Freebooting:Wie Youtubern auf Facebook Millionen Klicks geklaut werden

  • Youtuber werfen Facebook vor, das Unternehmen würde "Freebooting" tolerieren - das "Stehlen" von Videos.
  • Dreiviertel der beliebtesten Facebook-Videos könnten von Youtube stammen.
  • Während auf Youtube eine Software kontrolliert, ob Videoinhalte das Urheberrecht verletzen, müssen auf Facebook viele Videos händisch gemeldet werden.

Von Caspar von Au

Das Video zeigt eine Tätowier-Nadel, die in Zeitlupe in einen Unterarm sticht. Wieder und wieder. Im Hintergrund Klaviermusik. Gepostet hat das Video die offizielle Facebook-Seite eines britischen Männermagazins. Auf den ersten Blick könnten Zuschauer denken, das Magazin habe das Video selbst produziert. In Wahrheit stammt der Ausschnitt aus einem Video des US-amerikanischen Youtubers "SmarterEveryDay" alias Destin Sandlin, der in seinen Videos zum Beispiel erklärt, wie sich Luft bei Bewegung verhält oder wieso eine Katze immer auf ihren Füßen landet.

Wer ein fremdes Youtube-Video herunterlädt, es anschließend wieder hochlädt und als sein eigenes ausgibt, ohne auf das Original zu verweisen, der stiehlt geistiges Eigentum. Als Dieb muss er bestraft werden - finden zumindest viele Youtuber. Sie bezeichnen dieses Übernehmen ihrer Beiträge als "Freebooting": Freibeuterei.

Im Zentrum ihrer Kritik steht Facebook. Mit acht Milliarden Videoaufrufen am Tag ist die Plattform zu einem ernsthaften Konkurrenten für Youtube geworden. Betroffen sind vor allem Videos mit viralen Inhalten, also kurze, unterhaltsame Filme, die Nutzer gerne weiterverbreiten. Dreiviertel der beliebtesten Facebook-Videos im ersten Quartal 2015 sollen von Youtube stammen, will die Marketingagentur Ogilvy herausgefunden haben.

Das Problem ist Facebook seit langem bekannt

"Leute klauen Videos auf Facebook und Facebook duldet es", sagt Philipp Dettmer vom Youtube-Kanal "Kurzgesagt" aus München. Dettmer und sein Team haben vor kurzem ein Video mit dem Titel "How Facebook is Stealing Billions of Views" veröffentlicht und die Debatte um das Thema Freebooting damit wieder angestoßen.

Auch eines ihrer Videos ist vor kurzem gestohlen wurden. Die Facebook-Kopie des Videos zum Thema Sucht und Abhängigkeit erreichte in kürzester Zeit mehr als vier Millionen Klicks - mehr als das Original. Das war Grund genug für "kurzgesagt", das Thema mit ihrem "J'accuse" in Videoform öffentlich zu machen. "Das Problem ist seit langem bekannt und wird diskutiert - auch von Facebooks Seite. Nur: Nichts ist geschehen", sagt Dettmer.

Destin Sandlin hat Freebooting schon Anfang des Jahres öffentlichkeitswirksam thematisiert. In einem Video schildert er den Fall, in dem sein Tattoo-Video ungefragt von Youtube heruntergeladen und von einem Magazin bei Facebook wieder hochgeladen wurde. Das Video ging auf Facebook viral. Sendlin sagt, ihm seien mehr als 17 Millionen Klicks entgangen, bis Facebook reagierte und das Video löschte. Dettmer von "kurzgesagt" schätzt, dass Sendlin seitdem um weitere 50 bis 100 Millionen Klicks durch Freebooting "betrogen" wurde.

"Feind der Kreativszene"

"Wir nehmen den Schutz von geistigem Eigentum sehr ernst und das ist auch nichts neues für Facebook", sagt Stefan Stojanow von Facebook. "Diese Inhalte müssen und sollen runter, wenn sie gemeldet werden." Für Dettmer klingt das wie blanker Hohn, er sagt: Facebook sei ein "Feind der Kreativszene".

Den Youtubern entgehen durch die gestohlenen Videos vor allem zwei Dinge: Werbeeinnahmen und Aufmerksamkeit. Zwar hat Facebook im Gegensatz zu Youtube derzeit noch kein Monetarisierungsmodell für Videos, so dass die Betreiber einer Facebook-Seite kein Geld für ein Video erhalten. Trotzdem bringen Videoaufrufe der jeweiligen Facebook-Seite Aufmerksamkeit und Reichweite. "Facebook-Reichweite ist mittlerweile ein Marktwert", sagt Fabian Siegismund, selbst Youtuber - er veröffentlicht unter anderem Let's Play-Videos bei den "Battle Bros" - und Kreativchef beim Youtuber-Netzwerk Studio 71. "Es ist nicht mehr nur schön, virtuelle Freunde zu haben, es ist auch eine Währung, die man gegenüber Unternehmen vorweisen kann."

Der Sänger Tyrese Gibson zum Beispiel hat auf Facebook mehr als 28 Millionen Fans, die er regelmäßig mit Videos unterhält. "Look at this...", schrieb Gibson unter das Video eines Hundes im Halloween-Kostüm. Das Video bekam 1,5 Millionen Likes, knapp 150 Millionen Views. Das Original auf Youtube dagegen ging nicht viral. Es ist ein paar Sekunden länger - Gibson hat den langweiligen Anfang wohl weggeschnitten. Auf die Quelle des Videos verweist er nicht, dafür verlinkt er auf seiner Facebook-Seite, die viele Menschen erst wegen des Hunde-Videos wahrgenommen haben dürften, auf sein neues Album bei iTunes.

Youtube hat die bessere Detektiv-Software

Auf Youtube verhindert eine Software, dass es nicht zu massenhaftem Freebooting kommt. Das Programm "Content ID" durchforstet ein Youtube-Video nach fremden Inhalten, schon während er hochgeladen wird. Das System erkennt, ob Ton und Bild das Urheberrecht eines Dritten verletzen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Video qualitativ schlechter, verzerrt oder das Bewegtbild gespiegelt ist, Content ID findet inzwischen so gut wie alles, was das Urheberrecht verletzt. Der Urheber kann anschließend entscheiden, ob das gestohlene Video gesperrt werden soll, ob er die Werbeeinnahmen erhält, welche die Kopie einspielt, oder ob Youtube nichts unternehmen soll.

Zudem gibt es ein sogenanntes Strike-System, nachdem Wiederholungstäter bestraft werden. Verletzt ein Youtuber das Urheberrecht, wird er mit einem so genannten Strike verwarnt. Nach drei Strikes wird sein Youtube-Kanal permanent gesperrt. Ähnliches müsse auch Facebook einführen, sagt Dettmer: "Nur das schreckt wirklich ab." Facebook-Sprecher Stojanow sagt dagegen, das Accounts, die wiederholt gegen Urheberrechte verstoßen, bereits gesperrt würden.

Das Hauptproblem auf Facebook ist jedoch, dass es noch kein funktionierendes Software-System gibt, das den Videoklau unterbindet. Zwar nutzt Facebook seit Jahren Software wie "Audible Magic", sie kann aber einfach umgangen werden, zum Beispiel indem das Video in schlechterer Qualität hochgeladen wird. Dann erkennt die Software nicht mehr, dass es sich um ein identisches Video handelt. Stattdessen müssen Video-Macher Facebook händisch durchsuchen oder hoffen, dass jemand anderes auf gegebenenfalls gestohlene Videos von ihnen stößt und ihnen Bescheid sagt. Erst dann können sie das Video Facebook melden, die den Urheberrechtsanspruch prüfen. Zum Teil dauert das mehrere Tage. "Das ist im Internet eine Ewigkeit und der Schaden ist schon entstanden", sagt Siegismund.

Vergrault Facebook die Youtuber?

Facebook-Sprecher Stojanow weiß von den Problemen, bittet jedoch um Geduld: "Der anhaltende Video-Boom auf Facebook schafft neue Herausforderungen, die sich nicht über Nacht lösen lassen." Youtubes Content-ID-System sei auch über mehrere Jahre entwickelt worden.

In den Youtube-Netzwerken, die die Youtuber vermarkten, sieht man das Thema gelassener: "Eine wirkliche Beeinträchtigung stellt Freebooting nicht dar", sagt Sebastian Kluge von TubeOne. Zwar würden jeden Monat Videos im vierstelligen Bereich von Youtubern des Netzwerks "geripped", der dadurch entstandene Schaden sei jedoch zu verkraften. Es könne ja auch Werbung sein. Ein Sprecher von Mediakraft schreibt in einer Stellungnahme des Unternehmens sogar: Die "theoretischen Mindereinnahmen" würden "durch den positiven viralen Effekt kompensiert". Als Beispiel dafür nennt Mediakraft den Youtube-Kanal "BullshitTV", deren Videos sehr häufig geteilt würden.

Auch Studio71 sind noch keine Fälle von geschädigten Youtubern aus dem eigenen Netzwerk bekannt. "Trotzdem legen wir Wert darauf, dass Youtube und Facebook ihre Hausaufgaben machen", sagte ein Unternehmenssprecher im Gespräch mit SZ.de. Fabian Siegismund kann die Haltung der Netzwerke nicht verstehen: "Gerade ein Problem beim Freebooting ist ja, dass der Künstler nicht genannt wird. Und solange das nicht passiert, kann doch keiner sagen, dass das uns Youtubern zugute kommt."

Doch auch wenn es in Zukunft ein System zur Monetarisierung für Video-Creator und eine Software geben sollte, die Freebooting erfolgreich verhindert, bezweifeln die Youtuber Dettmer und Siegismund, dass Facebook eine Plattform wird, wo sich die kreative Szene des Internets wohlfühlt. Siegismund sagt: "Ich finde merkwürdig, dass ich mir eine Reichweite auf einer Plattform aufbaue und mir die Plattform die Reichweite dann beschneidet." Und: "Wenn ich will, dass alle meine Follower meine Videos sehen, soll ich dafür bezahlen."

"Facebook ist ein fürchterlicher Ort für Creator", sagt Dettmer. Im Gegensatz zu Youtube gäbe es bei Facebook keine Gemeinschaft, keine festen Fans. Dazu kommt: "Die Missgunst, die sie im vergangenen Jahr erzeugt haben, wird nicht über Nacht verschwinden."

Fest steht jedoch auch: Facebook wird sich nicht so schnell aus dem Internetvideo-Geschäft verdrängen lassen. Wenn Monetarisierung und Urheberschutz funktionieren, dann kommen vielleicht auch die Youtuber. Vorausgesetzt, Facebook hat sie bis dahin nicht alle vergrault.

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