Geschlossene Gesellschaft Silicon Valley:Weiß, männlich, Nerd

Facebook-Chef Mark Zuckerberg

Facebook-Chef Mark Zuckerberg

(Foto: REUTERS)

Im Silicon Valley kommen diejenigen am weitesten, die am meisten leisten? Weit gefehlt: In der Mehrzahl der Technologiefirmen geben weiße Männer den Ton an. Nun diskutiert das Tal der Tüftler, ob es sich mit seiner Gleichförmigkeit womöglich selbst um seine Innovationskraft bringt.

Von Varinia Bernau

Dann tauchte auch noch diese Zeichnung auf: Eine Blondine, üppige Oberweite, zwei Bierkrüge jonglierend, lädt zur Happy Hour. Keine große Sache, wenn das Bild in einer Autowerkstatt hängen würde. Es befand sich aber auf der Damentoilette am Firmensitz von Twitter. Und es lieferte neuen Zündstoff für eine bereits seit Tagen im Netz heiß diskutierte Frage: Wie frauenfeindlich ist das aufstrebende Internetunternehmen - und wie viel Machogehabe kann es sich leisten, wenn es bald an die Börse geht und Anleger nicht nur von seiner Seriosität überzeugen will, sondern auch davon, dass es auf lange Sicht gute Ideen hat und ein gutes Geschäft macht?

Auf den ersten Blick wirke das Silicon Valley wie eine perfekte Meritokratie, eine Welt also, wo derjenige am weitesten kommt, der am meisten leistet, so hatte Vivek Wadhwa kürzlich in einem Beitrag für das Wall Street Journal geschrieben. "Die Hälfte der Start-ups werden von Einwanderern gegründet. Leute aus aller Welt arbeiten zusammen, messen sich aneinander. Rasse oder Religion sind keine Hürde für den Erfolg." Bei genauerem Blick aber zeige sich ein anderes Bild. Zum Beispiel Twitter: Im Aufsichtsrat? Nur weiße Männer. Im Vorstand? Bis auf eine Anwältin, die erst vor einigen Wochen in die oberste Führungsriege rückte, alles weiße Männer. Die Investoren? Alles weiße Männer.

Wadhwa, Amerikaner mit indischen Wurzeln, war einst selbst Entwickler und Entrepreneur, heute lehrt er an verschiedenen Hochschulen. Er kennt sich aus im Silicon Valley. Und seine Kritik war nicht nur eine Kritik an Twitter. Es ging ihm um ein grundlegendes Problem im Tal der Tüftler: Vielfalt? Fehlanzeige.

Costolos Reaktion sei typisch

Offenbar traf Wadhwa einen wunden Punkt: Twitter-Chef Dick Costolo persönlich meldete sich zu Wort. Auf 140 Zeichen. Wadhwa, so schrieb er auf Twitter, sei wohl so etwas wie der "Carrot Top unter den Akademikern". Eine Anspielung auf einen amerikanischen Stand-up-Komiker. Die Botschaft: Nur nicht ernst nehmen! Man habe bei der Besetzung des Vorstands sogar Frauen den Vorzug geben wollen, hieß es bei Twitter, aber man habe eben keine gefunden. Wirklich nicht gefunden oder nur nicht gut genug gesucht?

Wadhwa jedenfalls kauft Twitter das nicht ab. Costolos Reaktion sei typisch für das Silicon Valley, wo einflussreiche Typen stolz ihre sagenhaften Talente rühmen, ein Muster zu erkennen. "Sie glauben, dass sie einen erfolgreichen Unternehmer, Entwickler oder Manager auf den ersten Blick erkennen. Traurigerweise ist dieses Muster dann immer ein Mark Zuckerberg, Marc Andreessen, Jeff Bezos - einer der ihren eben: Weiße männliche Nerds."

Einige im Silicon Valley haben Costolo und seine Personaler inzwischen in Schutz genommen - ohne allerdings der von Wadhwa vorgetragenen Kritik ihre Berechtigung abzusprechen. Der Sexismus liege nicht darin, dass sich Twitter eine Führung aus außergewöhnlich qualifizierten Männern geschmiedet habe, betonte etwa die junge Internetunternehmerin Elissa Shevinsky. Der Sexismus, das seien all die vielen Gründe, die verhindern, dass Frauen in ihrer Karriere voran kommen. Shevinsky hat ihre eigene Antwort darauf gefunden: "Ich gründe weiter Unternehmen. Als CEO bekomme ich immer einen Platz am Tisch."

Und all die anderen?

Kann es sich das Silicon Valley tatsächlich leisten, auf deren Ideen und Impulse zu verzichten?

Vielfalt sollte in Tech-Unternehmen selbstverständlich sein

Sabine Boerner, die an der Universität Konstanz, einen Lehrstuhl für "Management, Strategie und Führung inne hat, hat Studien über den Zusammenhang zwischen dem Frauenanteil in einem Unternehmen und dessen wirtschaftlichem Erfolg zusammengetragen. Ihr Fazit: Es gibt bislang keinen verlässlichen Beleg für einen generellen Zusammenhang. Ist das Gerede vom finanziellen Erfolg einer Firma, die Frauen fördert, also nicht viel mehr als ein von McKinsey ventilierter Mythos?

So einfach sei es nun auch wieder nicht, sagt Boerner. Es gebe durchaus gute Gründe, Frauen zu fördern. Der Firma könne an einem besseren Ansehen gelegen sein - oder daran, sich gut ausgebildete Leute zu sichern. Es lohne sich zudem ein genauerer Blick auf die Bedingungen, unter denen gemischte Teams erfolgreicher sind. So weisen mehrere Studien darauf hin, dass im Dienstleistungssektor Teams mit Männern und Frauen mehr Erfolg haben: "Wenn ein Unternehmen eine heterogene Kundschaft bedienen will, hilft es, wenn das Management ebenso heterogen ist." Im Produktionssektor, wo wenig Kundenkontakt besteht, sei das weniger relevant. Boerner verweist zudem auf eine Studie, die im vergangenen Jahr zu dem Schluss kam, dass Unternehmen, die sich Innovation zum Ziel setzen, dies mit einer gemischten Führungsmannschaft besser erreichen. "Vielfalt bringt mehr Perspektiven und mehr Ideen mit sich."

Im Silicon Valley wird nichts am Band zusammengeschraubt. Dort wird an Diensten gefeilt - und zwar an solchen, die die Welt verändern und die Menschen quer über den Globus beglücken sollen. Vielfalt sollte in den Technologieunternehmen also so selbstverständlich sein wie die kostenlosen Müsliriegel. Ist es aber nicht. Stattdessen: geschlossene Veranstaltung. Das Silicon Valley ist sehr auf sich selbst fixiert, sagt ein deutscher Manager, der einige Zeit dort gelebt hat. "Der Horizont der meisten endet schon in San Francisco." Welchen Ärger sich beispielsweise die Internetkonzerne mit dieser Arroganz einhandeln, ahnt, wer ihren erbitterten Streit mit europäischen Datenschützern beobachtet. Erst mal auf Konfrontation - selbst wenn das Image und womöglich auch das Wachstum in diesem so wichtigen Markt auf lange Sicht leidet.

Vielfalt ist nicht nur eine Frage des Geschlechts, sondern auch des Alters. "Junge Leute sind einfach klüger", so hat Mark Zuckerberg, Gründer und Chef von Facebook, auf der Konferenz eines mächtigen Risikokapitalgebers zwar einmal herum posaunt. Doch manche haben inzwischen ihre Zweifel, ob der Jugendwahn im Silicon Valley tatsächlich Innovationen beschleunigt - oder nur für immer mehr neuen Spielkram sorgt, den außer ein paar Teenagern niemand braucht.

Eine App, mit der man schnell an einen Gutschein für ein Freibier kommt - oder erfährt, wenn eine schöne Frau ihren Beziehungsstatus auf Facebook zu "Single" ändert. Wer auf die Alten verzichtet, der verzichtet nicht nur auf wertvolle Erfahrungen. Er verliert auch die Bedürfnisse einer breiten Kundschaft aus dem Blick. Deshalb, so meldete sich Jimmy Wales zu Wort, müsse sich die Technologiebranche die Frage stellen, "wie wir dafür sorgen, dass der außergewöhnliche Erfolg in jungen Jahren nicht fälschlicherweise als Norm angesehen wird". Jimmy Wales hat die Internetenzyklopädie Wikipedia gegründet, die zu den meist besuchten Seiten im Netz zählt. Da war er gerade 35 Jahre alt geworden.

"Es ist die Rolle der Alten etwas umzusetzen. Schließlich führen großartige Ideen an sich noch nicht zum Durchbruch von Technologien oder zu erfolgreichen Unternehmen", argumentiert Whadwa und verweist auf Zahlen, die er zu erfolgreichen Gründern in wachstumsstarken Branchen wie dem Technologie- und Gesundheitssektor oder der Luftfahrt zusammengetragen hat. Sein Ergebnis: Unter den Gründern waren doppelt so viele älter als 50 Jahre wie jene unter 25.

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