TV-Überangebot:Wie Fernseher-Hersteller ihre Kunden überfordern

TV-Überangebot: Serien wie "Game of Thrones" waren in der Frühzeit des Fernsehens nicht zu sehen. Dafür begann der Fernsehabend ziemlich simpel: Einschalten und zurücklehnen.

Serien wie "Game of Thrones" waren in der Frühzeit des Fernsehens nicht zu sehen. Dafür begann der Fernsehabend ziemlich simpel: Einschalten und zurücklehnen.

(Foto: Mauritius, HBO; Montage:SZ)

Geräte programmieren, online gehen, technisch auf dem Laufenden bleiben: Modernes Fernsehen ist anstrengend - ganz im Sinne der Industrie.

Von Helmut Martin-Jung

Was darf's sein? 1,40 Meter Diagonale, 1,65 Meter oder noch größer? Bildschirm flach oder gebogen? UHD? Smart-TV? LED? OLED? HDR? Dolby Vision? Wie bitte, Sie verstehen nicht? Da sind Sie nicht allein. Schon 2013 fand jeder vierte Bundesbürger seinen Fernseher zu kompliziert, wie eine Emnid-Umfrage ergab. Zwei Drittel wussten mit Zusatzfunktionen wie Internetzugang nichts anzufangen, mehr als die Hälfte tat sich schon schwer damit, die Sender zu programmieren.

Seither es ist nur noch schlimmer geworden. Sogar die nerdige Fachzeitschrift c't beklagt, es sei noch nie so schwer gewesen, sich einen Fernseher zu kaufen. Und die Industrie? Erfindet immer mehr neue Techniken, kryptische Kürzel und wirft Zubehör wie Settopboxen, Bluray-Player, Drahtlos-Empfänger und Lautsprecher auf den Markt, die an Fernseher angeschlossen werden können. Fünf, sechs Fernbedienungen auf dem Wohnzimmertisch sind längst keine Seltenheit mehr.

Was ist da bloß los?

Fernseher, das waren doch früher mal ziemlich einfach zu bedienende Geräte der Unterhaltungselektronik. Eine Kiste, eine Fernbedienung, dazu eine Zimmerantenne oder ein Antennenkabel, das war's dann aber auch. Doch die Technik hat sich weiter entwickelt, vieles auch zum Guten. Die Bildschirme neuer Fernseher sind so scharf, dass sogar die Visagisten in den Sendern umlernen mussten, jedes Zuviel an Make-up oder Puder, jeder Bartstoppel ist zu sehen.

Fernseher sind heute spezialisierte Computer mit großem Bildschirm

Und durch die neuen Techniken können die Bildschirme auch viel größer gefertigt werden als bei den Röhrengeräten. War früher bei etwa 70 bis 80 Zentimetern Diagonale oft Schluss, messen die meisten der heute verkauften Fernseher schon 1,40 Meter. Da kommt auch zu Hause schon ein bisschen Kinoatmosphäre auf.

Das Wichtigste aber ist: Die neuen Fernseher arbeiten digital; sie sind nichts anderes als spezialisierte Computer mit besonders großem Bildschirm. So haben die meisten von ihnen denn auch Zugang zum größten Treiber der Digitalisierung: dem Internet. Zwar schließen nach neuesten Zahlen nur etwa drei Viertel der Besitzer internetfähige Geräte auch ans Netz an. Davon wiederum nutzt jeder Fünfte das Internet trotzdem nicht.

Allmählich verändern sich aber doch die Sehgewohnheiten. 38 Prozent der Zuschauer in Deutschland gaben in einer Umfrage der Gesellschaft zur Förderung der Unterhaltungselektronik (GFU) an, sie würden Sendungen häufig unabhängig von den Ausstrahlungszeiten ansehen, in der Altersgruppe bis 39 Jahre waren es sogar mehr als die Hälfte der Befragten. Vor allem die Mediatheken der Sender sind sehr beliebt - viele Sendungen können dort zumindest eine gewisse Zeit lang übers Netz angesehen werden, auch wenn man den Sendetermin verpasst hat.

Doch das ist erst der Anfang.

Zu viele Kabel und Fernbedienungen

Längst sind Abo-Dienste wie Netflix, Sky Go, Amazon Prime Video, Maxdome und andere verfügbar, die Filme und Serien im Angebot haben, darunter exklusive Titel und oft auch in der Originalsprache. Um sie zu sehen, muss eine Verbindung mit dem Internet her, entweder direkt über den Fernseher oder über ein Zusatzgerät. Kleine Boxen wie Amazons Fire TV können das sein, oder auch Bluray-Player, die den Fernseher internetfähig machen, auch wenn der das nicht unterstützt.

Kommen dann noch Dinge wie Bezahlfernsehen dazu, vielleicht ein digitaler Kabelanschluss, kann es sehr schnell ziemlich kompliziert werden. Denn um Bezahlfernsehen etwa von Sky sehen zu können, braucht man eine Entschlüsselungskarte. Diese wiederum muss mit einem speziellen Modul in einen dafür vorgesehenen Schacht am Fernseher gesteckt werden. Oder aber, was meist der Fall ist, sie kommt in einen eigenen Empfänger, genannt Settopbox.

Diese Boxen bieten zwar meist den Vorteil, dass man mit ihnen auch Sendungen aufzeichnen oder für eine Toilettenpause mal kurz auf "Pause" drücken kann. Doch eine Box mehr heißt: Ein Kabel mehr am Fernseher und eine Fernbedienung mehr auf dem Tisch.

Kunden im Dschungel der Fachbegriffe und Abkürzungen

Mit all den verschiedenen Geräten und Eingängen am Fernseher kommen dann auch geübte Unterhaltungselektronik- Jongleure schon mal durcheinander. Jede Fernbedienung hat ein anderes Layout, und es gibt zwar Universal-Steuerkästchen, doch auch die muss man erst einmal zu bedienen lernen oder sogar eigens programmieren. Eine Mühe, die sich nur wenige machen.

Auch für die Industrie ist es einfacher, immer neue technische Raffinessen zu erfinden als ein Gerät oder eine Gerätereihe, die dem Zuschauer die Mühsal abnimmt, den ganzen Gerätezoo im Zaum zu halten. Der Elektronikkonzern Apple soll es Gerüchten zufolge versucht haben - bisher zumindest ohne sichtbaren Erfolg. Neuere Geräte bieten immerhin mit Apps Zugang zu Mediatheken und Diensten wie Netflix - das reduziert die Zahl nötiger Zusatzgeräte und Fernbedienungen.

Die meisten Interessenten sind beim Kauf eines Fernsehgerätes allerdings heillos überfordert, weil die Industrie einen regelrechten Dschungel aus Fachbegriffen und wichtig klingenden Abkürzungen geschaffen hat. Viele wissen ja noch nicht einmal, welches Signal bei ihnen aus der TV-Dose kommt. Oder, falls sie das etwa beim Neubau eines Hauses wählen können, für welchen Empfangsweg sie sich entscheiden sollen. Kabel, Satellit, Antenne - oder doch gleich übers Internet?

31 Prozent...

... der deutschen Fernsehzuschauer nutzen aktiv ein sogenanntes Smart TV. Diese Fernseher werden mit dem Internet verbunden. Über eine Oberfläche auf dem TV-Bildschirm können die Nutzer mithilfe von Apps auf eine Reihe von Diensten zugreifen. Besonders beliebt sind in Deutschland die Mediatheken der Sender. Von den Smart-TV-Nutzern greifen die meisten (58 Prozent) auf diese Angebote zu. Fast ebenso viele schauen aber auch Videoclips der Internet-Plattform Youtube. Kostenpflichtige Videos auf Abruf sehen sich 48 Prozent an. Beliebt auch: Online-Fotoalben, soziale Netzwerke und Spiele.

Die Deutschen kaufen dieses Jahr sieben Millionen Fernseher

Ist das erst einmal geklärt, bleibt die Frage nach dem Fernseher. Wer wirklich verstehen will, was all die Begriffe und Kürzel bedeuten und was davon für einen selber sinnvoll ist, der muss sich entweder einlesen oder aber braucht eine gute Beratung. Das bedeutet noch lange nicht, dass sich die Kunden beim Kauf der schicken Flachbildfernseher zurückhalten würden. "Der Run auf die Flatscreens kommt nicht von ungefähr", sagt Roland Stehle von der GFU, "die neuen Geräte sind meist größer und haben ein besseres Bild."

Zwar verkauft die Industrie in Deutschland nicht mehr ganz so viele Fernseher wie im Boom-Jahr 2011, als besonders viele ihr altes Röhrengerät durch einen Flachbildschirm ersetzten. Damals erreichte der Absatz fast die Zehn-Millionen-Marke. Doch auch in diesem Jahr werden Schätzungen der GFU zufolge um die sieben Millionen Fernseher gekauft werden.

Dass es mit den neuen Geräte nicht mehr so einfach ist wie früher, gibt Stehle zwar zu, sieht darin aber auch eine Chance - für den Fachhandel. Die Experten dort würden die Kunden gut beraten, und: "Da gibt es Spezialisten, die können auch Sonderwünsche wie Heimkinos oder Medienwände erfüllen."

Das Bild wird immer schärfer, aber man merkt es kaum

Wichtigster Trend zurzeit: Fernseher mit superscharfem Bild, erkennbar an den Kürzeln 4K oder UHD. Diese Geräte zeigen viermal so viele Bildpunkte an wie die besten bisherigen Fernseher. Das Problem ist nur: Es gibt noch kaum Programm dafür. Manche Internet-Dienste haben zwar 4K-Filme im Angebot, doch die sind oft nur aus alten Material hochgerechnet oder aber stark komprimiert. Sprich: Damit sie nicht so viel Kapazität in den Datenleitungen fressen, werden sie stark zusammengequetscht, die Bildqualität leidet. Der Bezahlsender Sky überträgt ausgewählte Fußballspiele in 4K, es gibt Testsender.

Bis jedoch die öffentlich-rechtlichen Sender und die werbefinanzierten Privaten einsteigen, wird es dauern. Und: Aus Distanzen wie sie heute üblich sind, können Menschen den Unterschied zum bisher üblichen HD-Standard kaum ausmachen. Eigentlich müsste man also näher ran an die Glotze. Fernseher ab 140 Zentimeter Bilddiagonale gibt es ohnehin fast nur noch in der UHD-Version. Immerhin: Bilder guter Digitalkameras entfalten erst auf einem UHD-Schirm ihre volle Pracht.

Ziemlich einfach hatten es bisher die Nutzer von digitalem Antennenfernsehen. Doch auch hier wird es wohl komplizierter: Im Frühjahr 2017 wird auf einen neuen Standard umgestellt. Der ist zwar technisch besser, setzt aber auch neue Empfänger voraus, erkennbar an einem grünen Logo. Und wer damit auch Privatsender sehen will, muss zahlen, 69 Euro im Jahr, sonst bleibt der Bildschirm bei Pro7, Sat1, RTL und anderen schwarz.

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