Ein Jahr Google-Panoramadienst in Deutschland:Wie wir lernten, Street View zu lieben

Vor einem Jahr startete Google Street View in Deutschland - von der damaligen Aufregung ist heute wenig übrig geblieben. Der Dienst ist längst zum nützlichen Werkzeug geworden, einige Bürger wollen ihr Haus sogar wieder entpixeln lassen. Doch Google hat aus der deutschen Skepsis seine Lehren gezogen - eine Aktualisierung wird es vorerst nicht geben.

Johannes Kuhn

Vor einem Jahr erreichte der Spion aus dem Silicon Valley Deutschland: Als Google im November 2010 seinen Panoramadienst Street View in 20 Städten von Leipzig bis Stuttgart startete, war das Misstrauen gegenüber den Plänen des US-Konzerns groß.

In monatelangen, bisweilen ins Hysterische abdriftenden Debatten hatte das Land über Googles Kamerafahrten diskutiert, das Recht an der eigenen Hausfassade eingefordert, über die richtige Gartenzaunhöhe philosophiert - und dabei nebenbei versucht, eine deutsche Definition der Privatsphäre im digitalen Zeitalter zu finden.

Das Resultat lässt sich ein Jahr später begutachten, es zeigt ein recht verpixeltes Bild dieses Landes: 245.000 Bürger hatten vor dem Start Einspruch gegen die öffentliche Darstellung ihrer Hausfassaden eingelegt, in einigen wohlhabenderen deutschen Stadtteilen dominiert bei Street View die Milchglasoptik deshalb ganze Straßenzüge.

Würde Google seinen Dienst noch einmal starten, ergäbe sich mittlerweile ein anderes Bild. Einbruchsserien, die mit Street View in Zusammenhang zu bringen stehen, blieben ebenso aus wie Proteste wegen allzu intimer Einblicke in die Privatsphäre deutscher Hausbesitzer und Wohnungsmieter.

Für Voyeure uninteressant

Die Software wird offenbar nicht von Voyeuren, sondern von Menschen genutzt, die sich ihr Reiseziel oder die Umgebung einer neuen Wohnung genauer ansehen wollen. In Deutschland sei die Zahl der Zugriffe auf den Kartendienst Google Maps, in den Street View integriert ist, innerhalb des vergangenen Jahres um 25 Prozent angestiegen, sagt Google-Sprecherin Lena Wagner.

Auch der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar, der die Möglichkeit zum Vorab-Widerspruch in zähen Verhandlungen durchgesetzt hatte, zeigt sich zufrieden. "Das Google-Auto war für viele Menschen Sinnbild einer digitalen Welt, die dabei war, sich die analoge Welt umfassend anzueignen", sagt er. Erst die Einspruchsmöglichkeit der Bürger habe "die Situation entspannt und für Akzeptanz gesorgt."

Ein weiteres Indiz für diese Akzeptanz: Als Microsoft ankündigte, für seinen Street-View-Klon "Bing Maps Streetside" deutsche Straßenzüge abzufotografieren, gingen nur 80.000 Einsprüche an. "Google Street View hat sozusagen Pionierarbeit geleistet, denn nun ist bekannt, wie solche Bilder bei Veröffentlichung aussehen", gibt Caspar zu.

Mancher Bürger wünscht Entpixelung

Inzwischen, so Google-Sprecherin Wagner, würde mancher Bürger sein Haus sogar gerne entpixeln lassen. Das ist aber nicht möglich - der Konzern hatte den deutschen Datenschützern zugesichert, auch das Rohmaterial unkenntlich zu machen. Weil es sich bei dem Street-View-Kompromiss um eine freiwillige Vereinbarung, nicht um ein Gesetz handelt, sind viele rechtlichen Fragen ungeklärt.

Der Einspruch eines einzigen Mieters genügt, um ein ganzes Gebäude verpixeln zu lassen - was aber, wenn der Vermieter dagegen ist oder ein neuer Eigentümer sein Gebäude gerne im Internet zeigen würde? Klagen zu solchen Fällen sind bislang nicht bekannt. Das prominenteste Urteil zu Street View fällte im März das Kammergericht Berlin, als es die Kamerafahrten grundsätzlich für zulässig erklärte.

Die Weiterentwicklung der deutschen Street-View-Variante scheint Google wegen der engen Reglementierung zu aufwendig. Man habe derzeit keine Pläne, weitere deutsche Städte bei Street View zu präsentieren, heißt es.

Zwar waren in diesem Jahr Kameraautos auf deutschen Straßen unterwegs, diese sollten aber einzig dafür sorgen, den Kartendienst Google Maps auf dem neuesten Stand zu halten und die Routenplanung zu aktualisieren.

Neue Funktionen kommen anderswo

Anderswo macht der Suchkonzern hingegen immer mehr Informationen bei Street View zugänglich: Seit kurzem können Nutzer virtuell in sechs Parks von Madrid bis Tokyo per Street View spazieren gehen, Google schickte zu diesem Zweck Kamerafahrräder los. In Kalifornien erlauben erste Geschäfte und Restaurants testweise den Street-View-Rundgang durch die Inneneinrichtung.

Die Idee dahinter: Mögliche Kunden können sich Ambiente und Sortiment schon einmal auf dem Rechner ansehen, bevor sie einem Laden einen persönlichen Besuch abstatten. Die Inhaber könnten ihre Google-Anzeigen mit einem solchen virtuellen Rundgang anreichern, mittelfristig könnte Google auch die Online-Reservierung eines Tischs oder die Vorbestellung eines Produkts abwickeln.

In Deutschland dürften solche Szenarien auf absehbare Zeit nicht realistisch sein. Im Gegenteil: Weil viele der Fotos hierzulande aus dem Jahr 2008 stammen, sind im deutschen Street View auch längst verschwundene Bauten wie der Berliner Palast der Republik oder das Kölner Stadtarchiv zu sehen. Das gefürchtete Spionageinstrument aus dem Silicon Valley schrumpft so zu einem Bilderalbum für den nostalgischen Online-Spaziergänger.

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