Geschlechterdebatte im Netz:Hat die Piratenpartei recht?

Die Piratenpartei ist der Ansicht, dass das Geschlecht im Netz keine Rolle mehr spielt, Frauen somit gar nicht mehr benachteiligt werden können. Diese These hätte unsere Autorin gerne wissenschaftlich fundiert widerlegt - vergeblich.

Mirjam Hauck

Geschlechterdebatte Feminismus

Geschlechterrollen im Netz - welche Rolle spielen sie?

(Foto: iStockphoto.com)

Es geistern viele Thesen durchs Internet, die sich ganz selbstverständlich und selbstreferentiell mit diesem Medium beschäftigen: "Das Netz ist zu voll", zum Beispiel. Oder so ähnlich. Sie sind nett zu lesen. Aber von Bedeutung sind sie nicht. Mehr Relevanz attestiere ich da den Piraten und ihrer These, dass die Piraten postgender seien.

Postgender heißt, es seien keinerlei Diskussionen über Geschlechterverhältnisse mehr nötig, weil das Geschlecht keine Rolle mehr spiele, Frauen seien ergo auch nicht mehr benachteiligt. Und dieses Phänomen des Postgenderismus betreffe eben nicht nur die Partei selbst, in deren Geschäftsstelle es keine Herren- und Damen-Toiletten gibt, sondern entsprechende Räume "mit und ohne Urinal", die jedermann und jederfrau benutzen kann. Was für das Klohäuschen gilt, lasse sich natürlich auch auf die großen Räume wie das Internet übertragen.

Die griffige These der Piraten löste rege Diskussionen aus und rief vor allem Widerspruch hervor, in alten, nicht ganz so alten und neuen Medien. Dabei geht es um Vorwürfe wie Macht- und Geschichtsvergessenheit, Naivität und Ignoranz oder einfach Antifeminismus.

Debatte um Sexismus

Denn so wenig wie das Internet ein "rechtsfreier" Raum ist, ist es ein geschlechtsneutraler Raum. Dafür reicht es, sich die im vorderen Absatz verlinkten Artikel durchzulesen, sich die Kommentare anzusehen, die bei hatr.org gepostet werden oder auch die Debatte um Sexismus beim Chaos Communication Congress zu verfolgen.

Nicht immer äußert sich dieses ganz und gar nicht postgenderhafte Vehalten so eindeutig, aber es gibt Sexismus und Diskriminierung. Was empirisch leicht zu belegen ist, müsste doch auch inzwischen Eingang in die Forschung gefunden haben - gediehen doch in den 1980er und 1990er Jahren zahlreiche Genderstudiengänge an deutschen Universitäten. Und so machte ich mich an des Journalisten liebste Pflicht, wissenschaftliche "Experten" zu suchen, die meine Annahme, dass das Netz alles andere als postgender sei, verifizieren oder auch falsifizieren können.

Um es kurz zu machen: Ich bin gescheitert. Zwar gibt es Studien, nach denen Frauen bei privaten sozialen Netzwerken wie Facebook aktiver als Männer sind, und es bei beruflichen Netzen wie Xing genau umgekehrt sei. Aber einerseits sind das Erhebungen von Unternehmen (Xing) oder wirtschaftsnahen Verbänden (Bitkom) und andererseits sind soziale Netzwerke nur, um im Raumbild zu bleiben, die Wände der Wohnzimmer des Internets.

Strategischer Essentialismus

Ich wollte die akademisch valide Expertise für das gesamte Haus. Sie sah so aus, dass eine angefragte Professorin, die annähernd zum Thema forschte, mir mangels Zeit absagte. Von einer zu Gender/Internet forschenden Doktorandin bekam ich den Hinweis, dass es falsch sei, den Piraten Antifeminsimus vorzuwerfen. Denn ihre Postgender-Position sei strategischer Essentialismus und außerdem gebe es in ihrem Grundsatzprogramm feministische Ziele wie die Teilhabe am digitalen Leben. Auch sei das Internet keinesfalls männlich, hier gehe es eher um den Zugang, also um die Überwindung der digitalen Kluft. Es seien eben doch mehrheitlich Männer, die den Zugang und die Zeit hätten zu posten und zu bloggen.

Nun kam aber kürzlich die ARD/ZDF-Onlinestudie zu dem Ergebnis, dass es diese Ungleichheit nur noch bei älteren, über 60-jährigen Internetnutzerinnen und -nutzern gibt. Schließlich fand ich mit Christina Schachtner eine Professorin, die an der Uni im österreichischen Klagenfurt zu Selbstkonstruktion und digitaler Kultur forscht und dafür junge und jugendliche Netznutzer interviewt hat

Von ihr erfuhr ich, dass es im Netz die Ausgrenzung von Frauen gibt, dass diese aber recht subtil geschehe. So seien ja Moderatoren und Administratoren im Netz nach wie vor mehrheitlich männlich. Sexismus spiele zwar eine Rolle und dafür seien aber eher bildungsferne Schichten verantwortlich. Dann wies sie darauf hin, dass sich junge Frauen im Netz auch traditioneller Rollenstereotype bedienen, sich also in Communitys auch gerne mal als "Tussi" präsentieren würden.

Moderne widersprüchliche Subjekte

Sie seien aber durchaus in der Lage, diese Selbstdarstellung zu reflektieren, während Jungs im Netz eher dem traditionellen männlichen Rollenbild verhaftet seien und sich Vorbilder wie Fußballstars suchen. Die jungen Frauen seien eben moderne widersprüchliche Subjekte, sozusagen das postmoderne Gesamtkunstwerk, dass sich aus verschiedenen Facetten zusammensetze. Die jungen Männer seien dagegen noch nicht so ganz in der Postmoderne angekommen.

Zumindest auf dieser Ebene hat mir die Wissenschaft bestätigt, dass Gender nach wie vor eine Rolle im Netz spielt. Und vielleicht machen sich Forscherinnen und Forscher in der nächsten Zeit mal daran, Geschlechterdiskrimierung im Netz wissenschaftlich zu untersuchen. Zumindest ich würde gerne darüber berichten. Bis dahin müssen wohl die genauso validen Erfahrungsberichte der NetzakteurInnen diese Lücke schließen.

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