Ergonomie am Arbeitsplatz:Krank vorm Monitor

Jeder dritte Bildschirmarbeitsplatz hat ergonomische Schwächen - das Arbeitsministerium bereitet nun eine Werbekampagne vor.

Andreas Grote

(SZ vom 13.11.2001) - Das computerisierte Büro ist in der Dienstleistungsgesellschaft Dreh- und Angelpunkt des geschäftlichen Treibens. Doch die Arbeit vor dem Bildschirm bleibt nicht ohne Folgen: Während der Krankenstand im produzierenden Gewerbe kontinuierlich abnimmt, stagniert oder steigt er bei Büroangestellten. Mit ein Grund: ungesunde Bildschirmarbeitsplätze.

Ergonomie am Arbeitsplatz: An jedem dritten Bildschirmarbeitsplatz wurde die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsanalyse noch nicht erstellt.

An jedem dritten Bildschirmarbeitsplatz wurde die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsanalyse noch nicht erstellt.

(Foto: Foto: dpa)

Die Europäische Union (EU) hat deshalb bereits 1990 eine Richtlinie (90/270/EWG) für ergonomische Bildschirmarbeitsplätze vorgelegt, die 1996 in nationales Recht umgesetzt wurde. Seit Anfang 2000 müssen Arbeitgeber eine einmalige Gefährdungsanalyse für jeden Bildschirmarbeitsplatz erstellen, und festgestellte Mängel sofort beseitigen. Wenn Sie das nicht tun, droht ihnen ein Bußgeld bis zu 50000 Mark. Zurzeit erstellt das Bundesarbeitsministerium (BMA) in Berlin für die EU einen ersten Erfahrungsbericht über die Umsetzung der Bildschirmarbeitsplatzverordnung.

Wettbewerbsvorteil Gesundheit

In Deutschland gibt es rund 18 Millionen Bildschirmarbeitsplätze. An jedem dritten, das hat vor kurzem eine Untersuchung des Deutschen Büromöbel Forums (DBF) ergeben, wurde die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsanalyse noch nicht erstellt. Das DBF untersuchte 607 Firmen verschiedener Branchen. Von den bereits analysierten Arbeitsplätzen waren lediglich 15 Prozent ohne Mängel. Bei elf Prozent der Unternehmen, die eine Analyse gemacht haben, verschwand diese einfach in der Schublade, vorhandene Mängel wurden nicht beseitigt. Zusammen macht das nach Berechnungen des DBF rund sechs Millionen Bildschirmarbeitsplätze, die nicht den notwendigen ergonomischen Kriterien entsprechen. Bei einer nur wenige Monate älteren Untersuchung des Karlsruher Instituts für Arbeits- und Sozialhygiene hatten gar nur acht Prozent der 14000 in deutschen Unternehmen untersuchten Bildschirmarbeitsplätze arbeitsmedizinisch gesehen keine Mängel.

Die Leistungsfähigkeit ihrer Angestellten müsste den Unternehmen eigentlich wichtig sein, denn Gesundheit ist ein großer Wettbewerbsvorteil. "Ein gut gestalteter Arbeitsplatz kostet fünf- bis sechstausend Mark", so Wilhelm Bauer vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart, "ein krankgeschriebener Mitarbeiter indes schnell sehr viel mehr." Dabei muss ein ergonomischer Arbeitsplatz nicht immer teuer sein, denn an erster Stelle der Mängelliste rangiert laut DBF-Untersuchung ein leicht und günstig zu beseitigendes Problem: ein falsch aufgestellter Monitor (29 Prozent), gefolgt von unergonomischen Büromöbeln (27 Prozent) und Umgebungsfaktoren wie Klima, Akustik und Licht (20 Prozent).

Zwar gibt es bislang keine Berufskrankheiten, die ursächlich auf Bildschirmarbeit zurückzuführen sind. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen aber, dass die Arbeit vor dem Monitor immer stärkere Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden hat. Laut einer Untersuchung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund klagen vier von fünf Bildschirmarbeitern über Beschwerden während und nach der Arbeit. Damit bestätigen sie die beiden Hauptprobleme Monitor und Sitzmöbel, empfinden doch rund zwei Drittel der Beschäftigten Schmerzen im Nacken-, Schulter- und Rückenbereich; jeder zweite leidet unter Kopfschmerzen und etwa 40 Prozent gaben Augenprobleme an. Wissenschaftler am Institut für Arbeitsmedizin an der Universität Frankfurt am Main konnten nachweisen, dass Sehbeschwerden mit der Dauer der Bildschirmtätigkeit zunehmen und sich die Sehschärfe im mittleren Sehbereich durch das ständige scharfe Lesen von kleinen Zeichen verschlechtert.

Trotzdem gibt es in Deutschland mehr mangelhafte Arbeitsplätze als noch bei der letzten DBF-Untersuchung vor zwei Jahren. So hat der Dienstleistungsbereich erst 64 Prozent seiner Bildschirmarbeitsplätze analysiert (1999: 76 Prozent), die öffentlichen Verwaltungen 73 Prozent (78) und schließlich das Handwerk 29 Prozent (33). Positiv sieht die Bilanz nur bei Industrie (74 Prozent statt 65) und Handel aus (51 Prozent statt 40). Nur jede sechste der Firmen, die bislang keine Analyse durchgeführt haben, wollen das noch in diesem Jahr nachholen.

Dass es bei der Umsetzung der EU-Bildschirmrichtlinie noch Versäumnisse gibt, steht außer Frage. Gesicherte Daten liegen jedoch erst mit dem Erfahrungsbericht des BMA vor. Zwischenergebnisse sind noch nicht spruchreif, "allerdings ist jetzt schon absehbar, dass für eine verbesserte Umsetzung der Richtlinie noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten ist", so Ergonomie-Experte Thomas de Graat vom BMA, "und zwar sowohl auf Arbeitnehmer- wie auch auf Arbeitgeberseite." Zusammen mit den Berufsgenossenschaften startet das BMA in Kürze eine Informations- und Werbungsaktion, denn "den Mängeln abzuhelfen liegt in den meistens Fällen nicht am Geld, sondern ist oft nur eine Frage der intelligenten Organisation", so de Graat.

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