Generationenkonflikt in der Internet-Debatte:Was das Netz mit Elvis gemeinsam hat

Der größte Generationenkonflikt seit der Rock'n'Roll-Revolution? Die Hilfslosigkeit der Achtundsechziger im Umgang mit dem Internet verrät uns viel darüber, warum wir in der Netzdebatte unterschiedliche Sprachen sprechen.

RNPS PICTURES OF THE YEAR 2007 - ENTERTAINMENT

Elvis ist mit uns.

(Foto: REUTERS)

Als im Februar 2007 die Social-Media-Revolution im Gange war, erahnte ich ihre Ausmaße nur: Meiner Erinnerung nach hatte ich zwar ein rudimentäres MySpace-Profil, von Facebook gehört und StudiVZ ignoriert (ich studierte ja nicht mehr); echte Vernetzung aber fand noch über das Adressbuch von Handy und E-Mail-Konto statt.

Was wirklich passierte, begriff ich erst, als ich in ebenjenem Februar eine Ausgabe des New York Magazine in die Hände bekam: Auf dem Cover fotografierte sich eine junge Frau nackt in einem Laken räkelnd, dazu stand in großen Lettern zu lesen "Ich bin nicht interessiert an Privatsphäre. Online veröffentliche ich alles - meine Trennungen, mein Frühstücksmüsli, meinen Körper. Meine Eltern nennen es schamlos, ich nenne es Freiheit". Das mächtige Titelthema der Ausgabe "Kids, the Internet, and the End of Privacy: The Greatest Generation Gap Since Rock and Roll" wirkt nur, wenn man es im Original liest.

Ich habe den Artikel bereits länger nicht mehr gelesen - wahrscheinlich ist er aus heutiger Sicht voller Übertreibungen, ein alter Hut. Im Gedächtnis geblieben ist mir allerdings die Überforderung der Eltern: Sie fanden einfach keinen Zugang zu der neuen (Online-)Welt einer vernetzten Jugend, in der Privatheit und Öffentlichkeit gerade neu definiert wurden.

"Meine Generation ist da etwas blamiert"

Fünf Jahre später ist das Internet selbst als Gedankenkonstrukt kaum noch von der realen Welt zu trennen, hat die Migration ins Digitale einen immer größeren Teil der Gesellschaft vernetzt. Und dennoch gibt es weiter zwei unterschiedliche Vorstellungswelten - und wie stark diese Kluft ist, wurde mir selten so klar wie bei diesem Deutschlandfunk-Interview mit der Essayistin Silvia Bovenschen.

Bovenschen, Jahrgang 1946 und Achtundsechzigerin, geht sehr offen mit ihrer Hilflosigkeit um: "Meine Generation, finde ich, ist da etwas blamiert. Das betrifft auch zum Teil die Politiker dieser Generation. Das ist etwas, was mich wirklich erheitert", sagt sie. "Wir sprechen über das Internet wie über etwas, das man gut finden kann oder schlecht finden kann. (...) Aber man kann es gut finden oder schlecht finden, wie man das Wetter gut finden kann oder schlecht finden kann. Das gibt es jetzt. Das können sie ja nicht mehr wegfegen. Ich spreche meines Erachtens irgendwie in einer Blässe und Ahnungslosigkeit darüber, die geradezu erschütternd ist."

Sie skizziert den einmaligen Bruch in der Geschichte, dass eine neue Generation mit dem Vernetzungsmedium Internet heranwächst und es völlig anders als die ältere Generation verwendet. Bovenschen reflektiert dabei auch ihre Zugangsschwierigkeiten, technisch wie "mental", ihre "oberflächliche" Computernutzung. "Ich spreche wirklich über etwas, von dem ich nichts verstehe", bilanziert sie. "Darauf bin ich nicht sonderlich stolz, aber es ist so. Aber die meisten anderen verstehen davon auch nicht so viel wie diejenigen, die da wirklich darin leben."

Kein Browser, keine Apps - nur "das Internet"

Den Grund für diesen fehlenden Zugang analysiert sie ganz am Anfang, indem sie Parallelen zu den Achtundsechzigern zieht: Damals, argumentiert sie, hätte die heranwachsende Generation sich zwar in allem von ihren Eltern unterscheiden wollen - doch die Eltern hätten zumindest die Möglichkeit gehabt, Sartre, Adorno, Bloch oder Marcuse zu lesen. Durch den Medienbruch, so ist herauszuhören, bleibt eine solche Annäherung der älteren Generation verwehrt.

Nun sollte man solche Aussagen natürlich nicht verallgemeinern, es gibt durchaus auch in dieser Generation Menschen, die Phänomene wie 4Chan, Twitter oder die Mem-Kultur verstehen. Aber aus eigener Erfahrung sind sie nicht nur die Ausnahme, die Generationenkluft betrifft auch genügend Menschen unter 60, 50, ja sogar 40 oder darunter. Dort gibt es keine Browser, 2P2-Netzwerke, Apps, sondern nur "das Internet", und viel mehr als ein paar Webseiten gehören auch nicht dazu.

Elvis Presley vs. Lärm

Deswegen passt auch der Rock'n'Roll-Vergleich aus dem Jahr 2007 immer noch so treffend: In den Fünfzigern hörte die eine Generation Elvis Presley, die andere verstand Lärm. Da half es nicht, dass beide Plattenspieler benutzen konnten.

Heute geht es aber nicht nur um Popkultur, sondern um eine Infrastruktur, die unsere Gesellschaft nachhaltig und in kaum gekannter Weise verändert. Und das Bewusstsein über die Folgen wird auch im Interview deutlich - denn es ist nicht nur ein Dokument fast tragischer Hilflosigkeit, sondern eben auch der Aufruf, den analog geprägten Teil der Gesellschaft mitzunehmen, die Hermetik aufzubrechen, um einen Diskurs auf Augenhöhe zu ermöglichen.

Um das Bovenschen-Zitat von oben etwas abzuwandeln: Wir sprechen über den analog geprägten Teil unserer Gesellschaft wie über etwas, das man gut finden kann oder schlecht finden kann. Wir können ihn natürlich gut oder schlecht finden, aber es ändert nichts daran, dass es ihn gibt.

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