Frauen in der Technikbranche:Digitale Mädchenschulen

Neue Technologien schaffen neue Freiheiten für alle, trotzdem bleibt die digitale Wirtschaft eine Männerwelt. Die Entwicklung ist besonders bedenklich, weil das Digitale Frauen eigentlich in die Hände spielt.

Von Alexandra Borchardt

Es gibt gute Argumente für Mädchenschulen. Mädchen, die unter sich bleiben, entwickeln mehr Selbstvertrauen und leisten auch in vermeintlichen Jungs-Fächern mehr als jene, die sich nicht in solchen geschützten Räumen bewegen, lauten die wichtigsten. Aber gilt Ähnliches auch für Frauen? Brauchen sie Foren, in denen sie unter sich sein und ihre Talente schärfen können, um sich in der überwiegend von Männern dominierten Berufswelt besser zu behaupten?

Ja, glauben die Organisatorinnen von speziell auf Frauen zugeschnittenen Wirtschaftskongressen wie der Digital-Konferenz DLD Women des Burda-Konzerns, die am Dienstag in München zu Ende ging. Und der Bedarf scheint ihnen recht zu geben. Der Zulauf zu solchen Veranstaltungen ist gewaltig. Doch so wichtig und angenehm das weibliche Netzwerken inmitten vereinzelter, freundlich gesonnener Männer ist: Mit solchen Formaten laufen Frauen Gefahr, sich auf Dauer in eine Parallelwelt zu verabschieden. Die Macht wird anderswo verteilt. Man könnte auch sagen: Irgendwann ist es an der Zeit, die Mädchenschule zu verlassen und hinaus ins Leben zu gehen.

Das gilt natürlich nicht für jegliche Art von Frauen-Konferenz. Solange es darum geht, die Ursachen für den Frauenmangel in Führungsetagen zu ermitteln, dessen Wirkungen zu analysieren und über Lösungen zu diskutieren, sind Tagungen wichtig wie auf jedem anderen Fachgebiet. Zahlen wollen präsentiert, Erfahrungen ausgetauscht und Motivationsreden gehört werden, um das Problem draußen in der Welt besser attackieren zu können. Nur ist es mittlerweile so: Zahlen zum Frauenmangel gibt es reichlich, der Zusammenhang zwischen Performance und Vielfalt ist nachgewiesen, und die wirkungsvollsten Heilmittel - Quoten, Stereotypen-Trainings, flexible Arbeitsmodelle - sind auch identifiziert. Worüber also reden, wenn es doch an der Zeit ist, erst einmal zu tun?

Erfolge lassen sich wenige vermelden

Diejenigen, die seit vielen Jahren Frauenkonferenzen organisieren, stehen vor einem Dilemma. Sie sind des Quoten-Themas überdrüssig, aber Erfolge lassen sich wenige vermelden. Nicht nur die DLD Women hat deshalb in diesem Jahr versucht, frauenpolitische und Diversity-Themen möglichst klein zu halten und ihr Programm an Fachthemen ausgerichtet. Da wurde über Netzneutralität geredet, über Marketing, Unternehmensgründung und Social Media. Böse könnte man sagen: Wie bei den Großen. Denn natürlich sind die Redner bei der "eigentlichen" DLD im Januar immer noch eine Spur prominenter, die Themen spektakulärer.

Vergleichbares gilt für den Weltwirtschaftsgipfel in Davos und als Pendant die Frauen-Konferenz Global Summit of Women. Zu dem einen geht, wer in Wirtschaft und Politik etwas zu sagen hat, zu dem anderen gehen Frauen, die in Wirtschaft und Politik etwas zu sagen haben.

Der nächste Schritt wäre, die von Männern dominierten Veranstaltungen nicht nur mit Frauen zu spicken, sondern auch Frauen-Themen dort prominent zu behandeln. Denn sie gehören vor das Entscheider-Publikum und nicht dorthin, wo alle nur nicken, weil ohnehin jeder alles weiß.

Frauenförderung funktioniert nur, wenn sie Chefsache ist

Wenn sich jetzt jede Branche darauf kapriziert, ihre eigene Frauen-Konferenz zu entwickeln, sei es für Energie, Maschinenbau oder die Autoindustrie, ist das zwar ein nettes Geschäftsmodell für die Veranstalter. Es hat aber alle Anzeichen eines Rückzugsgefechts. Es sagt so etwas wie: Liebe Männer, wir nerven euch nicht länger mit Quotendiskussionen, wir machen dafür unser eigenes Ding. Das kann keine Frau wollen, die jahrelang für gleiche Rechte und Privilegien, für einen Anteil an der Macht gestritten hat.

Insbesondere DLD Women hätte dabei sogar mindestens ein bedeutendes Frauen-Thema gehabt: den eklatanten Frauen-Mangel in den Technologiebranchen. Denn ob man das mag oder nicht: Wichtige Entscheidungen darüber, wie sich Gesellschaften in der digitalen Welt entwickeln, werden heute nicht mehr von der Politik getroffen, sondern von Technologiekonzernen beeinflusst. Die Möglichkeiten der Datensammlung und Auswertung und der Steuerung von Geräten bestimmen, wie es künftig um die Freiheit und den Schutz des Individuums bestellt ist. Insbesondere die Entwicklungsabteilungen der Tech-Konzerne werden aber von (weißen) Männern dominiert. Das ist ein Fakt, der selbst Protagonisten der Branche wie Google umtreibt. Der Konzern hatte erst kürzlich seinen wenig schmeichelhaften ersten Diversity-Bericht veröffentlicht und Besserung versprochen.

Dieses Missverhältnis in den Firmen rührt nicht nur daher, dass Studentinnen in den Technologiefächern in der Unterzahl sind. Die New York Times zitierte kürzlich eine Studie der Harvard Business School, nach der 56 Prozent aller Tech-Frauen der Branche auf der mittleren Karrierestufe den Rücken kehren - ein doppelt so hoher Anteil wie bei den Männern. Die Zeitung sprach von "Technology's Man Problem", einem Mann-Problem.

Als Ursachen dafür führte sie unter anderem auf: stark männlich geprägte Unternehmenskulturen, fehlende Netzwerke für Frauen, Sexismus. Das Center for Talent Innovation, das weltweite Zahlen erhebt, begründet dies ähnlich. Dieses Defizit sei besonders dramatisch, da schon jetzt nicht alle Stellen in der Tech-Branche angemessen besetzt werden könnten. Deutliche Verbesserungen seien möglich, wenn Frauen gezielt Sponsoren zu ihrer Unterstützung bekämen, heißt es in dem Bericht "Accelerating Female Talent in Science, Engineering & Technology" der Organisation, die von 80 Konzernen unterstützt wird.

Mit Bildung vertagt man die Ergebniskontrolle auf die nächste Generation

Die Entwicklung ist deshalb auch besonders bedenklich, weil die digitale Welt Frauen eigentlich in die Hände spielt. Sie ermöglicht räumlich und zeitlich flexibles Arbeiten, das sich mit Familienaufgaben gut vereinbaren lässt. Unternehmen lassen sich dank Internet und Cloud Computing schnell und ohne hohe Kapitalkosten gründen, und gerade die schnell wachsenden Firmen der Tech-Branche sind für ihre flachen Hierarchien bekannt. Umso mehr muss es alarmieren, wenn Frauen auch unter diesen Bedingungen abgehängt werden. Wenn sie zwar bei der Gründung von Kleinbetrieben aus der Wohnküche heraus erfolgreich sind, in den schnell wachsenden Erfolgskonzernen der Tech-Branche aber nur Nebenrollen spielen. Gleichstellung ist kein Selbstläufer.

All dies gilt es zu thematisieren, statt darüber zu schweigen. So, wie Frauenförderung auf Unternehmensebene nur funktioniert, wenn sie Chefsache ist und auch Männer beschäftigt, muss das Thema auch im Konferenzzirkus an entscheidender Stelle verankert werden. Die Bestückung von Podien mit Managern und Managerinnen, vorzugsweise aus verschiedenen Kulturkreisen, sollte Pflicht sein. Wohlfühl-Tagungen, auf denen Frauen von Frauen lernen, mögen zum Wohlfühlen beitragen. Aber zum Ausruhen ist es zu früh.

Am Rande der Konferenz beschäftigte viele Frauen ein Thema, das auch Männern unangenehm ist: die gehäuften Abgänge von Frauen aus den Vorständen der deutschen Großkonzerne. Nach raschen Fortschritten in den vergangenen Jahren hat sich die Statistik wieder deutlich verschlechtert. "Seitdem ist es bei uns intern mit dem Frauen-Thema ganz schwierig geworden", erzählte die Managerin eines Dax-Konzerns. "Das hätte unbedingt aufs Podium gehört", war an verschiedenen Stellen zu hören. Aber möglicherweise hätte es keine ermutigenden Antworten gegeben. Und unter den Scheinwerfern waren eher Aufbruchstimmung und gute Laune gefragt.

Natürlich ist beides auch wichtig. Ein DLD-Podium beschäftigte sich mit der Frage, wie Mädchen spielerisch fürs Programmieren begeistert werden könnten - einer Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts, wie es derzeit von vielen Seiten betont wird. Auch das Feuilleton der SZ widmet sich diesem Thema verstärkt. Denn wer diese Fertigkeit besitzt, wird sich seinen Computer zum Dienstleister machen können; sie hilft dabei zu steuern, statt gesteuert zu werden. Gerade für Frauen ist das Thema also elementar, wenn sie die Welt mitgestalten wollen. Bis sich diese Fähigkeit aber weltweit so verbreitet wie die Fremdsprache Englisch, wird es noch eine Weile dauern. Denn Schulsysteme sind allgemein träge.

Es ist schon immer eine bequeme Strategie gewesen, Problemen mit dem Ruf nach mehr Bildung zu begegnen. Denn damit vertagt man die Ergebniskontrolle auf die nächste Generation. Tatsächlich gibt es aber schon heute und für jede Organisation Möglichkeiten, in der Frauen-Frage weiterzukommen. Männer und Frauen müssen das allerdings wollen.

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