Geheimdienste:Gefährlicher als Facebook

  • Wenn Facebook neue Geschäftsbedingungen einführt, geht es immer wieder um die Frage: Soll man sich jetzt abmelden?
  • Wichtiger wäre es, sich um Organisationen zu kümmern, die nicht einmal allgemeine Geschäftsbedingungen haben: Geheimdienste.
  • Auch wer sich bei Facebook abmeldet, entgeht der Überwachung nicht.

Ein Kommentar von Dirk von Gehlen

Wer würde einer Firma für die Nutzung eines kabellosen Internetzugangs das Sorgerecht an seinem erstgeborenen Kind abtreten? Menschen in London haben das unlängst getan, jedenfalls akzeptieren sie allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), in denen die Abtretung des Erstgeborenen "unwiderruflich" mit Nutzung des Internetzugangs vereinbart wird. Mikko Hypponen von der Firma F-Secure erzählte die Geschichte vor ein paar Tagen (hier das Video) auf dem DLD in München - als Beweis für den sorglosen Umgang mit Geschäftsbedingungen. Denn natürlich handelt die Episode nicht von mangelnder Fürsorgepflicht britischer Eltern, sondern davon, dass sehr wenige Menschen wirklich lesen, was in AGB festgehalten wird.

Die Geschäftsbedingungen von Facebook bilden dabei fast eine rühmliche Ausnahme. Mit jeder neuerlichen Datenschutzverschlechterung stehen sie - wie auch dieser Tage - in einer öffentlichen Diskussion. Immer wieder wird damit die Frage verbunden: Soll man sich jetzt bei Facebook abmelden?

Digitale Ressentiments

Dabei ist diese Frage denkbar einfach zu beantworten: Kann man, ändert aber nichts an den wirklichen Problemen. Anstatt digitale Ressentiments zu bedienen und die Sammelwut von Facebook zu thematisieren, sollte man sich endlich mit den Organisationen befassen, die ihre Machenschaften nicht mal in absurden AGB festhalten. Edward Snowden hat der Welt vor Augen geführt, dass die Frage des Datensammelns und der anlasslosen Überwachung des Einzelnen eine politische Antwort verlangt und keine Ratschläge für die Nutzung eines Facebook-Accounts.

Denn selbst wenn man sich dort abmeldet, entgeht man der Überwachung nicht. Snowden hat offengelegt: Wer Briefe schreibt oder telefoniert, ist von geheimdienstlicher Überwachung ebenso betroffen wie ein gedankenloser Facebook-Nutzer. Das Abgreifen digitaler Daten aus Briefsortierzentren ist ebenso ein Bruch des Fernmeldegeheimnis wie das Ausforschen privater Internet-Kommunikation.

Gegen beides muss sich eine offene Gesellschaft zur Wehr setzen - allerdings nicht mit dem Hinweis, einfach keine Briefe mehr zu schreiben oder sich aus dem Netz zu verabschieden. Wer "Abmelden" als Antwort auf die Facebook-AGB-Debatte anbietet, erweist dieser freien Gesellschaft einen Bärendienst. Die Haltung lenkt ab von der dringenden, politischen Frage: Wollen wir tatsächlich Organisationen mit staatlichen Mitteln finanzieren, die anlasslos unsere Kommunikation überwachen?

Unverhältnismäßig

Während Facebook seine AGB verändert und damit Abmelde-Ratschläge heraufbeschwört, treffen sich die europäischen Innenminister in Lettland, um eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung zu diskutieren. Wenige Tage zuvor hat sich der deutsche Innenminister Forderungen aus Großbritannien und den USA angeschlossen, Behörden das Recht einzuräumen, verschlüsselte Kommunikation mitzulesen. Diese Ideen müssen für die Väter und Mütter des Grundgesetzes wirken wie die Abtretung des Erstgeborenen für freies Wlan: unverhältnismäßig und unüberlegt. Es ist an der Zeit, jene Überwachungs-AGB abzulehnen, die politisch verbreitet werden, statt so zu tun, als könne man das Problem über Facebook lösen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: