Google, Facebook & Co.: Silicon Valley: Wo der Mensch als Schwachstelle gilt

Künstliche Intelligenz

In Europa betrachtet man die Zukunfts- und Fortschrittsgläubigkeit des kalifornischen Geistes mit Skepsis.

(Foto: agsandrew - Fotolia)

Menschen sind teuer und maulen herum. Nach der industriellen Revolution versuchen deshalb nun Konzerne wie Google, auch noch das Denken zu automatisieren.

Kommentar von Andrian Kreye

Nun ist also Googles Mutterkonzern Alphabet die wertvollste Firma der Welt. Das ist nicht nur eine Wirtschaftsnachricht. Man kann daran eine gewaltige Verschiebung des globalen Zeitgeistes erkennen - weil die Börsen mit ihren überempfindlichen Reaktionen auf Weltgeschehen und gesellschaftliche Entwicklungen ein Stimmungsbarometer von hoher Präzision sind.

Es steckt zum Beispiel ein erstaunlicher Sinneswandel in der Rekordmeldung. Denn sofern das globale Vertrauen der Anleger tatsächlich auf ein Unternehmen setzt, dessen größtes Kapital die Zukunft ist, wäre das eine Abkehr von einer Definition des Erfolgs, der in Quartalsschritte zerstückelt ist. Das wäre ein Fortschritt, weil die manisch-depressive Fixierung auf kurzfristige Planerfüllungen ähnlich aus der Zeit gefallen ist wie die lähmenden Fünfjahrespläne des Kommunismus. Die Wirtschaft des Silicon Valley, für die Google in seiner neuen Form als Alphabet-Konzern exemplarisch steht, ist ja gerade deswegen so erfolgreich, weil sie vom sogenannten kalifornischen Geist geprägt ist. Der sieht die Gegenwart als den immerwährenden Beginn einer Zukunft, in der sich Fortschritt nicht buchhalterisch planen lässt.

Nur so konnte Google von der Suchmaschinenfirma zum Konzern für lebensverändernde Technologien werden. Nur so konnte sich Elon Musk vom Erfinder eines digitalen Überweisungsformulars zum Visionär einer weltweiten Energiewende entwickeln, in der seine Elektroautofirma Tesla nur der Anfang ist. Mal ganz abgesehen von Forschungseinrichtungen wie der Stanford University oder - an der Ostküste - dem Massachusetts Institute of Technology (MIT). Es war der kürzlich verstorbene Mathematiker Marvin Minsky am MIT, der überlegte, dass elektronische Rechenmaschinen sehr viel mehr geistige Dienstleistungen verrichten könnten, als reine Zahlenwerke zu verarbeiten. Daran arbeitete er ein Leben lang, obwohl Wirtschaftsbosse erst einmal der Meinung waren, der Bedarf an Computern sei sehr überschaubar.

Während der industriellen Revolution wurden Maschinen für mechanische Vorgänge erfunden und so Menschen ersetzt. Jetzt soll der Geist automatisiert werden

In Europa betrachtet man die Zukunfts- und Fortschrittsgläubigkeit des kalifornischen Geistes mit Skepsis. Hier vergisst man in der Regel, dass es für Zweifel und Kulturpessimismus natürlich auch in Kalifornien Institutionen gibt, die (mal mehr, mal weniger erfolgreich) dafür sorgen, dass aus Zukunftsglaube kein Zukunftswahn wird. Geisteswissenschaften und Politik mögen in Sacramento - und auch in Washington - dem Fortschritt nicht ganz so beherzt Leitplanken einrichten wie in Berlin und Brüssel. Auf der anderen Seite gehörte Kalifornien immer schon zur Avantgarde der positiven Entwicklungen, sei es beim Umweltschutz, bei der Legalisierung der Ehe für alle oder einer vernünftigen Drogengesetzgebung.

Wenn man so viel kulturgeschichtlichen Ballast auf den Börsenkurs von Google schaufelt, muss man allerdings auch die Kehrseite des kalifornischen Geistes betrachten - gerade weil er im Silicon Valley in den vergangenen Jahren eine Richtung eingeschlagen hat, der man ganz dringend gewaltigen Zweifel und inzwischen auch ein wenig Kulturpessimismus entgegensetzen muss. Denn die glorreiche Zukunft, die im Silicon Valley und all seinen Satelliten wie auch in Seoul, Tel Aviv oder München entsteht, ist nicht nur ein technologischer und gesellschaftlicher Epochenwandel. Es ist auch die Fortsetzung eines Wirtschaftsdenkens, dessen Wurzeln deutsche Sozialisten im Manchester des 19. Jahrhunderts ansiedelten. In dem spielt ein Faktor eine deutlich untergeordnete Rolle: der Mensch.

Das Valley erklärt die Zukunft zur Gegenwart

Einfache Logik: Menschen sind teuer und maulen herum. Manche von ihnen organisieren sich sogar in Gewerkschaften, dann werden sie noch teurer und maulen auch noch mit dem Recht auf ihrer Seite. Mit der Automatisierung im frühen 20. Jahrhundert konnte man dann nicht nur die Produktivität steigern, sondern auch viel Personal einsparen.

In der Blütezeit der industriellen Revolution wurden allerdings Maschinen für mechanische Vorgänge erfunden. Im Silicon Valley hingegen ist es der Geist, der nun automatisiert werden soll. Google gehört da zu den Vorreitern. Erst vergangene Woche stellte der Konzern mit ein paar Umschichtungen seine Arbeit an Technologien der künstlichen Intelligenz in den Mittelpunkt. Daran arbeiten auch Facebook und Elon Musk.

Nun sind solche Projekte im Labor zunächst wertfrei. Warum soll es keine Maschinen geben, die den Menschen geistige Arbeit abnehmen oder sie sogar besser verrichten? Allerdings gibt es da einen ideologischen Unterton in der digitalen Welt. Er betrachtet den Menschen nicht nur als lästiges Personal, sondern sogar als Schwachstelle eines technologischen Kosmos. Einfaches Beispiel: Wenn der Leiter der Entwicklungsabteilung für selbstfahrende Autos bei Google, Chris Urmson, seine Vision beschreibt, geht es nur in zweiter Linie um die Verbesserung des Nahverkehrs. Viel wichtiger ist ihm, dass computergesteuerte Fahrzeuge die Schwachstelle Mensch eliminieren sollen.

Die Befürchtung jedoch, dass ein solches Denken den Einsatz von künstlicher Intelligenz in falsche Richtungen lenkt, basiert nicht nur auf irrationalen Ängsten. Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass die viel beschworene "disruption" durch neue Technologien ganze Branchen bedroht. Wenn aber Amazon den Einzelhandel, Uber die Taxifahrer und Airbnb die Hoteliers überflüssig macht, warum sollte man dann den Parolen glauben, die künstliche Intelligenz und ihre verwandten Technologien machten "die Welt zu einem besseren Ort"?

Die Ängste vor der Automatisierung waren auch schon vor hundert Jahren groß. Trotzdem hat sich die Menschheit davon erholt. Die Massen sind weltweit nicht verarmt, sondern nach neuesten Statistiken wohlhabender als je zuvor. Das war allerdings ein harter, fast einhundert Jahre dauernder Kampf. Wenn die Börse nun Google zum wertvollsten Unternehmen und damit die Zukunft zur Gegenwart erklärt, ist es nun an den Menschen, dafür zu sorgen, dass diese Zukunft im Geist von Kalifornien und nicht in dem von Manchester gestaltet wird.

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