord guckt nicht mal hin. "Ich hab die Märkte im Auge, das reicht", sagt er und lacht dreckig.

Grand Theft Auto V GTA 5

Schon am ersten Tag 800 Millionen Dollar eingespielt: Das Konsolenspiel GTA V.

(Foto: Rockstar Games)

In solchen GTA-Szenen wird die Gesellschaft nicht ohne Verachtung seziert. Das Fernsehen, die IT-Branche, der Hype um Apple-Produkte, die Filmindustrie, der Yoga-Wahn, der Umgang der Gesellschaft mit Armen und Kranken und auch die Spielebranche selber. Alles und jeder wird kommentiert, auch die Handlung des Spielers, dessen böse Taten im Radio kommentiert werden, im Fall des gesprengten Apple-Chefs sagt die Radiosprecherin: "Der wegen Data-Mining harsch kritisierte Firmenchef hat jetzt seine eigenen Daten über der gesamten Bühne verstreut."

Das ist böser Humor, bisweilen ist er ordinär. Das Geballere mit Schrotflinte und Maschinengewehr ist auch nicht unbedingt jedermanns Sache. Doch fügt sich alles über die Dauer des Spiels zu einer ironisch-tiefgründigen Betrachtung des modernen Amerika, verdichtet in einer Geschichte. Wäre GTA V ein Buch, es wäre von Jonathan Franzen und T.C. Boyle gemeinsam geschrieben worden.

Michael trifft zu Beginn des Spiels auf Franklin, in dessen Haut der Spieler ebenfalls schlüpfen kann.

Der Figurenwechsel des Spielers ist neu in GTA V und vereinfacht den Spielablauf sehr, weil man einfach die Spielfigur wechseln kann, wenn die Geschichte stagniert. Franklin kommt aus South-LA, ist umgeben von cracksüchtigen Frauen und üblen Gangsterfreunden. Sein Problem und gleichzeitig seine einzige Hoffnung ist der amerikanische Traum. Er will raus aus dem Getto und nach Hollywood, Karrieremöglichkeiten, die es in LA tatsächlich gibt. Kein Wunder, dass aus den 15 Radiosendern, die GTA-typisch aus den Autoradios dröhnen, auch der Rapper Dr. Dre dudelt, der die Karriere von Compton nach Hollywood im echten Leben hinter sich gebracht hat.

Die Figuren sind verzweifelte Kämpfer im allzu freien Amerika

Franklin will also dorthin, wo Michael schon sitzt, und auch wenn dieser ihm zunächst den Rat gibt, aufs College zu gehen, weil man in Folge "noch mehr Leute abzocken" könnte als als Gangster, nimmt das Unheil seinen Lauf. Denn Michael erinnert sich in Anbetracht des Kriminellen aus dem Getto daran, dass sein Leben erheblich aufregender war, als es statt Gin Tonic am Pool Banküberfälle in der Nacht gab. Zu den beiden gesellt sich mit Trevor noch eine dritte spielbare Figur, ein durchgeknallter Psychopath und Schwerkrimineller.

So ist das Spiel, trotz all dem Hass auch eine Liebeserklärung: An die Figuren, jene verzweifelten Kämpfer im allzu freien Amerika.

Damit die Handlung übersichtlich bleibt, verfügt jede Spielfigur über ein Handy, mit der Kontakte im Spiel angerufen werden können, so spart man sich, sich zu einer Person zu begeben, wenn man mit ihr sprechen möchte. Gleichzeitig gibt es eine Erweiterungsapp für das echte Handy des realen Spielers, und so verschwimmen in GTA V elegant die Grenzen zwischen Spiel und realer Welt.

Es ist eine Liebeserklärung an die USA, an Kalifornien und auch an die amerikanische Schmelztiegel-Stadt Los Angeles, in der sie alle aufeinandertreffen: die Junkies, die Stars werden wollen, und die Stars, die Junkies sind, und die Gangster, die Schauspieler sein möchten, und die Schauspieler, die Gangster spielen.

Die Geschichte von GTA V lässt sich nicht nur aus den drei Perspektiven der Protagonisten spielen, sie lässt sich auch in unterschiedlichen Reihenfolgen erleben. Hier ist nichts mehr linear, selbst die Erzählstruktur von Quentin Tarantinos Pulp Fiction wirkt dagegen wie ein hilfloser Versuch, weil sich Ereignisse im Medium Spiel tatsächlich anders anordnen lassen als im Film. Eine Option für mehrere Spieler im selben Spiel ("Multiplayer") gibt es ab dem 1. Oktober. Das ist die vollkommene Freiheit. Willkommen im amerikanischen Traum. Oder auch: Albtraum.

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