Gesichtserkennung bei Facebook:Wer bin ich im Netz?

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Bisher waren User im Netz zweidimensionale Wesen, bestehend aus Zahlen, Wörtern und Grafiken. Die neue Gesichtserkennung bei Facebook ändert das und zwingt unweigerlich zur Auseinandersetzung mit der eigenen Person. Wehren kann sich der User dagegen kaum.

Andrian Kreye

Am Anfang war die Zahlenfolge - vier Nummern und drei Punkte, die sich scheinbar wahllos immer wieder neu gruppieren. Diese sogenannten IP-Adressen sind seit Mitte der siebziger Jahre so etwas wie die Urzelle des digitalen Menschen. Der war bisher ein zweidimensionales Wesen, das sich vor allem in Zahlen, Wörtern und Grafiken manifestierte.

Die digitale Persönlichkeit bekommt jetzt ein Gesicht. (Foto: dpa)

Nun aber bekommt es ein Gesicht, zumindest im sozialen Netzwerk Facebook. Dort kann ein Gesichtserkennungsprogramm Menschen auf Fotos ihren Namen zuordnen. Für den Facebook-Nutzer bringt diese Neuerung einen ganzen Katalog neuer Fragen mit sich, die immer wieder auf die große Frage hinauslaufen - wer bin ich im Netz?

Betrachtet man die Evolution des digitalen Menschen, dann hat der Facebook-Nutzer die evolutionären Phasen längst hinter sich gelassen, in denen die Zahlenfolgen der IP-Adressen, Online-Kennungen und Passwörter die konturlose Präsenz der frühen Internetnutzer bestimmten.

Mit Hilfe von unzähligen Entscheidungen, die meist darum kreisen, ob einem ganz öffentlich irgendetwas oder irgendjemand gefällt, erarbeitet sich der Facebook-Kunde nicht nur ein weltweit verzweigtes Netzwerk an Kommunikationspartnern, sondern auch so etwas wie ein Persönlichkeitsprofil.

Über das kann man sich lustig machen und es mit den Selbstdarstellungen von Schulkindern vergleichen, die einst in Jahrbüchern oder Freundschaftsanzeigen ihre liebsten Hobbys, Filme und Bücher auflisteten, um sich selbst zu beschreiben.

Öde Serie von Konsumentscheidungen

Man kann diese Schöpfung des digitalen Selbst auch misstrauisch beäugen.Das hat der Schriftsteller Jonathan Franzen in seiner Jahresansprache für das Kenyon College gerade getan. Da erklärte er das Leben im Netz zu einer öden Serie von Konsum-Entscheidungen und die Selbstdarstellung des Facebook-Nutzers zu einem narzisstischen Werben um Aufmerksamkeit.Man kann sich auch gut überlegen, was ein Konzern wie Facebook eigentlich so anstellt mit all diesen Daten, die man da freiwillig ins Netz gibt.

Welche Auswirkungen die Facebook-Persönlichkeit auf die ganz reale Person hat, ist längst auch Forschungsgegenstand der Soziologie. Und die hat die neuen Netzwerke und Verhaltensweisen noch gar nicht richtig verstanden. Wie bei den meisten neuen Technologien wiegen sich Vor- und Nachteile noch auf.

Facebook in Zahlen
:Ein Netzwerk dominiert die Internet-Welt

Mehr als 600 Millionen Mitglieder, 500.000 Kommentare pro Minute, erwartete Werbeeinnahmen von vier Milliarden Dollar: Facebook ist zum mächtigen Netz hinter dem Netz geworden, das fleißig Daten einfängt.

Bildern.

Die Verschmelzung der digitalen Persönlichkeit mit dem realen eigenen Gesicht ist aber in der Entwicklung des digitalen Menschen ein evolutionärer Schritt, der die Trennung der digitalen von der echten Person schwieriger macht. Wehren kann man sich dagegen nicht.

Nicht einmal, wenn man gar nicht Mitglied des Netzwerks ist - wer auf einem Foto gekennzeichnet wird, ist automatisch im Netzwerk der Facebook-Fans. Damit aber verliert der digitale Mensch die Fähigkeit, sich im Netz neu zu erfinden. Bisher konnte sich der Facebook-Nutzer aus Grafiken und Neigungsbekundungen seine Persönlichkeit nach Wunsch gestalten.

Nun aber muss er sich mit etwas auseinandersetzen, das er nur bis zu einem gewissen Grad kontrollieren kann - dem eigenen Gesicht und damit der eigenen Person.

© SZ vom 09.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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