Generation Internet:Nachhilfe in digitaler Revolution

Wikipedia, Datenmissbrauch, Cybermobbing: Wie zwei Wissenschaftler versuchen, das Internet zu erklären.

Lilith Volkert

Sie tippen SMS in Lichtgeschwindigkeit, haben aber noch nie einen Brief geschrieben. Den Umgang mit dem Handy lernten sie neben dem Schleifebinden und Fahrradfahren.

Generation Internet: Hey, wir sind schon längst drin! Jugendliche von heute sind mit dem Internet aufgewachsen.

Hey, wir sind schon längst drin! Jugendliche von heute sind mit dem Internet aufgewachsen.

(Foto: Foto: AP)

Urs Gasser und John Palfrey, Professoren an der Universität Sankt Gallen und der Harvard University, haben ein Buch über diese jungen Menschen geschrieben, die sich nicht an eine Welt ohne Computer und MP3-Player erinnern können.

"Generation Internet. Die Digital Natives: Wie sie leben, was sie denken, wie sie arbeiten", das heute auf Deutsch erscheint, handelt von einer Jugend, der die digitale Welt so vertraut ist wie Einheimischen die Eigenheiten ihres Landes - weil sie darin großgeworden ist.

Geschrieben wurde das Buch aber für die Generation ihrer Eltern, die sogenannten Digital Immigrants: Menschen, die erst im Lauf ihres Lebens den Umgang mit Computer und Handy lernten und oft eine gewisse Scheu vor technischen Entwicklungen haben. Ihnen wird erklärt, wie das Onlinelexikon Wikipedia funktioniert, was ein Blog ist und wofür die Abkürzung MP3 steht.

Jetzt lernen die Alten von den Jungen

Die Autoren zeigen, welche gesellschaftlichen Veränderungen die digitale Revolution mit sich gebracht hat: Auf einmal lernt die ältere Generation von der jüngeren, wie die Welt funktioniert.

Während die Digital Immigrants noch mit der SMS-Texterkennung kämpfen, stellen ihre Kinder einen kleinen Film ins Internet, den sie mit dem Handy aufgenommen haben. Neben einem Freundeskreis auf dem Schulhof haben sie einen im Internet. Online können sie sich hinter wechselnden Identitäten verstecken; gleichzeitig ist es schwer, Details aus dem eigenen Leben geheim zu halten - Google sei Dank.

Dafür fehlt den Jungen die Lebenserfahrung der Älteren: Sie lästern im Netz über den neuen Lehrer und stellen die Fotos der letzten Party daneben - und wissen nur selten, dass die Daten, die sie im Internet hinterlassen, wie Tätowierungen sind: Man wird sie nur schwer wieder los.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, warum das Buch mehr ist als ein Ratgeber für Internet-Laien.

Nachhilfe in digitaler Revolution

Deshalb sind die Autoren - beide Väter von Digital Natives - der Meinung, die Digital Immigrants sollten schleunigst mehr über die Online-Welt lernen, in der sich ihr Nachwuchs tummelt: Nur wer sich selbst im Internet auskennt, kann seine Kinder zu Menschen erziehen, die verantwortungsvoll damit umgehen. Und sie damit viel besser als Gesetze und Verordnungen vor seinen Gefahren schützen: Mobbing, Datenmissbrauch, die Verletzung der Privatsphäre, gewalttätige oder pornographische Bilder.

Neu sind diese Erkenntnisse nicht. Auch dass Blogs die Politik beeinflussen, dass Lernen sich durch das Internet verändert hat und gewalttätige Videospiele Auswirkungen auf das Verhalten haben können, hat man schon anderswo gelesen. Vielmehr versuchen die Autoren, die bekannten Entwicklungen für Internet-Laien einzuordnen. Sie wollen unterscheiden zwischen Erscheinungen, die zu Recht Furcht einflößen und anderen, vor denen man keine Angst haben muss.

Internetsucht und Datenklau

Sie loben die Kreativität, die das Internet ermöglicht - von der Mitarbeit am Online-Lexikon Wikipedia bis zum parodistischen Synchronisieren von Filmausschnitten - und hoffen, dass die Digital Natives durch das Mitmachen im Internet Lust auf andere Formen demokratischer Partizipation bekommen. Doch angesichts der zahlreichen und detaillierten Informationen über Internetsucht, Cyberstalking und Datenklau wird ihr Buch bei manchem Leser wohl eher die gängigen Vorurteile bestätigen.

Im Netz Tausende Blumen zum Blühen bringen

Außerdem kann sich ihr Buch nicht immer entscheiden, ob es ein Plädoyer für verantwortungsvolle Medienerziehung, eine soziologische Studie oder ein Ratgeber für Internet-Laien sein will. Die Autoren wollen gleichzeitig ausloten, ob das Recht im Internet an seine Grenzen stößt und mit ihren Ratschlägen "im Netz Tausende Blumen zum Blühen bringen".

Eines aber wollen sie sicher nicht: Mit ihrem gedruckten Buch im analogen Zeitalter hängenbleiben. Deshalb haben Gasser und Palfrey die Website www.digitalnative.org eingerichtet: Hier wollen sie die aktuellen Forschungsergebnisse zum Thema veröffentlichen und ihr Buch so ergänzen.

John Palfrey, Urs Gasser: "Generation Internet. Die Digital Natives: Wie sie leben, was sie denken, wie sie arbeiten", Hanser, 440 S., 19,90 Euro.

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