Europa-Abgeordnete Julia Reda:"Ich wurde mit Bankräubern und Trickbetrügern verglichen"

Piraten nach Europawahl

Ist im EU-Parlament mit der Reform des Urheberrechts beschäftigt: Piratenpartei-Abgeordnete Julia Reda

(Foto: picture alliance / dpa)

Faire Bezahlung für Autoren, Rechtsschutz für die Nutzer: Die EU-Parlamentarierin Julia Reda über ein Urheberrecht für das digitale Zeitalter - und darüber, mit welchen Vorurteilen sie als Mitglied der Piratenpartei zu kämpfen hatte.

Von Matthias Huber

Europa soll ein neues Urheberrecht bekommen - und eine Piratin spielt dabei eine entscheidende Rolle. Seit November ist Julia Reda, einzige deutsche Piratin im EU-Parlament, Berichterstatterin über die Umsetzung der InfoSoc-Richtlinie, einer 2001 beschlossenen Regelung zur europaweiten Harmonisierung des Urheberrechts. Den Berichtsentwurf hat sie auf ihrer Webseite veröffentlicht, ebenso eine Liste mit allen Lobby-Treffen, die sie dafür wahrgenommen hat.

Frau Reda, Sie als twitter-versierte Piratin: Fassen Sie Ihren Bericht in 140 Zeichen zusammen!

Wir müssen das Urheberrecht auf das digitale Zeitalter updaten und gemeinsame Rechte für User in ganz Europa schaffen.

Und bisher ist dieses Ziel noch nicht erfüllt?

Bisher gibt es gemeinsame Mindeststandards für den Schutz der Rechteinhaber, aber so gut wie keine Mindeststandards für die Rechte der Nutzer und der Öffentlichkeit. Es gab vergangenes Jahr von der Europäischen Kommission eine Konsultation zum Urheberrecht mit dem Ergebnis, dass die User und Institutionen wie Bibliotheken und Universitäten die unzufriedensten sind. Die Künstler und die Provider von neuen Diensten wie beispielsweise Streaming sehen auch durchaus gewissen Veränderungsbedarf. Die Verwertungsgesellschaften und die klassischen Rechteinhaber wie Verlage sind dagegen mit den geltenden Regeln zufrieden.

Steht das Urheberrecht dem gemeinsamen europäischen Markt im Weg?

Nach meiner Überzeugung brauchen wir für einen gemeinsamen Markt auch ein gemeinsames und verbindliches europäisches Urheberrecht. Mindeststandards für Rechteverwerter und -inhaber allein reichen nicht aus. Dann könnte beispielsweise ein Streamingdienst wie Spotify oder Netflix in der ganzen EU verfügbar sein, ohne dass für jeden Titel die Rechte in 28 Ländern geklärt werden müssen. Und die Nutzer haben dann Zugriff auf den Dienst, für den sie bezahlt haben - egal, in welchem Land sie sich gerade befinden.

Warum nur Europa? Wäre es nach dieser Argumentation nicht wünschenswert, international ein gemeinsames Urheberrecht einzuführen?

Eigentlich ja. Aber ich bin da pragmatisch: Ich fordere in meinem Bericht nichts, was eine Änderung internationalen Rechts nötig machen würde. Mir liegt daran, dass man diese Reform nicht auf die lange Bank schiebt. Die Forderungen der Piratenpartei gehen eigentlich deutlich weiter als beispielsweise nur, die Schutzfristen wieder auf 50 Jahre nach dem Tod des Autors zu verkürzen. Aber das ist nunmal das Minimum, was im Rahmen internationaler Verträge wie der Berner Übereinkunft derzeit möglich ist.

"Urheber von Anfang an fair bezahlen"

Warum wird diese Schutzdauer überhaupt am Tod des Autors festgemacht, und nicht am Tag der Veröffentlichung?

Das ist auch für mich nicht ganz logisch. Eigentlich soll das Urheberrecht ja Anreize schaffen, neue Werke zu kreieren. Meistens hört man das Argument, dass mit den langen Schutzfristen auch die Erben von den Werken leben können. Ich finde das aber mäßig überzeugend, da ja die Urheber auch das Geld, was sie zu Lebzeiten verdient haben, vererben können. Ich frage mich manchmal, ob die Urheber so vertröstet werden sollen, anstatt sie von Anfang an fair zu bezahlen. Viele Produzenten, beispielsweise Fernsehsender, rechtfertigen niedrige Honorare damit, dass die Autoren ja mit jeder Wiederholung erneut entlohnt werden. So entstünde dank der langen Schutzfristen allmählich ein gesichertes Einkommen. Ich glaube, dieses Modell wird im Internet-Zeitalter zunehmend schwierig. So etwas wie Wiederholungen von Sendungen wird es irgendwann nicht mehr geben.

Abgesehen von den Schutzfristen: Was würden Sie am bestehenden Urheberrecht noch ändern wollen?

Man könnte beispielsweise die Verhandlungsposition der Autoren gegenüber den Rechteverwertern verbessern. Anstatt dass Urheber ihre kommerziellen Rechte komplett an Rechteverwerter abtreten, könnten sie sie für einen bestimmten Zeitraum lizensieren. Wenn dieser Zeitraum abgelaufen ist und der Rechteverwerter keinen Gebrauch davon macht, dann würden sie automatisch an den Autor zurückfallen. Es gibt solche Vertragsregelungen gelegentlich bei Journalisten oder Autoren, aber das ist bislang komplett freiwillig.

Und wie können die Nutzer von einem neuen europäischen Urheberrecht profitieren?

In der Vergangenheit war das Urheberrecht ein Rechtsgebiet, das fast nur kommerzielle und professionelle Transaktionen in der Verlags- oder Musikindustrie betroffen hat. Im Internetzeitalter betrifft es alle, die im Internet Inhalte produzieren - da reicht schon ein Facebook-Posting oder ein hochgeladenes Urlaubsfoto. Es betrifft also fast jeden. Dafür, dass im Alltag potentiell jeder Gefahr läuft, gegen dieses Gesetz zu verstoßen, ist es einfach viel zu komplex. Das Urheberrecht muss klarmachen, dass durch einfache kulturelle Handlungen wie beispielsweise Mashups von Youtube-Videos oder dem Gif-Bild eines fünfsekundigen Filmclips in einem Blog-Posting keinerlei kommerzieller Schaden entsteht.

"Alle Abgeordnete sollten Rechenschaft über Lobby-Treffen ablegen"

Sie haben viele Anfragen von Lobby-Vertretern erhalten und jetzt eine Liste mit all diesen Treffen öffentlich gemacht. Warum wollten die gerade mit Ihnen sprechen?

Ich habe im Wahlkampf gesagt, dass Urheberrecht mein Schwerpunktthema ist und bin nach meiner Wahl stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Grüne/EFA geworden. Und zu Beginn meiner Amtszeit im Europäischen Parlament sind viele speziell deshalb auf mich zugekommen, weil ich eine Piratin bin. Aber es gibt viele größere Unternehmen wie Samsung oder Google, die am Anfang der Legislaturperiode bei allen, die im weitesten Sinne etwas mit Internet und Technologie zu tun haben, Antrittsbesuche machen. Ich habe alle Lobby-Meetings in die Liste aufgenommen, bei denen es im Gespräch um das Urheberrecht ging. Gerade versuche ich, mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion abzusprechen, um bald auch die Lobby-Daten anderer Abgeordneter veröffentlichen zu können. Hoffentlich machen irgendwann auch Vertreter anderer Fraktionen dabei mit. Meiner Meinung nach sollten alle Abgeordneten darüber Rechenschaft ablegen, mit welchen Lobbyisten sie sich treffen.

Was haben Ihnen diese Gespräche für Ihre Arbeit gebracht?

Sie weisen einen manchmal auf Dinge hin, die im Arbeitsalltag der Autoren und Produzenten vorkommen und die ich gar nicht auf dem Schirm hatte. Ein Autor hat mir berichtet, dass er große Schwierigkeiten mit den europäischen Regeln für die Mehrwertsteuer hatte. Demnach muss er die Mehrwertsteuer nach dem Land berechnen, in dem sich der Käufer befindet, nicht der Verkäufer. Für Autoren, die selbst publizieren und ihre E-Books auf ihrer Webseite verkaufen, bedeutet das einen großen bürokratischen Aufwand, weshalb sie inzwischen lieber zu Amazon gehen. Solche Details hätte ich ohne die Lobby-Meetings nicht erfahren. Teilweise treffe ich mich aber auch mit einer Interessenvertretung und weiß vorher schon, dass wir das gleiche Anliegen haben. Dann unterhalte ich mich mit ihnen darüber, welche Modelle sich beispielsweise die Bibliotheken vorstellen könnten, um das Verleihen von E-Books im Internet möglich zu machen.

Hatten die Lobbyisten Vorurteile, als sie es in Urheberrechtsfragen mit einer Abgeordneten der Piratenpartei zu tun hatten?

In den meisten Gesprächen hatte ich das Gefühl, dass mein Gegenüber überrascht war, wie vernünftig ich bin. Aber es gibt teilweise auch einen Unterschied dazwischen, wie sie mit mir und wie sie über mich sprechen. In der französischen Presse gab es beispielsweise eine Reihe von merkwürdigen Artikeln, in denen ich mit Bankräubern und Trickbetrügern verglichen wurde. Selbst die französische Kulturministerin hat in einer Rede nach meiner Ernennung darauf hingewiesen, dass es doch einer unaufgeregten und tiefgehenden Diskussion nicht zuträglich sei, wenn die einzige Piratin für diesen Job zuständig sei. Auf mein Gesprächsangebot, sich mal über die Inhalte der Reform zu unterhalten, hat sie aber leider bisher nicht reagiert.

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