EuGH-Urteil zu Suchmaschinen:Gericht zwingt Google zum Vergessen

Ein Segen oder eine neue Form der Zensur? Suchmaschinen-Betreiber wie Google müssen künftig falsche Informationen tilgen, wenn die Bürger das wollen. Doch die Regelung gilt nicht für alle gleichermaßen.

Von Wolfgang Janisch

Viel ist in den letzten Monaten und Jahren geschrieben worden über Google, düstere Betrachtungen über einen globalen Konzern, der zu mächtig geworden sei für die Staaten, zu riesig für die Schranken der Gesetze. Ein Gigant, der ungehindert über das kleinteilige Recht der Nationen hinwegschreitet, als wären es die Gartenzäune der Insel Liliput.

Nun sagt der Europäische Gerichtshof: Das Recht gilt auch für Google. Der Datenschutz, die Persönlichkeitsrechte, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - daran muss sich auch der mächtige Suchmaschinenbetreiber halten. Das ist die bahnbrechende und dabei fast banale Formel, mit der der EuGH Google in seine Schranken weist. Erstmals gewährt er den Bürgern das Recht, Informationen aus den Auflistungen der Suchmaschine entfernen zu lassen - ein Recht, "vergessen" zu werden, wie es seit Jahren diskutiert wird, um dem unerbittlichen Gedächtnis des Internets zu entkommen.

Der Fall, über den der Gerichtshof in Luxemburg zu befinden hatte, verdeutlicht, wie weitreichend das Urteil ist. Ein Spanier hatte gegen Google geklagt, weil bei der Eingabe seines Namens die Bekanntgabe einer Zwangsversteigerung seines Hauses im Jahr 1998 angezeigt wurde. Der entsprechende Artikel war online in der Zeitung La Vanguardia erschienen, nach spanischem Recht vollkommen legal. Deshalb wird er in deren Online-Archiv vermutlich stehen bleiben dürfen. Trotzdem muss Google die Verknüpfung zu diesem Artikel jetzt aus seinen Suchlisten entfernen - weil die Information, dass der Mann vor anderthalb Jahrzehnten verschuldet war, ihn heute unnötig in ein schlechtes Licht rückt.

Ein bisschen NSA für jedermann

Hinter diesem - auf den ersten Blick überraschenden - Ergebnis steht eine grundlegende Aussage des Urteils. Eine Suchmaschine kann sehr viel tiefer in das Privatleben der Betroffenen eingreifen als eine einzelne Website irgendwo im großen Meer des Internets. Und zwar deshalb, weil jeder Internetnutzer irgendwo auf der Welt allein mit der Eingabe eines Namens ein mehr oder weniger detailliertes Persönlichkeitsprofil erstellen könne, argumentiert der EuGH. Man könne "mit der Ergebnisliste einen strukturierten Überblick über die zu der betreffenden Person im Internet zu findenden Informationen erhalten, die potenziell zahlreiche Aspekte von deren Privatleben betreffen und ohne die betreffende Suche nicht oder nur sehr schwer hätten miteinander verknüpft werden können". Mit anderen Worten: Die Suchmaske von Google - das ist ein bisschen NSA für jedermann.

Der Kampf gegen Google hatte bereits auch die deutschen Gerichte beschäftigt. Das Landgericht Hamburg hatte im Januar Max Mosley recht gegeben, dem einstigen Präsidenten des Welt-Automobilverbandes. Im Internet waren Fotos einer Sexparty zu sehen, mit Mosley, halb nackt und gefesselt. Das Landgericht hat Google die Verbreitung von sechs dieser Bilder untersagt.

Auch Bettina Wulff, die frühere Frau des Ex-Bundespräsidenten, streitet derzeit vor dem Landgericht Hamburg gegen Google, weil die Suchautomatik - die auf eine üble Nachrede im Netz ansprang - sie in die Nähe der Prostitution gerückt hatte. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom Mai 2013 dürften ihre Chancen gut stehen. Der BGH hatte Google in einem anderen Fall zugemutet, bestimmte Begriffskombinationen aus seiner Autocomplete-Funktion zu löschen, wenn dadurch Persönlichkeitsrechte verletzt würden.

Merkels Privatleben dagegen ist von öffentlichem Interesse

Das Urteil aus Luxemburg ist allerdings nicht dafür gedacht, den unangenehmen Teil der biografischen Spuren im Internet nachträglich zu tilgen. Auch eine Information aus dem Privatleben könne von öffentlichem Interesse sein - "je nach der Rolle, die die Person im öffentlichen Leben spielt", schreibt das Gericht. "Wäre Angela Merkel vor 16 Jahren gepfändet worden, dann dürfte das wohl aufgelistet werden", sagt Marit Hansen, stellvertretende schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte. Denn was veröffentlicht werden darf und was nicht, richtet sich nach wie vor nach nationalem Recht, und da gilt eben nicht nur der Persönlichkeitsschutz, sondern auch die Freiheit der Medien.

Praktisch dürfte es also vor allem um die Korrektur ehrverletzender Behauptungen und falscher Informationen gehen. Um solche Informationen aus den Suchlisten zu tilgen, können sich die Betroffenen an die deutsche Niederlassung von Google in Hamburg wenden. Lehnt Google eine Korrektur ab, können sie die Hamburgische Datenschutzbehörde einschalten, wo schon jetzt zahlreiche Beschwerden anhängig sind.

Das Urteil basiert auf einer Richtlinie aus dem Jahr 1995

Google hatte gern darauf verwiesen, die eigentliche Verarbeitung der Daten finde doch in Kalifornien statt, schon deshalb könne das nationale Recht nicht einschlägig sein. Damit ist nach dem EuGH-Urteil Schluss: Es gälten die Gesetze des Landes, in denen Google über seine Niederlassungen Werbeflächen verkaufe. "Dort, wo das Geld generiert wird, gilt auch das Recht", sagt Hansen. Und wenn erst einmal die derzeit verhandelte EU-Datenschutzverordnung in Kraft tritt, haben die Behörden ein scharfes Schwert in der Hand; dann wären Sanktionen bis zu fünf Prozent des Umsatzes zulässig.

Bemerkenswert ist: Der EuGH stützt sein Urteil auf die EU-Datenschutzrichtlinie aus dem Jahr 1995 - also dem Jahr, in dem sich die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin überhaupt erst kennengelernt haben. Und das Ergebnis war durchaus überraschend; der EU-Generalanwalt hatte ein solches Löschungsrecht im vergangenen Jahr noch abgelehnt: Von den Suchmaschinenbetreibern die Unterdrückung von Informationen zu verlangen komme einer Zensur durch ein Privatunternehmen gleich.

Doch der EuGH hat diese Richtlinie aus der Internet-Steinzeit nun mithilfe der EU-Grundrechtecharta fortentwickelt. Nach seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung hat er also ein weiteres Ausrufezeichen gesetzt. Das Gericht - so oft gescholten, im Zweifel Wirtschaftsfreiheiten den Vorzug zu geben - stellt sich deutlich auf die Seite der Bürger. Im Urteil heißt es: "Wegen seiner potenziellen Schwere kann ein solcher Eingriff nicht allein mit dem wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers an der Verarbeitung der Daten gerechtfertigt werden."

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